Josef Kiening: Lebensgeschichte meines Vaters Josef Kiening 2. Teil
Ergänzungen 2008 zu "Mein Lebenslauf" von Josef Kiening
senior *1907
(eigenhändig aufgeschrieben 1986/87 von Josef Kiening
senior, unverändert ab getippt 2008 von Josef Kiening junior.)
Zum ersten Teil (eigenhändig geschrieben)
Hier versuche ich zu ergänzen, was mein Vater nicht beschrieben
hat.
Die Bäckerei in der Parkstraße
Die Bäckerei mit dem Laden hat mein Vater 1937 mit einer nicht
neuen, aber der Zeit entsprechenden Ausstattung gekauft, die Räume
aber nur gemietet. 1940
mußte er
in den Krieg und kam erst 1948 aus der Gefangenschaft heim. Von
1.3.1949 bis 1.9.1957 betrieb er die Bäckerei wieder. Ich war
damals
zwischen 7 und 16 Jahre alt und schrieb das folgende 2008 auf.
Wir wohnten in der Parkstraße 13. Das vierstöckige
Eckhaus steht heute
unter Denkmalschutz und hat jetzt die Hausnummer Parkstraße 25.
Im Erdgeschoß befand sich von links (Gollierstraße) nach
rechts (Parkstraße): Ein Speiselokal mit Küche in den Hof
hinaus, ein winziger Tabakladen, der von einem älteren
Fräulein geführt wurde, ein Metzgerladen mit Kühlraum. Das Schlachthaus
dazu war in der Nähe in einem
Rückgebäude. Am Eck war unser Bäckerladen mit 2
Schaufenstern. Nach der Haustüre noch ein Flickschusterladen mit
Werkstätte und ein Pelzladen mit Nähraum. Den Pelzladen hatte
ursprünglich ein Schneider.
Früher war der Schuster an der Stelle des Bäckerladens,
weshalb am Hauseck ein großer goldener Stiefel montiert war und
uns die Leute als Stiefelbäcker bezeichneten. Der Schuster
hat mit dem Bäcker getauscht und ist in den kleineren
billigeren Laden gezogen. Seitdem gab es keine Verbindung mehr zwischen
Backstube und Laden, denn nun lag der Schusterladen über der
Backstube. Der Tausch war lange vor der Zeit meines Vaters.
Der Laden meiner Eltern hatte zwei Schaufenster. Das größere
und die
Ladentüre sind im abgeschrägten Eck des Hauses. Neben dem
Laden war
noch ein kleines Zimmer. Hier wohnten wir und hier schlief das
Hausmädchen, das wir Anfangs der Fünfzigerjahren
zeitweise hatten.
Neben dem Zimmer im Erdgeschoß war noch eine winzige
Küche mit Herd,
kleinem Schrank und Wasserstelle, ein Wasserhahn und ein halb runder
gusseiserner Ausguss.
Wir schliefen in einer Zweizimmerwohnung im ersten Stock.
Das
eigentliche Wohnzimmer im ersten Stock wurde nur an
Sonntagen beheizt
und war sonst praktisch unbewohnbar. Hier schlief ich erst auf
einer
Eck-Liege, dann in einem Klappbett. Daneben war das Schlafzimmer meiner
Eltern. Diese zwei Zimmer waren nur die Hälfte einer
Vierzimmerwohnung. In den anderen 2 Zimmern wohnte ein altes Paar
namens Gradl. Man ging vom Treppenhaus zuerst durch eine
Wohnungstüre
in einen finsteren Gang mit Wasserhahn und Ausguss. Hier
mußte man
nochmal eine Türe aufsperren und kam in die
Zweizimmerwohnung, Das
zweite Zimmer war vom ersten aus zu betreten, nicht vom Gang.
Dazu gehörte ein Klo im Treppenhaus, also
außerhalb der
Wohnung und von beiden Mietern gemeinsam zu benützen.
Im Erdgeschoß gab es ebenfalls ein Klo über den Hausgang zu erreichen,
das wir gemeinsam mit den benachbarten Ladenbesitzern benützten.
Kellerbäckerei
Die Bäckerei befand sich im
Keller. Vom Hausgang ging es vor der
Hoftüre erst über eine gemauerte Treppe in den Keller. Die
Hälfte des
Kellers waren Kellerabteile zu den Wohnungen, die andere Hälfte
war die
Bäckerei. Hier mußte man erst eine Türe aufsperren und
durch einen
finsteren Gang tappen, der dem darüber liegenden Treppenhaus
entsprach. Die Bäckerei war sehr verwinkelt, denn hier im
Keller waren
ja die Fundamente der Wände der Wohnungen darüber. Alle Kamine gingen
bis in den Keller . Hier waren
viele
Rußtürl für den Kaminkehrer, der wegen der Ofenheizung
monatlich kam.
Im Südwest-Eck des Hauses war der Backofen, so groß wie das
Zimmer
darüber, knapp 20 qm. Daneben die Backstube, die zwei
Zimmer-Grundrisse umfasste und durch den Backofen daneben etwas
warm
war.
Der Backofen
Der Backofen hatte knapp die Größe des darüber
liegenden
Ladens bzw. der
Schlafzimmer in den oberen Stockwerken. Es war ein aus Schamottesteinen
gemauertes etwa 50 cm hohes Gewölbe mit einem Boden ebenfalls aus
Schamottesteinen. Anstelle der Zimmertüre war die eiserne
Ofentüre zum
hoch schieben. An zwei Seilen hingen
Gegengewichten und hielten die Ofentüre in der offenen Stellung
fest. Damit der Bäcker ohne Bücken arbeiten und in
den Ofen
schauen konnte, war der Kellerfußboden vor dem Ofen um zwei Stufen
tiefer gelegt.
Der Innenraum des Backofens war von der Türe weg nach hinten leicht
ansteigend. Das
Gewölbe darüber wohl auch. Das Feuer zum Aufheizen des
Ofens war
gleich hinter der Türe in einer Vertiefung. Der Rauch zog dann
durch
das Gewölbe und erst wenn er sich etwas abgekühlt hatte durch
eine von
außen nicht sichtbare Öffnung in den Kamin ab. Bevor
er backen konnte,
mußte mein Vater die Asche weg putzen. Dazu
schleuderte er einen an einer langen Stange befestigten nassen
Lappen
kunstvoll kreisend mit der Stange herum. Das hat
mächtig
gezischt und gedampft, wobei der Dampf zum Backen erwünscht war. Die
Asche wurde durch den Rost geräumt und der Rost mit Eisenplatten
zugedeckt.
Ein Vertreter hat ihm einmal ein Backofengebläse aufgeschwatzt.
Das war
wie ein Kübelstaubsauger, bei dem der Schlauch auf die
Ausblasöffnung
gesteckt werden konnte. An einem langen Eisenrohr war
eine
U-förmige Ausblaseöffnung. Damit blies er sich aber
die Asche ins
Gesicht und außerdem kalte Luft in den Ofen. Das hat er einmal
probiert
und dann stand das Gerät jahrelang herum.
Die Rauchabzugsöffnung wurde durch eine von außen zu
betätigende Klappe
verschlossen, denn die Wärme sollte im Ofen bleiben. Gebacken
wurde
also durch die in den Steinen gespeicherte Wärme.
Die Schamottesteine der Ofenausmauerung mußten alle 3 Jahre
erneuert werden. Das geschah immer an einem Dienstag nach Pfingsten,
wenn der Ofen über Sonntag und Montag etwas abgekühlt
war. Ein
spezialisierter Maurertrupp riss erst die Ofentüre und Wand
darum
heraus. Dann mußte ein etwas geistig behinderter Hilfsarbeiter in
den
noch ziemlich warmen Ofen schlüpfen und das Gewölbe
heraus brechen.
Nachdem die alte Ausmauerung entfernt war, wurde Boden und Decke aus
neuen Schamottesteinen eingemauert. Die Bretterschalung des
neuen Gewölbes
wurde wohl beim ersten Heizen mit verbrannt. Dann war der Ofen am
nächsten Tag wieder gebrauchsfähig.
Bei der ersten Erneuerung etwa 1950 wurde in den Hohlraum über dem
Ofen
ein Wasserbehälter von schätzungsweise 60 Liter Inhalt
eingebaut. Davon
konnte mein Vater über einen Hahn etwas Wasser in den Ofen lassen,
das
sofort zu Dampf wurde und scheinbar gut für den Backvorgang war.
Außerdem hatten wir einen Wasserhahn für
heißes Wasser in der benachbarten
Backstube . Da stellten wir so einmal wöchentlich eine
verzinkte
Blechbadewanne darunter und konnten mit dem heißen Wasser
baden.
Eigenartigerweise kam dieser Warmwasserboiler ohne
Sicherheitseinrichtungen aus. Er hatte das heute vorgeschriebene
Rückschlagventil nicht und die Ausdehnung des Warmwassers
drückte in
die Wasserleitung zurück. Der Platz des Boilers war wohl so
gewählt,
daß das Wasser beim üblichen Wasserleitungsdruck nicht zum
Kochen kam.
Drehte man die Leitung auf, so kam es schon vor, daß sich
Dampfblasen
bildeten und mit lautem Knall aus dem Wasserhahn schossen. Jedenfalls
hat diese primitive Installation funktioniert.
Durch den Backofen und seinen Kamin wurde diese Ecke des ansonsten
feuchten Hauses trocken geheizt. Die Wohnungen bis in den zweiten Stock
brauchten keine Heizung. Der Kürschner im Pelzladen über dem
Backofen beklagte sich aber sehr, daß er im Sommer die Hitze kaum
aushalten konnte.
Der Raum vor dem Backofen erhielt nur durch kleine Glasscheiben in der
Türe zur Außentreppe in den Hof etwas Tageslicht und konnte
nur über
diese Türe belüftet werden. Er war verwinkelt, wie die
Wohnungs-Gänge
und Küchen
darüber, mit einigen finsteren Nischen. Der Boden war aus
Ziegelsteinen oder Beton. Auf der Hofseite
stand der
Keller etwas in den Hof hinaus und war mit einem Bechdach oben
abgedeckt. Seitlich hatte er eine kleine Klappe, durch die der
Kohlenhändler die Briketts vom Hof aus herunter kippte. Wenn der
Kohlenhaufen
nach
der Lieferung sehr hoch war, konnten wir Kinder durch die Öffnung
auf
den Kohlenberg klettern. Daneben gab es die holzverschalte
überdachte Treppe in den Hof hinaus, die aber
nur von mir gerne als Spiel-
und Bastelplatz benützt wurde. Die obere Türe ging nach
Süden auf .
Dahinter war es warm und trocken, deshalb mochte ich diesen Platz.
Die Backstube
In der Backstube wurde der Teig hergestellt und bearbeitet. Der Raum
hatte eine Türe und einen Holzbretterboden und war dadurch
wärmer als der übrige Bäckerei-Keller. An der an den
Backofen grenzenden Innenwand war die "Tafel" aufgebaut, ein etwa 4 m
langer und 1 m breiter Tisch, auf dem der Bäcker arbeitet.
Das Untergestell war ein ebenso langer Trog, der nicht benützt
wurde.
Am linken Ende war eine Waage aufgehängt, daneben stand die
"Teigteilmaschine". Da legte man einen flachen Teigfladen darauf,
schloß den Deckel darüber und kippte einen schweren Hebel,
der am Boden befestigt war, einmal nach links und wieder zurück
nach rechts. Dabei fuhr ein Blechgitter durch den Teig und stanzte
daraus 30 gleiche Portionen, aus denen dann Semmeln oder Brezen
geformt wurden. Damit der Teig nicht in der Maschine festklebte,
wurde die Auflage und der Deckel vor jeder Teilung mit Mehl
eingestaubt.
Rechts von der Tafel war ein Fenster in der Außenwand. Davor war
ein Kellerschacht unter dem Gehsteig, der oben mit einem Gitter
abgedeckt war. Das Gitter war mit Stangen befestigt, die unten leicht
gelöst werden konnten, worauf das Gitter oben herausgenommen
werden konnte. Wenn das Auto eines Müllers mit
Mehlsäcken kam, hielt es auf der Straße genau vor dem
Schacht. Parkende Autos gab es damals noch nicht.Wir öffneten das
Fenster im Keller und die Gittersicherung und stellten ein breites
Brett
schräg in den Schacht. Der Müller hob die 50-kg
Mehlsäcke vom Wagen und ließ sie über das schräge
Brett auf den Fenstersims im Keller rutschen. Hier stand der Beifahrer
des Müllers mit dem Rücken zum Fenster, hob den Sack von der
Fensterbank auf seinen Rücken und ließ ihn einige Schritte
daneben auf dem Boden gleiten.
Im hinteren Teil der Backstube war also das Mehllager. Für jede
Mehlsorte stand eine Reihe Säcke auf dem Holzboden. Zwischen den
Sackreihen ließ man so viel Platz, daß die Katze auf ihren
Kontrollgang dazwischen schlüpfen konnte.
Zwischen den Mehlsäcken und der Tafel war die Knetmaschine, ein
Ungetüm mit einem etwa 130 cm breiten und 50 cm tiefen Trog
aus Gußeisen. Der Trog war drehbar und hatte Räder. Er wurde
in die Knetmaschine geschoben Der Knetarm war mit einem großen
Eisenrad in den Trog herunter zu drehen. Angetrieben wurde Trog und
Knetarm von einem unter der Decke montierten Motor über
einen breiten Lederriemen. Das Leder war zu einem Ring genäht. An
der Nahtstelle lag das Leder über einander und immer wenn diese
Stufe über das kleine Antriebsrad des Motors lief, rumpelte
es.
Außerdem gab es eine Rührmaschine, so ähnlich wie eine
alte wuchtige Standbohrmaschine, aber mit einem asymetrisch
montierten Schneebesen, der in einer tiefen Blechschüssel
herum fuhr. Ein kleiner Küchenherd diente zum Erwärmen von
Konditormassen, Pudding und Fettglasuren.
In und außerhalb der Backstube gab es Gestelle wie zwei
große senkrechte Rechen an der Wand. Darauf wurden die Bretter
mit den ofenfertigen Backwaren geschoben.
Die Bäckerarbeit
Mein Vater stand an jedem Werktag um 4 Uhr auf, am Samstag etwas
früher. Er zündete das vorbereitete Feuer im Backofen an und
schaltete die Knetmaschine ein. Für das Feuer mußte
ich als Schulbub am Nachmittag 3 oder 4 Blechkübel mit Brikett
(Kohlen) füllen. Die Brikett waren durch aufeinander
schlagen zu halbieren.
Die Teigmischung für das Brot wurde ebenfalls am Abend
vorbereitet: Mein Vater siebte das Mehl in den Trog, legte je ein
Häuflein Salz, Hefe und Sauerteig hinein. Als Sauerteig wurde vom
Vortag stets ein Rest des Brotteiges übrig gelassen.
Wenn um 4 Uhr früh die Knetmaschine lief, rumpelte es durch
das ganze Haus. Aber die Leute wussten ja, was es war und
schliefen weiter.
Meine Mutter stand eine halbe Stunde nach meinem Vater auf. Dann war
der Teig fertig gerührt und sie half das Brot zu
formen. Jeweils die Teigmenge für einen Wecken wurde auf die
Waagschale gelegt. Meist stimmte das Gewicht gleich, denn ein
Bäcker hat schon Übung. Die Wecken wurden geformt und auf die
mit Tüchern belegten Bretter aufgereiht. Waren sie genügend
aufgegangen, wurden die etwa 2 Meter langen Bretter aus der Backstube
in
das Gestell vor dem Ofen getragen.
Bis alle Brote geformt waren, war das Feuer im Ofen abgebrannt. Meine
Mutter hat sich dann für die Ladenöffnung umgezogen.
Mein Vater hat die Bretter mit den Brotlaiben nach einander
auf Schragen (kleine Holzböcke) vor dem Ofen gestellt. Ein Teil
des Brotes wurde mit
Gewürz bestreut. Mit einer Stachelwalze wurden kleine
Luftlöcher in die Teigoberfläche gestochen.
Die Laibe wurden auf die davor liegende "Schiesel" ,
das ist ein langes schmales Brett mit einem langen
Griff am Ende, gelegt und auf der Schiesel in den Ofen geschoben. Das
nannte man "Einschießen". Mit
einem seitlichen Ruck sollten die Laibe vom Brett auf die
Steine im Ofen rutschen. Nur zum Einschießen wurde die Ofentüre kurz
geöffnet und die Brotlaibe schön in Reihen in den Ofen
gelegt, ohne den Teig zu verformen.
Während das Brot gebacken wurde, bereitete mein Vater den Teig
für die Semmeln. Er wog dazu immer Teig für 30 Semmeln
aus, teilte diese auf der Teigteilmaschine und "schliff" die
Semmeln rund. Dann war es Zeit, die ersten Brotwecken aus dem Ofen zu
schieben und in den Laden hinauf zu tragen, damit um 6 Uhr zur
Ladenöffnung frisches Brot bereit war.
Mit den Semmeln ging es schneller, sie wurden auf schmälere Schieseln
gelegt und im Ofen umgekippt. Sie brauchten nicht mehr so viel Hitze
wie das Brot. Die fertigen Semmeln wurden zwischen zwei alten
abgewetzten Schieseln aus dem Ofen gerollt und fielen in den vor der
Ofentüre stehenden Semmelkorb. Da kamen kurz nach 6 Uhr die ersten
Semmeln in den Laden, damit die Kunden auf dem Weg zur Arbeit ihre
Brotzeit kaufen konnten.
Letzter Arbeitsgang waren die Brezen. Dieser Teig war fester als der
Semmelteig und wurde ebenfalls mit der Teigteilmaschine dosiert. Vor
dem Ofen wurde die Brezen jeweils 5 Stück auf einem Lochblech in
Lauge getaucht und die Schiesel mit grobem Salz bestreut. Mit der
Oberseite nach unten auf dem Salz liegend, waren die Brezen im Ofen
geschickt durch drehen des Brettes abzukippen und durften dabei nicht
verformt werden.
Wenn die Backwaren alle aus dem Ofen und in den Laden gebracht waren,
kam die Konditorarbeit. Der Kuchenteig wurde mit der Rührmaschine
gemischt, auf Bleche gestrichen oder in Formen in den Ofen
geschoben. Wenn der Teig kalt war, entstanden daraus Torten oder
kleine rechteckige Törtchen. Am späten Vormittag war
mein Vater in der Backstube fertig und konnte meine Mutter im Laden
ablösen, damit sie das Mittagessen bereiten konnte.
Mein Taschengeld
Etwa so ab 10 Jahren bekam ich Taschengeld, das ich mir durch Arbeit in
der Backstube verdienen mußte. Ich denke, es waren 10 Pfennig je Tag.
Dafür mußte ich nach der Schule die
eingetrockneten Teigreste aus der Teigteilmaschine kratzen. Die 30
Vierecke hatten 120 Ecken und 120 Flächen, die abzukratzen waren.
Mein Vater hasste diese Arbeit wohl genauso wie ich, deshalb
delegierte er sie. Leichter abzukratzen war der Trog der
Knetmaschine und der Knetarm. Wenn während dieser Arbeit schon
meine Schulfreunde kamen, kletterte die Kinderschar in den Trog
zum Karussell fahren und einer drehte den Trog.
Außerdem hatte ich die Kohlenkübel zu füllen, wie oben
schon erwähnt.
In den Schulferien hatte ich die Semmel- und Brezenkörbe von der
Backstube in den Laden hinauf zu tragen. Dabei halfen meine Freunde.
Wir fassten die Körbe zu zweit, einer vorne und einer hinten
und kamen dadurch leichter durch die Türen. Meine Freunde wurden
dafür mit Brezen oder übrig gebliebenen Konditorsachen
belohnt. Buben haben immer Hunger.
Der Laden
Bäckerläden mit ähnlicher Ausstattung gibt es auch heute im Jahr
2008 noch. Auf dem Ladentisch war ein Glasaufbau, der zur
Verkäuferin offene Fächer hatte, zum Kunden aber mit einer Glasplatte
geschlossen war. Hinter dem Glas lag die Ware in Fächern. Die
größten Fächer enthielten Semmeln und Brezen. Die Konditorsachen,
Kuchen und Torten waren im Schaufenster aufgestellt. Die Brotwecken
waren in einem Regal hinter der Bäckerin aufgereiht.
Der Unterschied zu heute war: Alles wurde unverpackt gelagert und erst
für den Kunden eingepackt. Lose Waren, wie Mehl wurden dazu in eine auf
der Waage stehende Tüte ein gewogen.
Neben der Ladentheke stand eine Semmelschneidemaschine. Mit dieser
wurden alten Semmeln zu "Knödelbrot" aufgeschnitten. Semmelknödel
standen damals wohl oft auf dem Speisezettel.
Das Schaufenster nach Westen war mit Schokoladentafeln oder ähnlichem
je
nach Jahreszeit dekoriert. Dazu kamen von den Schokoladenfirmen
professionelle Schaufenster-Dekorateure und haben das dem Stil der Zeit
entsprechend kunstvoll aufgebaut.
Einmal sagte meine Mutter zu mir: "Da hat einer
gerade aus dem Fenster eine Tafel Schokolade gestohlen. Der wird
sich wundern, das ist eine Schaupackung." Die Packungen für das
Schaufenster enthielten nur Karton, denn Schokolade wäre in der
Sonne verdorben.
Am Nachmittag war es im Laden ruhig, da war Zeit für andere
Arbeiten, für Hausarbeiten oder Buchführung.
Abends um 18 Uhr wurde der Laden geschlossen, das Geld in der Kasse
gezählt und der Laden geputzt. Damals wurden die Löhne noch wöchentlich
in bar einschließlich Kleingeld ausgezahlt. Dadurch bekamen wir viele
kleine Münzen in die Kasse, die zu 100 Stück in Papier gerollt wurden.
Auf die Rolle wurde außen der Bäckereistempel gedrückt und dann wurden
die Rollen zur Bank gegeben oder für Zahlungen verwendet. Die
Firmen
holten die Lohngelder einschließlich Münzen von der Bank und über die
Geschäfte kamen die Münzen zu den Banken zurück.
Um 20 Uhr lag die ganze Familie im
Bett, sehr zur Verwunderung meiner Schulfreunde, die um diese Zeit erst
munter wurden.
Oktoberfest
Die Parkstraße war ja nur 2 Straßenkreuzungen von der Theresienhöhe und
damit vom Oktoberfest entfernt. Damals Anfang der 1950er-Jahre gingen
die Leute noch zu Fuß
hin, um das Trambahn-Zehnerl zu sparen. Deshalb kamen Samstags ab
mittag und am Sonntag schon am Vormittag alle Bewohner des
Münchener
Westens, bis aus Laim und Pasing, durch die Gollierstraße wie eine
Völkerwanderung daher. Sie kauften bei uns Brezen, denn
hier
gab es diese zum normalen Ladenpreis, während auf der Wiesn alles
teurer war.
Mein Vater konnte an solchen Tagen gar nicht genug Brezen backen.
Frisch aus dem Ofen wurden sie noch warm verkauft. An diesen
Wochenenden kam mein Onkel Michel aus Oberschweinbach zu Hilfe. Er war
gelernter Bäcker, arbeitete aber als Elektriker. Michel hat die
Brezen
gedreht, ich mußte sie in die Lauge tauchen und mein Vater stand
nur
am Ofen und hat pausenlos Brezen hinein geschoben und heraus geholt.
Meine Schulkameraden trugen die Körbe in den Laden.
Die Buchführung
Mein Vater hat jeden Abend die Tageseinnahme gezählt und
aufgeschrieben. Die Rechnungen für die gekauften Waren hat er in einem
Leitz-Ordner gesammelt. Die bunten Papiere der Rechnungen mit ihren
farbigen Firmen-Köpfen haben mich fasziniert. Für eine
Einnahmen-Ausgaben-Überschußrechnung mußte mein Vater Listen von den
Rechnungen schreiben und jährlich die Steuererklärungen ausfüllen. Ab
und zu kam ein Finanzbeamter und hat diese Buchführung
nach kontrolliert. Das ging ohne große Beanstandungen.
Nachdem die Bäckerei geschlossen war, haben wir die ganze Buchführung
im Ofen verheizt.
Wir hatten kein Telefon. Für die Bestellungen ließen die Firmen
Vertreter laufen. Diese brauchten nicht weit gehen, denn in jedem 3.
Haus gab es eine Bäckerei. Die Vertreter kamen regelmäßig und haben die
Bestellungen notiert. Bei Lieferung wurde bar bezahlt. Vieles ließ mein
Vater von der Bäckereinkaufs-Genossenschaft "Elbim" liefern. Dort hatte
er ein Konto, auf das er seinen Geldüberschuß eingezahlt hat, denn es
wurde mit 4 % verzinst.
1949 hat er bei Null angefangen und 1957 bei der Schließung der
Bäckerei hatte er 4000 Mark auf diesem Konto. Das war
alles, was von 8 Jahren Bäckerei übrig geblieben ist. Die 4000 Mark
waren viel Geld, denn er hätte damals ein schönes Baugrundstück oder
ein altes Häuschen am Stadtrand dafür kaufen können. Dazu fehlte
meinem Vater das Vorbild und er ist nicht auf eine
solche Idee gekommen. Die Geldentwertung hat auch dieses Geld weg
geschmolzen.
Schließung der Bäckerei
1957 noch vor dem Oktoberfest wurde das Münchener Westend von
Gleichstrom auf
Wechselstrom umgestellt. Das war das endgültige Ende der
Bäckerei. Die Kellerbäckerei hätte mein Vater schon ein Jahr vorher
schließen
müssen. Da der Termin der Stromumstellung bekannt war, bekam er noch
eine befristete Ausnahme-Genehmigung. Zuletzt wurden wir noch über
ein lose auf der Straße liegendes Kabel mit Gleichstrom versorgt. Der
Gleichstrom kam aus einem E-Werk hinter dem Ausstellungspark an der
Ganghofer Straße.
Die schweren gusseisernen Maschinen mit den großen Gleichstrom-Motoren
hat ein Schrotthändler abgeholt.
Alle Möbel und Holz-Gegenstände haben wir aus dem Keller in den Hof
getragen und ich habe sie mit Begeisterung zu Brennholz zerkleinert.
Ich war gerade 16 Jahre alt und schon kaufmännischer Lehrling.
Etwa ein Jahr lang haben wir die übrig gebliebenen Waren gegessen. Wenn
wir Verwandtschaft auf den Land besuchten, nahmen wir Tüten mit übrigen
Süßigkeiten mit.
Als einziges besitze ich noch die Zeigerwaage aus dem Laden, ein
schweres Präzisions-Instrument, das heute noch genau wiegt.
Da wir mit der Bäckerei auch die Wohnung räumen mußten, war es ein
Glück, daß im 2. Stock des Hauses ein altes Paar namens "Glück"
gestorben war und eine Teilwohnung mit 2 Zimmern frei wurde. Die
Hausverwalterin hat sich sehr für uns eingesetzt, damit wir vom
Wohnungsamt diese 2 Zimmer "zugeteilt" bekamen. Im gleichen
Gang lebten noch 2 Familien, die jede nur ein Zimmer hatten und
ebenfalls die 2 Zimmer wollten. Da war von Anfang an ein gespanntes
Verhältnis. Als wir ein Jahr später, 1958 in die Zenettistraße
zogen, konnten sich die anderen beiden Mieter ausbreiten und hatten
dann je 2 Zimmer. Wohnraum war damals hart umkämpft.
Die Wohnung hatte noch einen aus Kacheln gemauerten Herd, den meine
Eltern durch einen eisernen Wamslerherd ersetzen ließen. "Wamsler" war
eine Ofenfabrik in München-Laim. Außerdem kauften wir
einen Kühlschrank. Das war jetzt möglich, da wir ja nun den üblichen
Wechselstrom hatten. Ich schlief im Wohnzimmer, das gleichzeitig Küche
war.
Mein Vater als "Umroller" im Alkorwerk
Mein Vater wollte nicht mehr als Bäcker arbeiten und nahm eine Arbeit
im Alkorwerk in Solln an. Hier blieb er von 1957 bis zu seinem
Ruhestand 1972, also 15 Jahre. Vom "Umroller" wurde er zum
"Warenprüfer" befördert, aber die Arbeit blieb die gleiche. Mein Vater
hat keinen besonderen Ehrgeiz entwickelt, sondern zur Zufriedenheit
seiner Chefs die Arbeit getan.
Die Firma hat Plastikfolien hergestellt, was mit erheblichem Gestank
verbunden war. Die Arbeit eines Umrollers war, meterdicke
Fabrikrollen in handliche Verkaufsrollen umzuwickeln. Dabei mußte die
Ware auf Fehler kontrolliert werden und die Ränder auf die gewünschte
Rollenbreite glatt geschnitten werden. Es war Akkordarbeit und wurde
nach Metern bezahlt. Die Umroll-Maschinen maßen sowieso die Längen der
Folien auf den Rollen. Die gleichen Zahlen wurden für die
Akkord-Lohn-Abrechnung benützt.
Um die schweren Rollen zu heben, mußten immer zwei Männer zusammen
arbeiten. Die Titel waren "Umroller" und "Helfer". Die Helfer
waren anfangs Griechen, später Türken. Sie bekamen
viel Post aus der Heimat und haben meinem Vater die Briefmarken
geschenkt. Diese habe ich noch in der Sammlung.
Gearbeitet wurde in 3 Schichten. Da für die Nachtschicht kaum eine
brauchbare Verkehrsverbindung mit Straßenbahn und Bus nach Solln
bestand, kaufte mein Vater ein Moped, das wie ein Motorroller
aus geschaut hat, aber nur 40 km/h schnell lief. Wenn er nach der
Frühschicht schon am Nachmittag frei hatte, fuhr er mit dem Moped von
der Fabrik bis zum nahen Forstenrieder Park. Im Wald schob er das Moped
noch ein Stück und sammelte einen Sack voll Tannenzapfen ("Butzkien")
für die Heizung im Winter.
Damals setzte eine Plastikfolien-Begeisterung bei uns ein. Die
Arbeiter durften Abfall und Reste mit nach hause nehmen oder billig
kaufen. Mit den Folien haben wir Bücher eingebunden, Möbel überzogen
und was sich sonst alles damit machen ließ. Holz war verpönt, eine
Plastikfolie mit Holzmuster viel schöner.
Mit den 15 Jahren Fabrikarbeit hat mein Vater wenigstens einen
ordentlichen Rentenanspruch erworben. Die Lebensversicherung aus seiner
Zeit als Bäckermeister wurde zuerst 1948 durch die Währungsreform und
danach durch die Inflation der D-Mark-Jahre entwertet. Davon
hätte er nicht leben können.
Wohnung in der Zenettistraße 26
Meine Mutter war vor ihrer Heirat Köchin bei der
Bauunternehmer-Familie Späth. Sie hatte immer noch Kontakt
zu ihrer früheren Chefin, da ihre Schwester Katharina ja den Polier der Firma geheiratet
hat und dort wohnte.
So wußte Frau Späth von unserer Wohnungsnot und als 1958 eine Wohnung
frei wurde, bekamen wir diese.
Dafür mußte meine Mutter täglich das Büro im Vordergebäude putzen und
auch als Köchin einspringen, wenn die Haushälterin des großen
Späth-Haushaltes Urlaub hatte.
Mit der neuen Wohnung haben wir uns sehr verbessert. Es waren 3, wenn
auch kleine Zimmer, eine Küche und ein Bad. Den Wamsler-Herd haben wir
umgezogen und bis in den dritten Stock geschleppt. Er wurde
mit den "Butzkien" geschürt und reichte als Heizung, denn meine Eltern
wohnten in der Küche. Das dritte Zimmer
wurde an einen Studenten vermietet, denn die Miete von
anfangs 90 DM war für uns alleine zu teuer. Studenten vermittelte
uns der Sohn der Familie Späth, der zu dieser Zeit
studierte. Erster Zimmerherr war ein Grieche mit
einem zungenbrecherischen Namen , der uns von jedem
Heimaturlaub als Souvenir eine originelle Vase mit brachte, die
ich noch besitze.
Ich schlief weiter im Wohnzimmer im Klappbett. 1961 bis 1962 war
ich beim Militär "Grundwehrdienst". Danach hatten wir keinen
Zimmerherrn mehr und ich bekam das große (Schlaf-)Zimmer. Ende 1963
habe ich dann geheiratet und bin ausgezogen. Da haben meine Eltern
wieder um geräumt und das "hintere" Zimmer wieder vermietet. Zuletzt an
eine entfernt Verwandte, die mit meinen Eltern 1971 noch in die
Nonnenhornstraße umgezogen ist, bis sie dann geheiratet hat.
Letzter Beruf: Gärtner
Mit unserer Wohnung in der Nonnenhornstraße übernahmen meine Eltern
auch den nahen Pacht-Garten. Wir hatten schon das Grundstück
gerodet und die Obstbäume durch Schnitt verjüngt.
Mein Vater hat sich als Rentner richtig "rein gehängt" und die
Gartenarbeit gelernt, denn vorher hatte er nie mit einem Garten zu
tun. Das Grundstück war noch im Originalzustand der Münchener
Schotterebene. Drei Zentimeter Grasnarbe, darunter purer
Kies. Vom Hausmeister ließ sich mein Vater den Rasenschnitt und
das Laub der ganzen Siedlung bringen und legte große Komposthaufen an.
So hatte er bald genügend Humus, um mehr Gemüse
anzupflanzen, als wir zusammen essen konnten. Den Rest hat er an
die Mitbewohner des Hochhauses verschenkt.
Reichlich spät, zum 75. Geburtstag schenkten wir ihm ein Gartenhaus und
zum 85. Geburtstag haben wir noch ein Glashaus aufgestellt. Immer, wenn
es das Wetter zu ließ, verbrachte er die Zeit im Garten. Auch im Winter
mußte er wenigstens täglich nach schauen, ob alles in Ordnung war.
Zum ersten Teil (eigenhändig geschrieben)
----------------------------------------------------------
Zurück zur Startseite
(C) Josef Kiening. München, 2008
--------------------------------------------------------------