(eigenhändig aufgeschrieben 1986/87 von Josef Kiening
        senior, unverändert ab getippt 2008 von Josef Kiening junior.
        Kommentare und Erläuterungen sind kursiv eingefügt von Josef
        Kiening junior. Beim Lesen des ersten Manuskripts haben wir
        einige Fragen gestellt. Die Antworten sind mit dem Zusatz:
        "Mündlich"
        eingefügt. )
        
      Geboren bin ich am 18. September 1907 als lediges Kind der (Witwe)
      Frau Walburga Köppl. Da meine Mutter eine geborene Kiening war,
      erhielt ich diesen Namen. Mein Vater hieß Matthias Walch. Er war
      Straßenmeister in Germering und lernte meine Mutter bei einem
      Baumpflegekurs in Weihenstephan irgendwie kennen. Er war, wie
      sich später herausstellte, bereits verheiratet. Ich selber habe
      ihn nie gesehen. 
      
      (Das war unser Informationsstand von 1986. Der Straßenwärter
        Walch war 1907 noch nicht verheiratet und wie er die Walburga
        Köppl
        kennen lernte, hat sich später zufällig gefunden. Matthias
        Walch ist im September 1914 bei ersten Kriegseinsatz in Belgien
        gefallen. Über sein kurzes Leben ist eine eigene Biografie zu
        schreiben. )
      
Geboren wurde sie am 12.2.1878 als 3. Kind des Landwirtes
      Sylvester Kiening in Hetzenhausen, Gemeinde Massenhausen,
      Bezirksamt Freising. Über die Kindheit und Jugendjahre weiß ich
      nicht viel. Einmal hatte sie mit ihrem Vater nach München zur
      Schranne mit Getreide per Pferdegespann fahren dürfen. Die
      Schranne fand damals auf dem heutigen Marienplatz statt. Auch wie
      sie ihren späteren Mann Johann Köppl kennen lernte, weiß ich
      nicht. Sie hat nacheinander 2 Söhne geboren, die aber schon im
      frühen Kindesalter starben. Auch ihren Mann verlor sie schon
      1903 durch Tuberkulose. Bei der Hochzeit kauften sie das Haus
      Büchl
      599. Es war früher ein kleines landwirtschaftliches Anwesen. 
      (Das stimmt nicht ganz. Aus den Notarurkunden wissen wir
        inzwischen mehr Details, weshalb für Walburga Köppl ebenfalls
        eine Biografie zu schreiben ist.)
        
      Sie arbeitete meist als Taglöhnerin, Putzfrau und was sich
      halt so ergab. Seit ich so denken kann, weiß ich nichts anderes.
      Und nebenbei holte sie sich das Brennmaterial mit einem Handwagen
      aus dem Wald. Damit sie mehr Zeit hatte, brachte sie mich täglich
      in die Anstalt, heute sagt man Kindergarten, die von den
      Schwestern des Waisenhauses mit betrieben wurde. Als ich dann
      schon mehrere Jahre in der Schule war, nahm sie eine ganztägige
      Arbeit an und zwar immer in Gärtnereien. Erst in der Gärtnerei
      Nusser in Neustift. Nach mehreren Jahren ging sie dann zur
      Gartenbauschule Weihenstephan, wo sie bis zur Rente blieb. Das
      Haus verkaufte sie 1917 an einen Viehhändler, der es seiner
      Tochter als Mitgift gab. Diese heiratete einen Wirt und ebenfalls
      Händler. Heute besitzt die Tochter dieses Mannes das Eigentum.
      Zur Ehre von Max Grichtmeier möchte ich noch sagen, dass er
      meine Mutter bis zu ihrem Tod 1963 für 12 Mark Monatsmiete in
      ihren 2 Zimmern ließ. Von Weihenstephan kam sie täglich auch
      mittags heim, um auch mir und später für sich allein das Essen
      zu wärmen. Zuletzt arbeitete sie auf dem Gelände des heutigen
      Staudengartens. Weiß Gott eine Leistung. 
      Warum sie nicht mehr geheiratet hat, weiß ich nicht. Solche
      Themen waren vor 60 - 70 Jahren zwischen Eltern und Kindern noch
      tabu. Da sie erst 1916-17 mit regelmäßiger Arbeit begonnen hat
      und damit versicherungspflichtig war, war ihre Rente sehr sehr
      bescheiden. Mit dem Frauen- und Mütterverein machte sie nach dem
      1. Weltkrieg alle Wallfahrten und Ausflüge mit, so dass sie mich
      schon verstand, als ich nach der Lehre selber los zog. Als ich
      von daheim weg war, besuchte ich sie alle Jahre ein paar mal. Da
      sie ja immer allein war, musste sie eben mit allem selber fertig
      werden. Ich habe sie nie jammern hören. Nur die letzten Monate
      ihres Lebens war sie nicht mehr gut beisammen. Ihre jüngste
      Schwester Leni, die nicht verheiratet war, half ihr dann und
      pflegte sie. 2 Tage vor Weihnachten kam sie ins Krankenhaus. Sie
      wehrte sich mit Händen und Füßen. Sie wollte daheim sterben.
      Und wirklich, am 27. Dezember 1963 starb sie.
      
    
Sie begann Mitte September 1913. In der Klasse 1a hatten wir
      den Hauptlehrer Biller, der als der strengste Lehrer in Freising
      verschrieen war. Wenn sich heute ein Lehrer so was leisten würde (die
Kinder
        ständig zu verprügeln),
      käme er aus dem Zuchthaus nicht mehr heraus. In Erinnerung habe
      ich noch die Feier zur Ernennung von Bischof Bettinger zum
      Kardinal. Da Freising ja 1100 Jahre Bischofssitz war, wurde so
      etwas groß gefeiert. Die ersten Schulferien verbrachte ich zum
      ersten mal beim Onkel in Hetzenhausen. Hier ein Erlebnis: Eines
      Tages kam der Postbote mit dem Rad und brachte ein Telegramm.
      Mein Onkel als Ortsvorsteher läutete ein paar Männer zusammen
      und die sperrten die Straßen mit Balken, um ein französisches
      Auto, das Geld nach Russland bringen sollte, aufzuhalten. Noch
      heute würde mich interessieren, wer diesen Plan ausgeheckt hat,
      in allen Orten Deutschlands Wegelagerer zu spielen.
      
      Im 2. Schuljahr war dann schon Krieg. Das Knabenschulhaus war als
      Reservelazarett beschlagnahmt. Wir besuchten das Mädchenschulhaus.
      3 Tage vor mittags von 8 - 12, 3 Tage nachmittags von 1 - 5. Auch
      hier eine Erinnerung: In Frankreich brach der Stellungskrieg aus
      und die Rekruten wurden daheim mit dieser Kampfart vertraut
      gemacht. An einem schönen Oktobertag konnte man in Pettenbrunn,
      4 km entfernt, im Exerzierplatz der Freisinger Jäger
      Schützengräben,
      Unterstände usw.. anschauen. Alle Frauen mit Kindern zogen los.
      Kurz vor der Ziegelei Lang begegnete uns der Lehrer. Meine Mutter
      natürlich drauf los, wie ich in der Schule wäre und so. Der
      Hauptlehrer lobte mich sehr. Seit der Zeit konnte ich ihn gut
      leiden, trotz aller Prügel, die ich auch weiter bekam.
      
      Auch diese Ferien verbrachte ich in Hetzenhausen. In der 3.
      Klasse war der Unterricht interessanter. Heimatkunde und Deutsch
      waren Fächer, die Hauptlehrer Biller sehr gut vermitteln konnte.
      Dazu begann ich jetzt zu lesen. In der Bücherei des katholischen
      Pressvereins gab es Bücher, die Leihgebühr war 1 Pfennig. Zum
      Personal, alles Freiwillige, gehörte auch unser Lehrer. Da er
      meine Lieblingsfächer kannte, versorgte er mich immer mit dem
      nächsten
      Unterrichtsstoff. bloß hat er mich in der Schule nicht
      aufgerufen, wenn ich noch so sehr den Finger hob. Höchstens zum
      Schluss: "Sage es ihnen". Die nächsten Ferien war ich
      wieder in Hetzenhausen.
      
      In der 4. Klasse waren Naturkunde, Erdkunde und Geschichte die für
      mich interessantesten Gebiete. Da es auch die Hobbys des
      Hauptlehrers waren, war gut zum Zuhören. In der Erdkunde
      Oberbayern, da steckte er die Rückwand mit Ansichtskarten voll
      von dem jeweiligen Gebiet und in der Pause erklärte er uns die
      einzelnen Bilder. In der Naturkunde hat er zuhause den Stoff auf
      1, manchmal auch 2 Blatt Papier geschrieben und einem Schüler
      gegeben. Bis zum nächsten Mittwoch musste es die ganze Klasse
      abgeschrieben haben. Dann gings los. "Wer hat es überhaupt
      nicht?" 1 - 2 waren immer dabei. Das nächste war, die
      einzelnen Hefte nach Rechtschreibfehlern durchzusehen. Pro 10
      Fehler 1 Tatze. Da war der Schüler, der vom Lehrer ab schrieb,
      fein heraus. Denn dieses Blatt war garantiert fehlerfrei. Je öfter
      es abgeschrieben wurde, um so mehr Fehler kamen dabei heraus.
      Darum war Mittwoch der gefürchtetste Tag der Woche. Ich bekam
      das Blatt sehr oft. Wir schrieben dann zu 3. oder 4. in unserer
      Wohnung ab. Da ging es dann schneller durch. ( Ich war ja
        Einzelkind. Da konnten die Freunde bei mir ungestört
        abschreiben.
        Üblich waren damals kinderreiche Haushalte, in denen es
        turbulent zuging.)
        
        
      Noch ein Erlebnis: Eines morgens, als wir zur Schule gingen,
      ritt eine Gruppe prächtig geschmückter Soldaten "Leichte
        Reiter" durch Freising, um die Kriegsbegeisterung
      anzuheizen. Bis 1907 waren diese im aufgehobenen Kloster Neustift
      in Garnison. Da zu diesem Truppenteil nur reiche Bauernsöhne
      rekrutiert wurden, einerseits weil sie sich zu den Pferden hinein
      trauten, andererseits weil sie viel über Pferdepflege lernten,
      war das ein gegenseitiger Gewinn. Da diese Soldaten nicht mit dem
      Wehrsold von 22 Pfennig auskommen brauchten, sondern von zu hause
      unterstützt wurden, ließen sie viel Geld in der Stadt sitzen.
      Wir Buben, angesteckt von den Erwachsenen, liefen bis zur
      Stadtgrenze mit und kamen so gegen 9 Uhr in die Schule. Auf die
      Frage, wo wir waren, sagten wir es. Nach kleinem Überlegen sagt
      er, er würde uns nichts tun, wenn einer das Wort richtig
      schreiben könne: Schwolesche, Schwolleschä ? Immer falsch. Der
      Hauptlehrer schrieb dann: "Chevaulegers". Er tat uns
      trotzdem nichts. Er erklärte uns, wie viele französische Worte
      es damals in Bayern gab: Perron (Bahnsteig), Trottoir (Gehweg),
      Charcurtier (Wurstladen) usw...
      
      Eine andere Begebenheit: Wir hatten in der Klasse eine Kasse, in
      die man ab und zu etwas hinein gab. Von dem Geld wurden
      Liebespakete für die Väter (im Kriegseinsatz ) gepackt.
      Eines morgens war das Pult aufgebrochen und das Geld verschwunden.
      Als Dieb wurde ein Klassenkamerad, der im Waisenhaus lebte,
      gefunden. Er bekam als Strafe eine Woche lang jede Stunde 6
      Tatzen und 6 Arschprügel. Ein Polizist brachte den Buben alle
      Tage in die Schule. Eineinhalb Jahre später, wir gingen in die 6.
      Klasse, starb Hauptlehrer Biller am Neujahrstag 1918. Am 3.
      Januar, als sich die Trauergäste vom Grab verlaufen hatten, hat
      der Bub in das noch offene Grab einen Haufen drauf gemacht. (Wegen
der
        gefrorenen Erde konnte das Grab nicht sofort zu geschaufelt
        werden. ) Einer der alten Lehrer wohnte gleich neben dem
      Friedhof und konnte ihn mit dem Fernglas gut ausmachen. Er kam
      dann in eine Besserungsanstalt. Bei einem Schülertreffen, das
      Freund Elfinger organisierte, kam ein Fremder. Es war der
      ehemalige Schulkamerad. Er hatte in der Memminger Gegend eine gut
      gehende Gärtnerei. Er ist trotz allem, was ihm passierte, ein
      anständiger Mensch geblieben. 
      
      (Mündliche Ergänzung: Wir Kinder hatten wenig Spielzeug.
        Einmal brachte das Christkind einen Druckkasten. Die einzelnen
        Buchstaben konnte ich auf einer Leiste zu Wörtern setzen und so
        Sätze drucken. Auch einen Laubsägekasten hatte ich. Das Holz
        zum Ausschneiden bettelte ich in Zigarrengeschäften. Die
        Zigarrenkistchen waren nur aus dünn geschnittenen Fichten und
        brachen an den Jahresringen. Sperrholz kannte man noch nicht. In
        den Sommermonaten spielte sich das Leben auf der Straße ab.
        Schussern, Reifen treiben und Verstecken waren unsere liebsten
        Spiele.)
      
      Im Frühjahr 1917 begann ich in der Kirche Sankt Georg zu
      ministrieren. Aber bereits im Winter hörte ich auf Geheiß
      meiner Mutter wieder auf, weil ich (durch die Kniebeugen) bei
allen
      Schuhen die Sohlen abbrach. ( Im Krieg war kaum Ersatz
        zu bekommen.)
      
      In diesen Ferien war ich nicht in Hetzenhausen. Dafür lernte ich
      das Schwimmen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge
      erlebte das meine Mutter. Denn einerseits wusste sie mich gut
      aufgehoben, andererseits konnte sie mich kaum füttern, weil ich
      vor lauter rum rennen immer Hunger hatte. 1917 war bei der
      Verpflegung das schlechteste Jahr des ganzen 1. Weltkrieges. 
      
      In der 5. Klasse hatten wir Erstkommunion und erfreulicherweise
      auch Firmung. Diese fand alle 2 Jahre statt, die 5. und 6. Klasse
      zusammen. Das war sehr günstig, weil man nur einmal einen Anzug
      brauchte, den es im Krieg nicht so ohne weiteres gab. Bei der
      Kommunion musste ich vom Religionslehrer aus etwas aus dem
      Gottesdienst vorlesen. Ich sagte das daheim und ich hätte von
      der Mutter aus alles auswendig lernen müssen. Da ich nicht
      wollte, ging meine Mutter am nächsten Tag zum Lehrer. Als dieser
      von der Tür zum Pult ging, sagte er gleich: "Kiening raus!
      Ich hau dich nicht, weil du das nicht lernst, sondern weil ihr
      alle ohne Vater seid und mit der Mutter tut, was ihr gerne tut."
      
      In den Ferien war ich wieder in Hetzenhausen. In der 6. Klasse
      wurden die 2 Parallelklassen zusammen geworfen, weil durch den
      Übertritt
      in die Mittelschule die Schülerzahl kleiner wurde. Trotzdem
      waren wir in der 6. und 7. Klasse 72 Schüler. Für den
      Hauptlehrer Zimmermann schon eine Aufgabe. Hier eine Begebenheit:
      Wir Büchl-Buben, 12 an der Zahl ( der Lehrer meinte einmal, die
      vom Büchl und die vom Goldberg ( kleine Nebenstraßen in der
        Freisinger Altstadt) kosten ihn 10 Jahre seines Lebens.),
      also wir saßen auf den Planken, an denen an Viehmarkttagen die
      Kühe
      angebunden wurden, und rauchten Judenstrick. Das war so eine
      Nesselart. (? Trockene Zweige der "Gemeinen Waldrebe",
        eine Clematis-Art, die langsam verglimmten, wenn man daran
        saugte
        oder blies.) Auf einmal stand der Lehrer vor uns, der seinen
      gelben Dackel spazieren führte. "Morgen in der Früh reden
      wir weiter!" Am anderen Tag nach dem Beten winkte er bloß
      mit dem Finger und wir marschierten geschlossen raus. Nachdem er
      uns über die Schädlichkeit des Rauchens besonders für Kinder
      aufgeklärte hatte, ging es mit dem Fragen los. Einer gab 6 zu.
      Die meisten waren brav und sagten "nur eine". Nun kam
      die Überraschung für uns. Der mit 6 ging straf frei aus und die
      1 bekamen 6 Tatzen. Weil sie am meisten gelogen hatten.
      
      Ein anderes Erlebnis 1918: Anfang November kam der Kittl Karl,
      der in der Heilig-Geist-Kirche ministrierte und fragte mich, ob
      ich nach Oberberghausen mitgehen wollte. Dort steht eine Kapelle,
      dem Hl. Klemens geweiht. Ein alter Gymnasiallehrer hieß
      ebenfalls mit Vornamen Klemens und er nahm sich nun um diese
      Kirche an. An seinem Namenstag ließ er immer eine Messe lesen.
      Dazu kamen auch die früheren Bewohner der beiden Bauernanwesen,
      die einmal da existierten und von der Staatsforstverwaltung
      aufgekauft wurden, um Pappeln anzupflanzen. Wir gingen in der
      Frühe
      zeitig weg. Es waren von uns aus etwa 8 km. Nach der Kirche ging
      es wieder heimwärts. Wir redeten gescheit, bis wir wieder nach
      Freising kamen. Hier fanden wir alles aufgeregt. In den
      Wirtschaften saß und lärmte das Militär. Die Geschäfte hatten
      die Rollläden herunter gezogen. Wir wussten nicht, was los war.
      Meine Mutter sagt mir auf meine Frage : "Revolution ist."
      "Was ist das?" "Das weiß ich selber nicht."
      bloß die Aufforderung, nach der Schule gleich heim zu gehen. Der
      Lehrer erklärte es uns. Der König wurde verjagt und die Macht
      wird jetzt vom Volke ausgeübt. Er sagte das mit bitterer Stimme.
      (Anmerkung:  Die Staatspropaganda in der Monarchiezeit war
        wirkungsvoller, als man sich das heute vorstellen kann. Josef
        Kiening
        war  fest monarchistisch geprägt. Das wurde er sein ganzes
        Leben nicht mehr los, obwohl er durchaus kritisch war und bei
        jedem
        System die Schwächen erkannte.  Im Vergleich dazu war seine
        spätere Frau 
        völlig ohne jede Ideologie. Sie dachte nur praktisch, an
        Familie,
        Essen, Kleidung, Geld usw. Der katholische Religionsunterricht
        in der
        Monarchiezeit,  Nazipropaganda oder  die 
        nachfolgende 
        Amerikanisierung, das war alles bei ihr durchgefallen und 
        ist
        nicht einmal in  Spuren hängen geblieben. Doch zurück zu
        1919:) 
    
Die erste Folge war, der Krieg war aus. Vom Waffenstillstand
      verstanden wir Kinder natürlich nichts. Aber die Soldaten kamen
      heim. Am Viehmarkt wurden jede Woche zweimal Pferde versteigert.
      Für 20 bis 50 Mark gingen sie an neue Besitzer über. Ab Neujahr
      1919 bekamen wir Hilfslehrer. Es waren Leute, die von der Schule
      gleich zum Barras eingezogen wurden und jetzt ihr Praktikum
      nachholen mussten. Da waren mitunter Typen darunter !
      
      An einen kann ich mich erinnern. Wir lasen das Gedicht: "Als
      Kaiser Rotbart lobesam ins heilige Land gezogen kam". Der
      Hauptlehrer korrigiert am Pult Hefte. Von uns Buben musste jeder
      eine Zeile lesen. Einer betonte ein Wort so komisch. Wir lachten.
      Der junge Lehrer ging auf wie eine Dampfnudel. Der Hauptlehrer
      beruhigte ihn und meinte, er solle es mal vorlesen. Das tat er.
      Während
      er las, ging er immer 2 Schritte vor und zurück. Wir Buben
      rissen Augen und Maul auf. So etwas hatten wir noch nie gesehen.
      Auch der Hauptlehrer schob die Brille auf die Stirn und starrte
      ihn an. Als er zu der bewussten Stelle kam, unterlief ihn der
      gleiche Fehler. Wir brüllten und der Hauptlehrer machte den
      Herrn Kollegen darauf aufmerksam. Am nächsten Tag hatten wir
      schon wieder einen neuen. Auch die Sommerferien 1919 war ich in
      Hetzenhausen.
      
      Ab Sommer 1919 konnten die Knaben wieder ihr angestammtes
      Schulhaus beziehen und wir hatten statt 4 nunmehr 6 Stunden
      Unterricht. Auch Sport kam zu seinem Recht. Während der
      Sommerferien begannen in Freising die Turn- und Sportvereine
      wieder ihre Tätigkeit. Hier waren es natürlich die Fußballer,
      die uns interessierten. Da bekam ich Schwierigkeiten mit meiner
      Mutter wegen der kaputten Schuhe, die es ja immer noch nicht gab.
      (mündlich: Wir spielten mit selbst genähten Bällen aus
        Stoffresten.) 
    
Die Berufswahl kam jetzt zur Sprache. In den meisten Berufen
      musste man damals noch Lehrgeld bezahlen, damit man überhaupt
      als Lehrling angenommen wurde. Ich entschloss mich, Bäcker zu
      werden. (Die Bäcker verlangten kein Lehrgeld.) In der
      Bäckerei
      Ludwig Zischka am Goldberg bekam ich schließlich eine Lehrstelle.
      Als ich mich vorstellte, meinte der Meister: "Arg schwach
      ist er halt ." Ich wog damals knapp 60 Pfund. Ich konnte die
      Stelle erst am 1. Januar 1921 antreten. Das halbe Jahr blieb ich
      deswegen in Hetzenhausen bei meinem Onkel und ging da auch ein
      paar Wochen in die Sonntagsschule.
      
      Am 1.1. 1921 trat ich also in das Berufsleben ein. Das Aufstehen
      in der Frühe hat mir zeitlebens keine Mühe bereitet. (Mündlich: 
Die
Lehrlinge
schliefen
        in der Bäckerei in einem Bretter-Verschlag
        auf dem Dachboden. Da es hier im Sommer sehr heiß war, brachten
        sie ihre Betten auf einen Wäschetrockenplatz, einer Art
        Dachterrasse, vor ihrem Dachkammerl. Solche Wäschetrockenplätze
        auf den Dächern von Nebengebäuden gab es in Freising fast bei
        jedem Haus. Im Winter, wenn es im Dachboden zu kalt war,
        schliefen sie auf dem Backofen. Die Freizeit verbrachten die
        Lehrlinge in der warmen Backstube. ) 
        
      Am Vormittag Brot austragen mit der Kirm. (Wie ein
        Rucksack zu tragender großer Korb.) Wichtig war, dass man
      alle Brotmarken nach Hause brachte. Gebacken wurde noch auf einem
      alten Holzbackofen. Wir zwei Lehrlinge hatten zu tun, das nötige
      Holz klein zu hacken. Die Scheite wurden der Länge nach
      gespalten und zwar so dünn, wie man sie auch im Küchenherd
      verfeuert. Deswegen wurde von der Bäckerei nur 1. Klasse Holz
      gekauft. Wöchentlich wurden so 2 bis 3 Ster verbraucht. Das war
      die Nachmittagsbeschäftigung. Mitte Juli 1921 wurde der alte
      Ofen abgerissen und ein Dampfbackofen gebaut. Das Holz machen
      fiel weg, aber dafür waren alle 2 bis 3 Monate 100 bis 150
      Zentner Brikett von der Straße weg in die Hütte zu schleppen,
      weil der Hof so klein war, dass man nicht rein fahren konnte. Als
      der neue Ofen fertig war, wurde die Markenwirtschaft aufgehoben
      und da begann eine Freßwelle. 
      
    
Was die Arbeiter am Samstag ausbezahlt erhielten, musste
      gleich ausgegeben werden, da das Geld  ja am Montag schon
      wertlos
      war. Am
      schlimmsten war es 1923, als der Meister im Laden das Geld in den
      größten Semmelkorb warf. Nach Geschäftsschluss und Abendessen
      wurden alle, auch die Lehrlinge zum Geld zählen und bündeln
      eingespannt. Zum Schluss bekamen wir unseren Lohn, für den wir
      am Montag vielleicht eine halbe Semmel kaufen konnten.
      
      Ein Wort zu dieser Zeit, von der man sich keine Vorstellung
      machen kann, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Es gab
      praktisch nichts zu kaufen und in der Privatwirtschaft auch keine
      Verdienstmöglichkeit. Was in der Industrie erzeugt wurde, ging
      als Kriegsentschädigung ins Ausland. Deshalb gab es viele
      Arbeitslose. Der bayerische Staat nahm einen Vorkriegsplan in
      Angriff, den Bau der mittleren Isar als Kanal für den Betrieb
      von Elektrizitätswerken. Da alles im Handbetrieb geschafft
      wurde, kamen Tausende unter. Von den Freisinger Männern waren es
      viele Hundert. Wegen der Geldentwertung wurde das Lohngeld in
      Lastwagen zu den Baustellen gefahren. Da die Reichsbank mit dem
      Drucken nicht nach kam, waren alle großen Firmen und Städte
      berechtigt, Notgeld auszugeben, mit der Auflage, die Scheine 6
      Wochen später wieder einzulösen. Da bis dahin ja völlig
      wertlos, wurde das Notgeld für die Herausgeber ein glänzendes
      Geschäft. Als im Dezember 1923, die Mark war eine Billion, die
      Währungsreform
      kam, war die mittlere Isar so ziemlich fertig. Als 1924 das
      Wasser der Isar in den Kanal geleitet wurde, ist der
      Grundwasserspiegel zurück gegangen. Das Bayernwerk musste alle
      Brunnen der Dörfer und Bauern tiefer graben lassen, weil sie ja
      alle auf dem Trockenen saßen. Das musste alles mit gutem Geld
      bezahlt werden, was fast so teuer kam, wie der ganze Kanal selber.
      (Anmerkung:
        Dieser
        Absatz ist ein erst später erworbenes Wissen, keine zeitgleiche
        Beobachtung. Für einen Jugendlichen waren die Zusammenhänge
        sicher
        unverständlich. )
      
      Meine erste Eisenbahnfahrt, an die ich mich auch erinnern kann,
      war 1922 mit dem Jugendverein zum Katholikentag nach München, wo
      ich aber statt zu den Veranstaltungen die große
      Verkehrsausstellung besuchte. Vom Münchner Kindl-Keller am
      Gasteig aus fuhr ich mit der Straßenbahn zur Theresienhöhe. Ich
      bestieg die Linien-Nummer, die man mir gesagt hatte. Als der
      Schaffner zum Kassieren kam, die Fahrkarte kostete 20 Mark,
      meinte er: "Mei, Bua, du fährst ja entgegengesetzt. Aber
      bleib nur hocken, wir kommen trotzdem hin. " Er hat mir
      angesehen, dass ich vom Land kam und zum ersten Mal Straßenbahn
      fuhr. 
      
      Die zweite Fahrt war ein Schulausflug 1923 nach München ins
      Deutsche Museum. Es war ein Sonntag, denn an einem Arbeitstag
      hätten
      wir Lehrlinge ja nie frei bekommen. Wir vom Lebensmittel-Handwerk
      hatten grundsätzlich in unserer Freizeit nachmittags Schule,
      während
      die anderen Berufe einen ganzen Tag Schule hatten, da sie ja doch
      irgendwie Arbeit versäumten. 
      
      Es war meines Wissens der erste solche Schulausflug, den ein
      Freisinger Lehrer organisierte. Unser Lehrer, Herr Dietrich,
      schaffte das 1923, als die Inflation dem Höhepunkt zustrebte und
      der Dollar eine Milliarde Mark kostete. Der Lehrer kaufte die
      Fahrkarten schon 3 Tage vor der Fahrt und Verpflegung hatten wir
      Schüler selbst dabei. Das Deutsche Museum war noch provisorisch
      in der Maximiliansstraße untergebracht. Mit einem Röntgenapparat
      konnte man selbst beliebige Sachen durchleuchten. Der Lehrer
      hielt seine Brieftasche hin und sie war leer. Wir lachten alle.
      Doch als er sie vor uns aufschlug, war sie voll mit
      Millionenscheinen. Die Strahlen waren durch das wertlose Papier
      durch gegangen. Heute ist dieser Apparat nicht mehr im Museum,
      weil man inzwischen die Gefährlichkeit der Strahlen erkannte.
      
Ich hatte meine Lehrzeit fast beendet. Die letzten 4 Wochen (Dezember
        1923) erhielt ich einen viertel Dollar Wochenlohn. Die
      ersten
      4 Wochen als Geselle bekam ich 5 Mark Wochenlohn, wurde aber
      ständig
      aufgebessert. 1928 erhielt ich 25 Mark. Im April 1924 hatte ich
      130 Mark erspart und ich kaufte mir dafür ein Fahrrad. Erding,
      Scheyern, Dachau waren so die ersten Touren. Auf Pfingsten
      Kelheim, Regensburg, Walhalla, Landshut, Freising. Im August
      hatte ich erstmals Urlaubstage. Mit Freund Elfinger wanderten wir
      von Schliersee über Gmund, Tölz, auf die Benediktenwand. In
      einer Holzknechthütte konnten wir umsonst übernachten. Auf der
      Tutzinger Hütte hätte es 3,50 Mark gekostet. So viel Geld
      hatten wir nicht mehr. Wir brauchten außer der Fahrt vielleicht
      6 Mark.
      
      1925 ging die Urlaubsfahrt allein auf die Zugspitze. In
      Freising fuhr damals Sonntags schon um halb 3 Uhr ein Zug nach
      München,
      damit man dort die ersten Züge in die Berge erreichte. So war
      ich um halb 8 Uhr bereits in Garmisch. Über das Höllental auf
      die Zugspitze. Am anderen morgen Abstieg zur Reinthalhütte,
      Aufstieg über den Schachen auf die Meilerhütte. Nach einem
      Gipfelbesuch der Dreitorspitze Abstieg über Ferchen- und
      Lautersee nach Mittenwald. Hier blieb ich privat über Nacht.
      Nachmittag Rückfahrt nach Freising.
      
      1925 oder 1926 ist es meiner Mutter eingefallen, dass sie sterben
      könnte und ich besaß keinen schwarzen Anzug. Im Nachbarhaus
      hatte sich ein sehr guter Schneider nieder gelassen. Er hat ein
      Mädel
      aus unserem Haus geheiratet und sich deshalb mit seinem Vater
      verkracht, der als Uniformschneider bei den Offizieren einen
      guten Ruf hatte. Der Schneider im Nachbarhaus fertigte mir, als
      ich noch nicht zwanzig Jahre alt war, auf Mutters Kosten einen
      schwarzen Anzug für den Fall ihrer Beerdigung, als teuerstes und
      bestes Stück im Kleiderschrank. Als meine Mutter fast 40 Jahre
      später starb, war ich aus diesem Anzug natürlich längst heraus
      gewachsen.
      
      1926 Eine Woche Urlaub. Der Großglockner war das Ziel. (Die
Großglocknerstraße
        war noch nicht gebaut.) Von der Früh um
      halb 3 Uhr bis 5 Uhr nachmittags fuhren wir mit Personenzügen
      nach Bruck Fusch. Schnellzüge wären uns zu teuer gewesen.
      Übernachten
      in einem Heustadel. Am Montag Aufstieg zum Franz Josef Haus. Es
      war so starker Nebel, dass wir, als wir einen Mann sahen, fragten
      wie weit noch bis zum Haus sei. Er stand auf den Stufen zum
      Eingang. Das Wetter war zweifelhaft, so dass wir nur bis zur
      Erzherzog Johann-Hütte wanderten. Wir hätten so am anderen Tag
      eine Stunde erspart. In der Nacht schneite es 40 cm und damit war
      es aussichtslos. Alle Bergsteiger stiegen ab. ( Anmerkung:
        Mein Vater und sein Kamerad Elfinger hatten, von der
        Zugspitz-Tour
        einmal abgesehen, keinerlei Berg-Erfahrung. Wahrscheinlich
        hatten
        die Beiden sogar ein Seil dabei, aber keine Ahnung, wie damit
        umzugehen war. Mein Vater hat sich für diese Tour einen
        Eispickel und Steigeisen gekauft. Er hat sie nie benützt, jedoch
        viele Jahre aufgehoben. Als ich, der Sohn, 30 Jahre später zur
        Jugendgruppe des Alpenvereins ging und diese Ausrüstungsstücke
        mit brachte, löste ich mit den Altertümern große Heiterkeit
        aus. Den Eispickel benützte mein Vater bis zu seinem Tod als
        Gartenwerkzeug. ) 
      Wir stiegen mit 2 netten Wiener Herren, so Mitte 40, nach
      Heiligenblut ab. Wieder war ein Heustadel Nachtquartier. Am
      anderen Tag wanderten wir durch das Mölltal hinaus nach Lienz an
      der Drau. Mit dem Zug fuhren wir über Spital und Bad Gastein
      nach Salzburg. Die Wiener Herren fuhren von hier aus heim. Wir
      blieben am Bahnhof über Nacht, besichtigten Salzburg und die
      Festung. Am letzten Tag fuhren wir über Mühldorf - Landshut
      wieder heim.
      
      1927 (mündlich: Im Spätwinter 1927 hatte ich einen
        Platten-Fotoapparat Marke Voigtländer für 128 Mark gekauft.
        Leider blieben von den frühen Bildern wenig erhalten.)
      
      Neben den üblichen kleinen Radtouren war der große Kolpingstag
      das große Ereignis. Er fand über die Pfingstfeiertage in Wien
      statt. Da wir schon am Freitag Nacht mit einem Sonderzug nach
      Passau fuhren, musste ich für Samstag und Dienstag einen
      Ersatzmann in der Bäckerei herbringen. Zum Glück fand ich einen
      ehemaligen Schulkameraden. Im Passauer Dom war früh 3 Uhr eine
      Messe mit anschließendem Orgelkonzert auf der eben fertig
      gestellten größten Orgel der Welt. Auf der Donau stand ein
      Sonderschiff bereit. Erst hieß es, es würden 2 fahren, aber
      schließlich wurden alle auf eines gepfercht. Wir 20 Freisinger
      fanden ein schönes Plätzchen hinter dem Speisesaal, wo die
      Bierfässer gelagert waren und der deshalb abgesperrt war. Man
      wollte uns einige male vertreiben, aber das Schiff war so
      überladen,
      dass man keinen Platz fand. Das Schiff lief hinten spitz aus und
      wir konnten, auf unseren Fässern sitzend, links und rechts alles
      sehenswerte anschauen, was denen, die in Schiffsmitte standen, 10
      Stunden lang, eben nicht möglich war. In Wien fuhren wir mit der
      Straßenbahn umsonst, weil jeder 100 Schilling vorzeigte, die der
      Schaffner nicht wechseln konnte. Wir bekamen in der Neustiftgasse
      Zimmer in einem Stundenhotel, was wir natürlich nicht wussten.
      In der Votivkirche fand der Festgottesdienst statt. Auf dem
      Heldengedenkplatz die große Feier. Im Festzug dort hin erregten
      die Mainburger Gesellen Aufmerksamkeit, weil sie ihren Holledauer
      Schimmel voraus trugen. In allen Wiener Zeitungen wurde das
      vermerkt. Am Pfingstmontag Schönbrunn und Fest. Am Dienstag
      Besichtigung von Stefansdom, Prater. Wir fuhren auch mit dem
      Riesenrad. Abends ging es zum Heurigen. Nachts um 11 Uhr fuhr der
      Sonderzug wieder ab Richtung München.
      
      Ich hatte noch ein paar Tage Urlaub gut. Bei einer Radtour nach
      Berchtesgaden ging es über Erding, Wasserburg, Traunstein,
      Reichenhall. Die letzten Kilometer fuhr ich mit der Bahn, da es
      ziemlich bergauf ging. Königsee, Salzbergwerk, Stift. die
      Heimfahrt ging über Ramsau, Schwarzbachwacht, Inzell, Traunstein.
      Von hier mit der Bahn nach Freising. 
      
      1928 gab es keinen Urlaub mehr, weil der nächste Lehrling
      aus gelernt hatte und mir die Stellung gekündigt wurde. Nach 2
      Wochen stempeln fasste ich den Entschluss, auf die Walz zu gehen
      und zwar per Rad.
    
(Anmerkung:  
        Es war 1928 durchaus noch üblich, als Handwerksgeselle auf
        Wanderschaft
        zu gehen.  Fragte ein wandernder Bäckergeselle in einer
        Bäckerei
        nach Arbeit und wurde negativ beschieden, so war es üblich, dass
        er als
        Wegzehrung eine Semmel bekam.  Die Verpflegung bei der
        Wanderschaft war also sicher gestellt. Für die Übernachtung gab
        es in
        größeren Orten Gesellenhäuser oder Kolpinghäuser.
        (Der spätere Schwager Johann Heiß  war Schreiner und kam
        bei
        seiner Wanderung etwa zur gleichen Zeit durch ganz Deutschland
        bis nach
        Hamburg, wobei er  an einigen Orten kurzzeitig Arbeit bekam
        und
        auch etwas lernte, so zum Beispiel in Immenstadt die
        Schi-Herstellung.)
        
      
Diese "Wanderschaft" war  jedoch nach einem  Tag
        schon  wieder  zuende: Die Radtour führte lediglich
        amperaufwärts.) 
      
Ich kam bis Moorenweis, Landkreis Fürstenfeldbruck,
      wo ich eingestellt wurde. Die Bezahlung war miserabel, 5 Mark die
      Woche. Aber nachträglich muss ich sagen, dass es nicht das
      schlechteste war. Im November kam der Kiening Hans (kein
        Verwandter. Am Büchl in Freising hießen alle Kiening.), der
      auch bei Zischka gelernt hatte, per Rad aus Bruck, wo er in
      Stellung war. Er gab diese auf. Von meiner Mutter erfuhr er, wo
      ich war. Ich stellte mich bei der Bäckerei Jocher (in
        Fürstenfeldbruck)
      vor und wurde auch gleich genommen. Bis Ende Januar 1937
      hatte ich einen sicheren Arbeitsplatz. 1929 begann die
      Weltwirtschaftskrise und Deutschland hatte 1932 6 Millionen
      Arbeitslose. 
      
    
Schon in Freising war ich Mitglied des Lehrlingsvereins und
      trat dann zum Gesellenverein über. Dieser Verein spielte viel
      Theater, aber das sonstige Leben war nichts besonderes. Außer
      der Wienfahrt natürlich. In Fürstenfeldbruck war es ganz anders.
      Natürlich gab es eine sehr gute Theatergruppe. Das Vereinsleben
      war viel geselliger, obwohl es fast nur Bürgersöhne waren. Wir
      waren vielleicht 5 bis 8 Flüchtlinge (Ortsfremde), wie
      man heute so schön sagen würde. (Die Gesellenkammer in der
        Bäckerei
        war nur ein ungeheizter Schlafraum. Da konnte man sich in der
        Freizeit kaum aufhalten. ) Jeder wurde von der ersten
      Stunde
      voll angenommen. In erster Linie lag das am Präses Kooperator
      Schmidhuber. Er war jeden Dienstag pünktlich da. Der Verein
      hatte kurz vorher einen kleinen Saal in einem kleinen Café
      gefunden und eingerichtet, so dass wir hier ein eigenes Lokal
      hatten. Kooperator Schmidhuber war schon nahe an die Fünfzig. Er
      wartete auf eine bestimmte Pfarrei mit einer schönen Kirche:
      Rottenbuch bei der Eschelsbacher Brücke. Er war alles andere als
      bigott. Er sah die Welt wie sie war und nicht wie sie in den
      Augen katholischer Pfarrer sein sollte. In den 4 Jahren, die ich
      ihn hier erlebte, hat er keinen einzigen kirchlichen Vortrag
      gehalten. Er reiste gerne und sprach darüber. Da ich selbst viel
      auf Achse war, gab er mir oft Ratschläge über Kirchen, an denen
      ich sonst vorbei gefahren wäre.
      
    
Zunächst beruflich: Es wurde hier noch früher aufgestanden,
      nämlich um 2 Uhr, da das gesamte Weißgebäck um 6 bis halb 7
      Uhr fertig sein musste. Die Bäckerei hatte einen elektrisch
      gespeisten Ofen, der mit Nachtstrom beheizt wurde und um 6 Uhr
      abgeschaltet wurde. So lange er eingeschaltet war, blieb die
      Hitze gleichmäßig. Dann ging die Wärme schnell zurück. In
      Bruck war im ehemaligen Klostertrakt die bayerische Polizeischule
      untergebracht, schwankend zwischen 400 bis 600 Mann. Jeder
      erhielt alle 4 Tage 2 Pfund Brot, das monatlich wechselnd von den
      5 Bäckereien geliefert wurde. Da begann die Arbeit schon um halb
      10 Uhr und es wurden 200 Wecken vor der täglichen Arbeit
      gebacken. Denn bei Tag wäre der Ofen zu kalt geworden. Von wegen
      48 Stunden-Woche. 
      
      1930 und 1931 nahm ich im Münchner Gesellenhaus je an einem
      Konditoren-Kurs teil. Zweimal wöchentlich 3 Stunden. 1930 hatten
      wir einen älteren Konditormeister als Lehrer, der aus der Praxis
      kam, weil er selber als Stunden-Konditor in einigen Bäckereien
      arbeitete. Der Lehrer vom Winter 1931, ein jüngerer Herr, ging
      von Voraussetzungen aus, die wir als Bäckergesellen nicht
      bringen konnten. Deshalb brachte dieser Kurs nicht viel. 
      
      (Mündlich: 1934 war ich in einem Meisterkurs in München. Am
        9.4.1934 absolvierte ich die Prüfung als Bäckermeister in
        München.
        )
      
      Da wir in Bruck schon um 2 Uhr nachts mit der Arbeit angefangen
      haben, hatte wir nachmittags frei. Da habe ich dann wieder zu
      lesen begonnen. Es gab eine Pfarrbibliothek. Der Benifiziat, der
      sie betreute, war sehr tolerant. Neben kirchlichen
      Schriftstellern waren auch solche vertreten, die von den Eiferern
      nicht gerne gesehen wurden, wie Heer und Thoma.
      
      Im Sommer 1932 erhielt Kooperator Schmidhuber die gewünschte
      Pfarrei. Der neue Präses war genau das Gegenteil, bigott,
      unpünktlich.
      So war es kein Wunder, dass der Verein schnell auseinander fiel.
      Als im Winter 1933 die Nazis zur Macht kamen, gingen sehr viele
      Bürgersöhne
      zur SA, schon aus geschäftlichen Gründen. Außer einigen Älteren,
      die regelmäßig zum Kartenspielen kamen, waren nur noch ein paar
      Jüngere im Gesellenverein.
      
      Zur Ehre der Nazis sei gesagt, dass es in Bruck ruhig weiter ging.
      Das mag daher rühren, dass alle Bonzen Brucker Bürger waren,
      die alle kannten und auch bekannt waren. Mir sind nur ein oder
      zwei Fälle bekannt geworden, die nach Dachau (ins KZ) kamen.
      (Anmerkung: Für meinen Vater wären die Artikel im "Amperland"
        sehr interessant gewesen: "Die SA in Fürstenfeldbruck"
        (Amperland 2002 Heft 2 und 3) und "Zur Entnazifizierung im
        Landkreis Fürstenfeldbruck" (Amperland 2007 Heft 1 und 3).
        Leider hat er diese Veröffentlichungen nicht mehr erlebt. Es
        bleibt wohl den Enkeln überlassen, die Nazizeit auf zu
        arbeiten.)
        
        
      Im Gegensatz zu Freising, wo allein aus meiner Schulklasse 6 (ins
KZ
kamen).
      2 blieben dort (sind also umgekommen), 4
      wurden nach einem Jahr entlassen und wurden im Krieg zum
      Batallion 999 eingezogen, wo sie nicht mehr heim kamen. (Anmerkung:
Über
        die Nazizeit in Freising habe ich selbst in der jüngsten Zeit
        (2008) noch nichts
        gelesen. Dieses Eisen ist wohl immer noch zu heiß, um von
        Zeitschriften wie "Amperland" angefasst zu werden. )
      
      
    
Bei der Hochzeit eines Gesellenvereins-Mitglieds wurde dessen
      Braut gestohlen. Er suchte sie in allen Wirtschaften. Nachts um
      10 Uhr begegnete ihm Kooperator Schmidhuber, der einen Versehgang
      (Besuch bei einem Sterbenden) hatte. Er fragte ihn, warum
      er rumläuft. Er sagte dann: "lass dich gern haben, gehe
      heim. Wenn es eine gescheite ist, kommt sie von alleine und um
      ein Luder ist es nicht schade, wenn sie ausbleibt." Die
      junge Frau lag daheim im Bett und weinte Rotz und Wasser, weil
      der Mann schon am Hochzeitstag nicht heim kam. 
      
      Bei einer anderen Hochzeit hatten wir die Haustüre mit
      Ziegelsteinen verbarrikadiert. Da man im Hochzeitsanzug kein
      Werkzeug in der Tasche hat, wusste sich das Brautpaar trotzdem zu
      helfen. Das Haus war so niedrig, dass man den Schlüssel in die
      Dachrinne legen konnte. Der Hochzeiter half seiner Frau auf das
      Dach, im weißen Brautkleid. Sie drückte ein Speicherfenster auf
      und stieg ein. Mit einem Waschseil ließ sie einen Hocker
      herunter, damit er auch aufs Dach und so in das Haus kam. 
      
      Eine weitere Hochzeit gab in Bruck Gesprächsstoff ab: Der
      Schnetzer Girgl betrieb mit seiner Mutter eine Gärtnerei. Er
      verkaufte seine Ware jeden Vormittag auf dem Marktplatz. Da seine
      Mutter sehr bösartig war, konnte der Sohn nicht heiraten. Er
      ging mit einer Köchin vom Marthabräu 17 Jahre lang. Als er das
      Aufgebot bestellte, bat der den Beamten, er solle es im
      Schaukasten etwas verstecken. Dieser zog den Schein jedoch auf
      einen schwarzen Karton auf und befestigte ihn in der Mitte vom
      Kasten. Der Redakteur der Zeitung, auch ein Junggeselle über 40
      ( bei der Machtübernahme (der Nazis) floh er rechtzeitig
      nach Südamerika), schrieb, dass einer der letzten vom Fähnlein
      der 7 Aufrechten zur Ehe ging. Auf Wunsch des Hochzeiters fand
      die Trauung schon in der Frühmesse statt. Der Pfarrer selber las
      die Messe. Bei der entscheidenden Frage "Willst du den
      gegenwärtigen Mann zur Ehe nehmen?" zögerte die Braut
      einen Moment. Der Pfarrer zischte: "No, nimmst ihn jetzt
      oder nicht. Laufen tut ihr ja schon lang genug mit einander."
      Überflüssig zu sagen, dass es an diesem Tag nur ein Thema in
      Bruck gab. 
      
      Kooperator Schmidhuber hatte auch einen gemischten Chor gegründet.
      In seinen jungen Jahren soll er eine sehr gute Tenorstimme gehabt
      haben und im Freisinger Domchor Solo gesungen haben. Es waren so
      20 Damen und so 10 Männer. Wir wurden eine Klicke und wanderten
      auch sonntags zusammen. 
      
      Im Herbst 1931 fuhren wir nach Thiersee zu einem Theater. Der
      Pfarrhof war damals zugleich eine Gastwirtschaft und schenkte
      guten Wein aus. Mit einem Kameraden zusammen schlief ich bei
      einem Bauern. Wir waren kaum im Bett, wurde dem Freund schlecht.
      Er rannte zum Fenster, brachte den Kopf glatt durch die
      Eisenstangen vor dem Fenster, aber leider nicht mehr herein. Nach
      vergeblichen Versuchen weckte ich den Bauern und wir bogen mit
      einer Wagendeichsel die Stangen aus einander. 
      
    
Im Herbst gab es viele Zwetschgen und deshalb in der
      Konditorei wenig zu tun, denn alles aß selbst gebackenen Datschi.
      So war ich schon um 12 Uhr mittags fertig. Mit dem Rad fuhr ich
      über München in Richtung Holzkirchen. Hier überholte ich
      mehrmals einen etwa 40-jährigen Münchner. Er fragte mich:
      "Wo fährst du hin?" "Ich weiß es noch nicht,
      vielleicht nach Tegernsee." " Was möchtest du in den
      teueren Nest, fahre lieber mit mir nach Hausham."
      
      In Darching kehrten wir zur Brotzeit ein. Er bestellte 2 Maß.
      Wer anschafft, der zahlt. Auch zweimal 2 Paar Wollwürste. Doch
      sie schmeckten ihm nicht: "Magst es !". Nach dem
      Mangfalltal hatten wir den Weyerner Berg zu schieben. Damals gab
      es die Autobahn mit der Weyerner Brücke noch nicht und selbst
      die Landstraßen waren nicht asphaltiert, die Autos allerdings
      selten. 
      
      Am Weyerner Berg überholte uns ein Hanomag, der Kleinwagen der
      Zwanzigerjahre: 2 Pfund Blech und 1 Pfund Lack und fertig ist der
      Hanomag. Eine Frau fuhr. Links saß ihr Begleiter. Der Wagen
      staubte uns völlig ein und blieb dann vor uns stehen. Als wir
      vorbei schoben, lachten uns die Autofahrer aus. Sie fuhren dann
      wieder in einer Staubwolke vorbei, um nochmal anzuhalten. "Wenn
      sie kommen, hältst du mein Rad !" sagte mein Begleiter. Als
      das Auto überholte, sprang er auf das Trittbrett und gab der
      Frau links und rechts eine Ohrfeige. Darauf schaffte das Auto den
      Berg auf einmal.
      
      Im Naturfreundehaus in Hausham wurde abends getanzt. Da ich nicht
      tanzen konnte, zog ich jedes mal das Grammophon auf. 
    
Dieses Thema fehlt in der Aufschreibung meines Vaters. Es
        gibt jedoch Fotos .
        
        Faltboote waren um 1930 die aktuellen Sportartikel und deshalb
        hat mein Vater auch eines gekauft. Die Amper in Fürstenfeldbruck
        war ein geeigneter Fluss direkt vor der Haustüre. Flussaufwärts
        bis Schöngeising oder flussabwärts in die delta ähnlichen
        Verzweigungen bei Emmering kann man überall schön paddeln. Auf
        der Donau von Ulm bis Wien zu paddeln, war der Traum der
        Faltbootfahrer. Ein "Wasserwanderführer für die Donau von
        Ulm bis Passau" existierte in unserem Haushalt bis in die
        1960-er Jahre und ich habe ihn als Kind gerne gelesen. Meine
        Eltern kamen mit dem Faltboot über die Amper und die Isar bzw.
        Loisach bei Wolfratshausen nicht hinaus. Einmal fuhren sie mit
        dem Boot auf dem Chiemsee. Nach dem Krieg hat meine Mutter das
        Boot, dessen Gummihaut sicher schon brüchig war, noch in der
        Reichsmarkzeit vertauscht. 
        Erst nach dem Tod meines Vaters erzählte sie mir eine etwas
        peinliche Begebenheit: Die Faltbootfahrer brachten ihre Kleidung
        und sonstigen Habseligkeiten in einem wasserdichten Gummisack im
        Boot unter. Einmal hat mein Vater mit seinem Boot umgeworfen. Es
        ist ihm selbst zwar nichts passiert, denn er konnte gut
        schwimmen
        und sein Boot hat er auch eingefangen. Aber der Kleidersack mit
        seiner einzigen Lederhose, Geldbörse und sonstigen Kleidung ist
        ihm davon geschwommen und er hat somit seine sämtlichen
        Habseligkeiten und Geld bis auf die Badehose, die er an hatte,
        verloren. Meine Mutter, die beiden kannten sich wohl noch nicht
        lange, hat ihm dann Geld geliehen, damit er sich wieder Kleidung
        kaufen konnte. So hat sich also meine Mutter ihren Mann
        "gefischt".
        
        
      
Wenn ich heute mein Leben so überblicke, kann ich wohl sagen,
      dass die Brucker Jahre zu meinen schönsten zählten und mich
      entscheidend prägten. In Bruck lernte ich auch meine Frau
      Margarethe kennen. Sie war in der gleichen Bäckerei (von
        15.10.1930
        bis 15.6.1933) beschäftigt. 1933 ging sie für einen Sommer
      nach hause ( zur Ernte in der elterlichen Landwirtschaft) und
trat
      im Herbst eine Stelle in München (als Köchin bei der Familie
        Späth, die weiter unten nochmal genannt wird)  in der
      Zenettistraße an.
      Meistens trafen wir uns dann alle 14 Tage, so in der Gegend
      Gräfelfing.
      ( Am freien Mittwoch nachmittags fuhren wir mit dem Rad los
        und trafen uns auf halbem Weg zwischen Bruck und München im
        Kreuzlinger Forst. Wir hatten ja noch kein Telefon zur
        Verfügung.
        Für alle Mitteilungen wurden Postkarten geschrieben. )
      
      Mit dem Urlaub haperte es bei Gretls Stelle in München. Zweimal
      erhielt sie je eine Woche. 1934 fuhren wir nach Südtirol und
      1935 an Rhein und Mosel. (Am Rhein war die Radler-Gruppe
        allein
        schon durch ihre Lederhosen als Bayern erkennbar und
        aufgefallen.)
          Sonntags- und Wochenendfahrten
      unternahmen wir mehrere.
      
      1936 Ich ging schon an die 30 und ich machte mir Gedanken
      für meine Zukunft. Ich wollte nicht immer in abhängiger Stelle
      sein, sondern für mich selbst arbeiten. Inzwischen war ich
      erster Geselle geworden. Die Bäckergesellen, die eingestellt
      wurden, wechselten rasch, da 12- und 14-stündige Arbeitszeit
      nicht mehr gefragt war. Die Arbeitslosigkeit war abgebaut.
      
      1937 Im Januar 1937 gab ich die Stelle in Bruck auf. Gretl
      besorgte mir ein Zimmer bei Schweizer in der Zenettistraße (Josef
Schweizer,
        Polier bei der Firma Späth,  wurde bald darauf der
        Schwager, da er Gretls Schwester
        Kathi (siehe deren Lebensgeschichte)
        geheiratet hat.) und ich ging auf Geschäftssuche. Ich
      fand eines in der Parkstraße. Es war ein Eckgeschäft, kostete
      5000 Mark (Ablösung für die Einrichtung) und 300 Mark
      Monatsmiete. Am 25. Februar 1937 haben wir geheiratet und am
      gleichen Tag das Geschäft gekauft. (Für den Kaufpreis
        reichten unsere Ersparnisse nicht aus, deshalb gab meine Mutter
        in Freising noch ihr Spargeld dazu.)
        
      Sicher, die Arbeitszeit war nicht kürzer, aber wir
      arbeiteten doch für uns. 
      
      (Anmerkung: Das muss ich, der Sohn, nun doch etwas erläutern:
        Mein Vater ging spätestens um 4 Uhr in die Backstube, damit um 6
        Uhr, wenn meine Mutter den Laden öffnete, Brot und Semmeln
        fertig waren. Gleich am frühen Morgen kamen die Berufstätigen
        einkaufen, um ihre Brotzeit mit in die Arbeit zu nehmen. Am
        späten
        Vormittag war mein Vater in der Backstube mit der Arbeit fertig
        und konnte meine Mutter im Laden vertreten. Dann hatte meine
        Mutter etwas Zeit für die Hausarbeit. Um 6 Uhr abends wurde
        normalerweise der Laden geschlossen, geputzt und das Geld
        gezählt.
        Um 8 Uhr abends fielen beide müde ins Bett. Auch ich als Kind
        und Jugendlicher musste zwangsläufig um 8 Uhr ins Bett, was
        meine Freunde sehr verwunderte: "Eine seltsame Familie !
        " Frei waren nur Samstag nachmittags und Sonntag. Urlaub und
        Krankheit war in diesem Lebensplan nicht vorgesehen.) 
        
      
(Kommentar, eingefügt 2018:
      
       Die Militärdienstzeit nimmt einen großen Teil seiner
        Lebensgeschichte ein. Er schreibt aber nichts über das Militär,
        sondern immer nur darüber, wie er sich privat der
        Befehlsmaschinerie zu entziehen versuchte, ohne damit an zu
        ecken.Es geht immer nur darum, wie er das autoritäre System
        ausgetrickst hat.  In den Jahren der Gefangenschaft gab
        es  diese Möglichkeiten nicht mehr. 
       
       Es  sollte nicht vergessen werden, dass während der
        Lebenszeit meines Vaters zweimal das Geld seinen Wert völlig
        verloren hat (1923 und 1948) , alle Ersparnisse einer falschen
        Politik geopfert wurden. Es wäre ungerecht, ihm vor zu werfen,
        dass er am Ende seines Lebens fast vor dem Nichts stand, nichts
        Bleibendes geschaffen hat, weder materiell noch ideell, mit
        Ausnahme seiner vorstehenden Lebensgeschichte.
       
       Die beiden Kriege, die er erleben musste, waren keine
        Naturkatastrophen, sondern mutwillig von einer wahnsinnigen
        deutschen Staatsführung verursacht.  )
        Fortsetzung des Originaltextes: 
       
Politisch ging es nun rasant. Im Frühjahr 37 (der
        Anschluss von) Österreich, im Herbst Sudetengau, 1938
      Saargebiet und die Tschechoslowakei. 1939 begann dann der Krieg.
      Schon ein paar Wochen vorher wurde alles rationiert. 
      
      1940 im September erhielt ich die Einberufung (zum
        Militär). Das Geschäft wurde geschlossen. ( Die Vorräte
        der Bäckerei (Mehl, Zucker) mussten an eine Sammelstelle zurück
        gegeben
        werden.) Die
      Miete wurde vom Staat bezahlt. (Sie war ja das Mehrfache eines
        normalen Monatseinkommens.).
        
      Zur Rekrutenausbildung musste ich nach Neuburg an der Donau.
      8 Wochen später wurden wir zu den Landesschützen nach München
      versetzt. Hier konnte ich an wachfreien Abenden nach Hause gehen.
      
      
      (Anmerkung: Diese Einberufung gehörte schon zu den
        Vorbereitungen des Rußlandfeldzuges im folgenden Jahr, denn
        militärisch war zu diesem Zeitpunkt wenig los. Polen, Frankreich
        und
        Norwegen war besetzt. Das Militär hatte sich verausgabt
        und 
        musste sich neu aufstellen. Am Anfang des Krieges wurden zuerst
        die
        jungen Wehrpflichtigen, die Jahrgänge um 1920 eingesetzt. Wer
        überlebt
        hatte, wurde befördert und kommandierte nun die 1940
        eingezogenen schon
        älteren Jahrgänge von 1906 bis 1914. Die Geburtsjahrgänge von
        1914 bis
        1919 fehlten fast völlig, denn während des ersten Weltkrieges
        wurden
        wenig Kinder geboren. So ergab sich die paradoxe Situation, dass
        die
        Dienstgrade um 20 Jahre alt, die Mannschaft aber um 35 Jahre alt
        war.
Bis zum Beginn des Rußland-Krieges wußte das  Militär mit
        den neuen Rekruten wenig anzufangen, deshalb durfte  mein
        Vater  oft nach hause. 
      
Mein Vater rechnete nicht mit einem schnellen Ende des Krieges
        und einer Wieder-Öffnung seiner Bäckerei.
        Da meine Mutter durch den Krieg praktisch ohne Beschäftigung
        war, haben meine Eltern nun offensichtlich geplant und
        konsequent
        ein Kind erzeugt, eben mich, der diesen Text eintippt. In den 6
        Jahren ihrer ledigen und bis dahin 3 Jahren ehelichen
        Partnerschaft war ein Kind praktisch nicht möglich, da meine
        Mutter ja stets als Arbeitskraft einsatzfähig sein musste. Die
        Entscheidung für ein Kind erfordert einen gewissen Optimismus
        für
        die Zukunft. Ob sich meine Eltern anders entschieden hätten,
        wenn sie geahnt hätten, wie schlimm der Krieg enden wird, habe
        ich leider versäumt zu fragen. 
        
        Die Entscheidung für ein Kind hatte auch eine praktische Seite.
        Kinderlose Frauen wurden zur Arbeit in den Rüstungsfabriken
        dienstverpflichtet. Mit einem kleinen Kind ersparte sich meine
        Mutter diese Belastung.) 
    
Im Mai 1941 wurden alle Bäcker und Metzger aussortiert und in
      die Blumen- und Martinsschule versetzt. Schon einige Wochen später
      wurden Bäcker- und Schlächtereikompanien zusammen gestellt. Wir
      kamen nach Arnsberg in Westfalen. Hier stießen dann noch
      Kraftfahrer zu uns. Die Lastwagen mussten wir in Paris abholen. (Die
französischen
Autofabriken
        produzierten also schon für das
        deutsche Militär.) Ich war als Beifahrer eingeteilt, so
      dass
      ich bei dieser Gelegenheit die Stadt Paris kennen lernte. 4 Tage
      waren wir dort. Über Brüssel - Aachen ging es wieder nach
      Arnsberg. Hier wanderte ich zum Möhnesee und einmal zur
      Sorpetalsperre. Hier in Westfalen wurden fast alle Flüsse zu
      Seen aufgestaut und als Trinkwasser-Reservate verwendet. 
      
      Im August 1941 ( begann der Rußland-Feldzug und ) es ging
      per
      Lastauto auf der Autobahn über
      Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt an der Oder nach Warschau. (Das
Fotoalbum
        enthält Bilder, die vermutlich das Warschauer Getto
        zeigen.) Wir waren Armee-Bäckerei der Panzerarmee Nord. Im
      Gegensatz zu Divisions-Bäckereien, die beim Vormarsch oft nur 1
      bis 2 Tage an einem Orte lagen, blieben wir oft 14 Tage an einem
      Ort liegen und versorgten zum Schluss den Nachschub. Aber wenn
      verlegt, kamen wir bis zur Front. Der östlichste Ort der
      Nordfront war Orel. Hier besetzten wir eine russische Brotfabrik.
      Sonst wurde in 3 Schichten in der Bäckerei gearbeitet. Dazu
      Arbeitsdienst, Brotausgabe und Holz machen. Wir verheizten täglich
      4 Ster Holz, kurz geschnitten und gehackt wie für einen
      Küchenherd.
      Das gab allerhand Arbeit so nebenher. Wenn das Aggregat ausfiel,
      jeden Monat so 1 bis 2 Tage, es lief ja jeden Tag 18 Stunden,
      mussten wir den Teig von Hand mischen und kneten. Alle 2 Stunden
      500 Kommissbrote. Dazu den nötigen Sauerteig. Das Wasser dazu,
      ca. 1500 Liter musste so nebenbei an irgend einem Brunnen besorgt
      werden. Wir hatten 5 Wasserfässer zu 200 Liter. Erst später
      nahmen die Kraftfahrer einen liegen gebliebenen Tankwagen mit,
      der 3000 Liter fasste. Das waren die Probleme für das
      Vorauskommando, wo backen, wo Holz und wo Wasser. Abbruchreife
      Holzhäuser gab es ja oft, aber Wasser war rar. So eine Zisterne
      war rasch leer. Unsere Backmeister und Schichtführer waren fast
      alles jüngere Leute, die als Zivilisten zu Bäckereikompanien
      eingezogen wurden und erst in München beim Ersatzbatallion zu
      Soldaten ausgebildet wurden.
      
      Wir hatten vor allem im strengen Winter 1941 - 42
      Schwierigkeiten, denn das Rezept, das man uns mitgegeben hat,
      welche Menge Wasser, Mehl, Sauerteig und Holzstreumehl (?) funktionierte
nicht
mehr.
      Wir haben da ein Zeug gebacken, das nach 8 Tagen noch
      am Messer klebte. Ich sagte dem Backmeister, er solle den
      Sauerteig verdoppeln und da ging es wieder. Er hat mich immer gut
      leiden können. Ich bekam noch vor den Schichtführern das
      Kriegsverdienstkreuz. Das gab Neid. 
      
      Die Post war immer bei der Armeeführung und einmal brachte der
      Feldwebel nur ein Telegramm für mich, dass mein Sohn geboren
      wurde (30.8.1941). Dadurch wussten es gleich alle und es
      wurde natürlich gefeiert. Ich hatte schon etliche Flaschen Sprit
      und Zucker gehortet. Einmal war eine Zuckerfabrik in der Nähe.
      Der Spieß spendierte noch 2 Flaschen Sekt. 
      
      Im Frühjahr 1942 musste unsere Kompanie jeden Samstag
      einen Verpflegungszug ausladen. Dafür fuhren wir als Begleitung
      für das Leergut. Unsere Kompanie erhielt 2 bis 3 Karten im Monat
      für den Fronturlauber-Zug. Es hätte Jahre gedauert, bis wir
      alle an die Reihe gekommen wären. Wir waren 3 Münchner und da
      die Einheit ja von München kam, waren wir bis Mai 1941 daheim.
      Deshalb waren wir die letzten. 
      
      Mitte August mussten wir zum Chef (Hauptmann der Kompanie).
      Er sagte uns, dass im September anfangs, Mitte und ende, je eine
      Platzkarte für uns da sei. Aber er hatte im
      Armeeverpflegungslager gehört, dass 3 Waggon leere Bierfässer
      nach München vorbereitet wurden. Wir entschieden uns natürlich
      für diesen Weg. Bei den Platzkarten begann der Urlaub in
      Brest-Litowsk.
      Beim Fässertransport aber am Zielort in München. Am 10.
      September nachts ging es los mit dem Zug nach Bryansk. Im Bahnhof
      Ost luden wir die Waggons mit Bierfässern voll, wobei wir im 3.
      Waggon die Fässer nur außen herum als Kugelfang auftürmten und
      in der Mitte Platz für uns ließen. Der Zahlmeister meinte, 3
      Wochen seien wir wohl unterwegs und wir erhielten für diese Zeit
      Marschverpflegung. In Bryansk-West standen wir wieder 1 Tag und
      da sahen wir, wie ein Flak-Kommando (die Züge waren gegen
        Luftangriffe und Partisanenangriffe bewaffnet.), das die
      gleiche Marschverpflegung bekommen hatte, wieder mit vollen Säcken
      daher kam. Die haben nochmal Verpflegung geholt auf Urlaubsschein.
      Das konnten wir auch. Unterwegs haben wir nur gegessen, was nicht
      so lange gehalten hat. An jedem Haltepunkt holten wir beim Roten
      Kreuz warme Erbsensuppe. In Brest sprach eine Schwester so
      bayerisch. Ich fragte, wo sie daheim sei. In Mühldorf. Jahre
      später,
      bei der Entlassung in Hammelburg sah ich diese Schwester wieder
      und sie hat sich gefreut, als ich sie anredete. Über
      Tschenstochau - Hindenburg - durch Oberschlesien, nach Prag, über
      Eger kamen wir nach Regensburg. Hier erhielten wir 4 Würste als
      Verpflegung nach München. In Laim sagten uns die Eisenbahner die
      Wagen zur Hackerbrücke (Hacker- und Pschorrbrauerei). Mit
      der Straßenbahn fuhr ich heim und sah zum ersten mal meinen (inzwischen
1
Jahr
        alten) Sohn. Am nächsten Morgen holte ich mein Gepäck.
      Dem Lademeister sagten wir, abends holen wir die Papiere. Mit
      diesen meldeten wir uns am anderen Morgen beim Kommando im
      Hauptbahnhof. Ein junger Leutnant mit Ritterkreuz, der nur mehr
      einen Fuß hatte, bestellte uns für abends um 10 Uhr wieder und
      da begann der Urlaub am anderen Tag mittags um 12 Uhr. Wir hatten
      also 3 Tage heraus geschunden. 
      
      Die Rückfahrt trat ich mit dem Fronturlauberzug "Paris -
      Wien - Brest" an. Mit einem Anschluss in Minsk und Bryansk
      wollte ich zur Kompanie. In Brest traf ich einen Kameraden, der
      schon vom 2. Urlaub zurück kam. Der sagte mir, dass die Kompanie
      wahrscheinlich in Deutschland sei. So war es auch. Mit einem
      neuen Marschbefehl ging es wieder die Strecken zurück, über
      Frankfurt an der Oder, Berlin nach Osnabrück. Als ich mich beim
      Spieß meldete, ich war der letzte von uns dreien, meinte er, ob
      ich etwas dagegen hätte, wenn ich gleich wieder in Urlaub müsste.
      Es ging also wieder für 14 Tage heim. Als ich Ende November zur
      Kompanie zurück kam, war ich ein Vierteljahr weg. Ende Dezember
      fuhr ich schon wieder wegen Familienangelegenheiten. 
      (Anmerkung:  Bei den "Familienangelegenheiten" 
        konnte es
        sich nur um die "Evakuierung", also den Umzug  von Frau und
        Kind  nach Hattenhofen ins Haus der Großeltern 
        handeln. Als
        die Bombenangriffe schlimmer wurden, verließ alles die Städte
        und
        suchte auf dem Land Unterschlupf. In die unbenutzte 
        Bäckerei und
        die dazu gehörende noch möblierte 1-Zimmer-Wohnung wurden in der
        Folgezeit bis Kriegsende immer wieder "Ausgebombte"
        untergebracht, also
        Restfamilien, die durch die Bombardierung obdachlos geworden
        waren. )
Der Kompanie-Chef, in
      Zivil ein evangelischer Pastor, war prima in dieser Beziehung.
      Diesmal wurde ich telegrafisch zurück geholt. 
      
      1943 Am 10. Januar wurden wir in die Bahn verladen und in
      3 Tagen ging es über Magdeburg, Breslau nach Kiew. Bei jedem
      Lokwechsel stand schon eine neue Lok bereit. Die müssen uns
      notwendig brauchen. Ein Vierteljahr haben wir nur das Brot
      gebacken, das wir selber gegessen haben. Wir kamen nach Charkow.
      Hier ging es rund. Die O.T. (Organisation Todt, heute
        "Technisches
        Hilfswerk", benannt nach dem Leiter der Organisation, der hieß
        nämlich
        Todt) baute
      die Straße zu unserem Betrieb aus. Eine Wasserleitung wurde vom
      See herauf gelegt. Russen machten das Holz. Wir bekamen von einer
      aufgelösten Bäckerei-Kompanie noch 3 Back-Anhänger (Backöfen).
      Mitten in diesem Trubel kam der 2B der Armee, ebenfalls ein
      General, und sagte, so ein Glück wie wir möchte er auch haben.
      Wir kamen wieder zurück nach Deutschland, denn wir wurden von
      einer Kompanie abgelöst, die beim Rückzug ihr gesamtes Gerät
      verloren hat. 
      
      Mit unseren Lastautos wurden wir wieder in die Bahn verladen.
      Diesmal ging es über Brest, Königsberg, Berlin nach Soest. Der
      Chef schickte alles in Urlaub. Wir erhielten ein neues Gerät.
      Alles wurde auf Khaki-Braun um gespritzt. Von Soest wanderte ich
      wieder zum Möhnesee. Die Staumauer war durch einen englischen
      Torpedo haargenau in der Mitte getroffen worden und das
      auslaufende Wasser hatte Hunderten in den Städten an der Ruhr
      den Tod gebracht, da das Hochwasser ja nachts kam. Darauf ließ
      man alle Stauseen in Deutschland auslaufen. 
      
    
Mitte Juli 1943 fuhren wir wieder mit der Bahn über Fulda,
      Frankfurt, Karlsruhe, Mühlhausen, Lyon, Marsaille, am Mittelmeer
      entlang nach Narbonne an der spanischen Grenze. Etwas landeinwärts
      nach Carcassonne. Hier wurden wir ausgeladen. Kein Mensch wusste
      weiter. Mit einem Kameraden wanderte ich hinauf zur Burg, die ja
      als die größte erhaltene Burganlage der Welt gilt. Zwischen
      kleinen alten, aber bewohnten Häuschen sahen wir eine baufällige
      Kirche. Alles war wie vor 500 Jahren. 
      
      Bram, etwa 20 km landeinwärts, wurde unser neues Domizil. Wir
      Bäcker
      wurde alle in einem Café einquartiert. Im Ort war ein Lager für
      gefangene Rotspanier, diese wurden zur Arbeit herangezogen. Wir
      hatten dafür Vormittags exerzieren. Nachmittags war Schwimmen
      Dienst. Bei Bram führte der Rhone-Loire-Kanal vorbei ( Canal
        du Midi) . Es wurde erzählt, dass Frankreich diesen Kanal
      nach dem 1. Weltkrieg als Kriegsentschädigung zur
      Großschiffahrtsstraße
      ausbauen wollte, um das Mittelmeer mit der Biskaya zu verbinden.
      England habe diesen Plan hintertrieben, damit Gibraltar seinen
      strategischen Wert nicht verlor. 
      
      Mit einem Kameraden bin ich viel herum gelaufen. Einmal sind wir
      zu einem hoch gelegenen Dorf gewandert. Hier sah man in die
      Pyrenäen.
      Ein älterer Franzose sagte uns, dass hinter diesen Bergen
      Lourdes sei. "Da müssen wir den Backmeister hin hetzen." Am
      anderen Tag beim Baden erklärten wir es ihm. Er redete mit dem
      Kompanie-Chef. Am Freitag sagte er, wir fahren hin. Als wir am
      Samstag dann den Marschbefehl holen wollten, meinte er, das ginge
      leider nicht, weil es mit der Bahn über 350 km seien. Ja wenn
      wir einen Grund hätten. Im Krieg waren viele Hotels als
      Lazarette beschlagnahmt. Ich sagte saukalt, mein Bruder sei dort
      im Krankenhaus. (Ich war ein Einzelkind und hatte gar keinen
        Bruder.)  Nach kurzem Überlegen: "Das geht." Mit
      Marschverpflegung versorgt, saßen wir mittags um 12 im Zug nach
      Toulouse. Von da ging es Richtung Pau und abends erreichten wir
      Lourdes. Schnell waren wir durch den Ort. Einen Soldaten fragten
      wir wegen Übernachtung. In der Kommandantur erhielten wir ein
      Freiquartier zugewiesen. Der Wirt bot uns markenfreien
      Hasenbraten zu 5 Mark an. Er war prima. Am anderen Morgen in der
      alten Pfarrkirche war alles leer. Ein alter Herr zeigte uns den
      Wallfahrtsbezirk. Ein Mesner führte uns in eine kleine Kirche im
      2. Stock. Hier stand Beichtstuhl neben Beichtstuhl. Bei einem
      deutsch sprechenden Pfarrer, offenbar ein Elsässer, konnten wir
      gleich beichten. Der Pfarrer schimpfte nicht schlecht auf Hitler.
      Vor der Kirche gab es Verkaufsstände mit allem möglichen Kitsch. (Ein
kleines
Fläschchen
        mit Wasser aus Lourdes existierte in unserem
        Haushalt noch bis in die 50-er Jahre.)
      
      Nach der Mittagspause marschierten wir wieder los. Am Abend
      vorher hatten wir am Ortsende eine Seilbahn entdeckt, die auf
      einen 2000 m hohen Berg fuhr. 5 km war bis zur Talstation. In der
      größten Mittagshitze latschten wir durch das enge Tal. Der
      Backmeister jammerte. Bei km 5 setzte er sich auf den Stein.
      "I gang koin Schritt mehr!" Ich schaute um die Kurve
      der Straße. Da war die Talstation. Gleich wurde eine Großkabine
      abgefertigt. Auf dem Gipfel hat es ihm dann schon gefallen. Beim
      Rückmarsch war es dann schon kühler. Mit dem Zug kamen wir
      wieder nach Toulouse und haben im Soldatenheim übernachtet. Am
      nächsten
      Morgen in Richtung Bram blieb der Zug 5 km vor Bram stehen. Das
      Gleis war gesprengt worden. 8 Stunden saßen wir Mitte August im
      Zug. Meinen Vorschlag, die 5 km zu laufen, lehnte der Backmeister
      ab. "I gang koin Schritt!". Abends bei der
      Befehlsausgabe meinte der Spieß zu mir, er hätte nicht
      geglaubt, dass ich so verrückt auf Berge sei. Er wäre nicht mit
      gelaufen. Aber gefallen muss es dem Backmeister doch haben, denn
      am nächsten Wochenende wollte der Spieß mit 2 Kraftfahrern los
      ziehen. Aber wir wurden nach Italien verlegt. 
      
    
In Italien hatte es einen Umsturz gegeben. Mussolini war
      verhaftet worden. Die neue Regierung schloss einen
      Waffenstillstand mit den Engländern, die schon Süditalien
      erobert hatten. 
      
      Die Fahrt nach Italien war schön. Sie ging von Narbonne durch
      Südfrankreich
      immer der Küste entlang über Nizza, Genua, Mailand, Verona. Wir
      fuhren nur bei Tag und hatten Platz im Zug, da die Kraftfahrer
      bei den Autos blieben. In Verona wurden wir in ein Kloster
      einquartiert. Arbeit hatten wir hier nur eine Schicht und dadurch
      viel Freizeit.
      
      Später wurden wir auf Kommandos aufgeteilt. Ich kam mit 4
      Kameraden nach Brixen in eine italienische Privatbäckerei.
      Abwechseln backten wir 3 Tage und der Boss 3 Tage. Zur
      Brotausgabe und Wache wurde nur 1 Mann benötigt. Der
      Unteroffizier war prima und ließ mich in der Freizeit Ausflüge
      unternehmen. Einmal unternahm ich eine Tagestour auf die Plose.
      Für
      die Hüttenwirtin nahm ich 2 Brote mit, im Tausch gegen Essen.
      Sie warnte mich vor Partisanen. (Wahrscheinlich waren die
        Partisanen besser informiert und wussten, dass hier nur ein
        harmloser Bäcker herum lief.) Aus einem verlassenen
      italienischen Camp, die Italiener waren beim Umsturz heim
      gelaufen, nahm ich Bergstiefel, Zeltbahnen und so weiter mit. Ein
      Auto von unserer Kompanie brachte die Sachen als Paket nach
      Kiefersfelden (zur Post.) Wir besaßen noch 3000 Liter
      Benzin, das wir in Russland in unserem Wassertank gefüllt
      hatten, vor der Sprengung eines Tanklagers. Dadurch waren solche
      Fahrten noch möglich. Das Paket kam lange nicht an, weil die
      Adresse verwischt wurde. Nach Rückfrage bei der Kompanie gab ich
      die Adresse nochmal an. Das Kommando in Brixen wurde wieder
      aufgelöst und wir kamen zur Kompanie nach Triest zurück. 
      
      Von hier gab es auch wieder Urlaub. Am Bahnhof hieß es, der
      gestrige Fronturlauberzug ist vor einer Stunde durch. Ich ging zu
      den Eisenbahnern und für eine Schachtel Zigaretten erfuhr ich
      den nächsten Güterzug zum Brenner. Hier das gleiche nach
      Innsbruck. Mit Personenzügen kam ich nach Hattenhofen, wo meine
      Familie jetzt war. Vormittags um 10 Uhr war ich da und fand meine
      Leute gerade beim Auspacken des Paketes. Das Dreirad wurde gleich
      von Sepperl in Beschlag genommen. 
      
      Zur Rückfahrt war die Auffangstelle für Italien-Urlauber (heute
versteht
        man darunter die entgegen gesetzte Richtung) in der
      Schwanthaler Schule. Hier erfuhr ich von Leuten, wie man einige
      Urlaubstage heraus schinden konnte. Der Spieß zählte die Leute
      abwechselnd von rechts und von links ab, denn er konnte nur so
      viele Fahrkarten ausgeben, wie im Zug Platz hatten. Bis ich halt
      dem Spieß auffiel. In Triest zeigte mir der Hauptfeldwebel den
      soeben ausgestellten Suchbefehl. 
      
      Für einige Wochen kam ich dann nach Udine. In einer
      italienischen Militärbäckerei hatten wir die Aufsicht. Als das
      Kommando verkleinert wurde, kam ich weg. Mit dem Unteroffizier
      habe ich mich nie gut verstanden. Da wir Zahlmeistern
      unterstanden, der Häuptling war Münchner, schrieb er uns den
      Marschbefehl nach Parma, wo die Kompanie jetzt war, über Mestre
      - Venedig, Padua - Verona. So konnte ich einige Stunden in
      Venedig sein.
      
      In Parma arbeiteten wir schichtweise in einer großen
      italienischen Brot- und Nudelfabrik. Zweimal wurde ich vom
      Backmeister, der mich ja gut kannte, als Begleiter mit 3 Waggon
      Brot nach Livorno eingeteilt. Das erste Mal wurden wir in einem
      Bahnhof bombardiert und blieben drei Tage liegen. Das zweite Mal
      war ich in einem Tag dort. Ich bat den Zahlmeister, der mir das
      Brot abnahm und mich mit Marschbefehl zurück schickte, mir einen
      solchen über Florenz nach Parma auszustellen. So weit ging die
      Freundschaft doch nicht, aber über Pisa konnte ich fahren. 
    
Im Frühjahr 1944 gab es wieder Urlaub. Ich ahnte nicht, dass
      es für Jahre das letzte Wiedersehen zuhause war. 
      
      (Anmerkung: Mein Vater ahnte jedoch, dass die Lage gefährlicher
        wurde. Er ließ in diesem Urlaub seine Armbanduhr, Fotoapparat
        und Ehering zuhause, also alle Wertgegenstände. Deshalb gibt es
        ab diesem Urlaub keine Fotos mehr. Alle bisherigen Kriegsfotos
        hat mein Vater offensichtlich in diesem Urlaub in ein Album mit
        dem Titel "Kriegserinnerungen" geklebt, allerdings ohne
        Beschriftung. Das Album existiert noch. Nach der Niederschrift
        seiner Lebensgeschichte ließ ich mir erklären, was auf den
        Fotos war und notierte die Titel. Sehr aussagefähig ist diese
        Liste leider nicht und einige Städtebilder sind eindeutig falsch
        zugeordnet. 
        Erst die Digitalisierung der Bilder im Jahr 2006 mit
        Vergrößerung
        auf Bildschirmgröße ließ Details erkennen. Für Nachfragen war
        es da zu spät.)
        
      Im Sommer 1944 kam der "Heldenklau" und einschließlich
      Jahrgang 1907 wurden alle zur Kampftruppe abgestellt. Die neue
      Division wurde in Genua aufgestellt. Hier fuhren wir einmal mit
      der Zahnradbahn auf einen Berg mit einer Wallfahrtskirche für
      die Marine. Wieso die Marine auf die höchsten Berge ging, weiß
      ich nicht. ( Die Bergspitze ist das erste, was der Seemann
        sieht, wenn er sich dem Land nähert.) In Marsaille war ich
      Jahre später in einer solchen und auch in Barcellona soll es
      eine solche geben. In der Kirche trat ich für einen Kameraden
      den Blasbalg der Orgel. Er war in Zivil Kantor an der
      Marienkirche in Lübeck. Er war ehrlich erschüttert, als der
      Kompanie-Chef einen "anständigen Walzer" hören wollte.
      
      
      In nächtelangen Märschen ging es über La Spezia, Carrara,
      Forli nach Rimini. ( Bei Nacht wurde marschiert. Bei Tag
        versteckte sich die Truppe in den Weinbergen und schlief. Wegen
        der feindlichen Flieger waren keine Märsche bei Tag möglich.
        Einen Zugverkehr gab es scheinbar nicht mehr oder was sollte das
        Marschieren für einen Sinn haben ? Als die Soldaten dann vor
        Übermüdung
        in einem Dämmerzustand waren, wurden sie zum Kampf eingesetzt. )
        
      Etwa 6 Wochen war ich im Einsatz, (stets marschierend ?.
        Anmerkung:  Von Genua bis Rimini sind Luftlinie etwa 300
        km. Da
        sind die Soldaten wirklich 6 Wochen lang jede Nacht mit schwerem
        Gepäck
        durch die Finsternis gestolpert, ohne Orientierung. Wenn das der
        übliche
        Einsatz der Kampftruppen war, kommen mir schon Zweifel an der
        Kompetenz
        unserer Militärführung. Die "Heldenklau-Division" hat sich
        genauso
        schnell wieder aufgelöst, wie sie aufgestellt wurde. )
Ausgerechnet
      am 18. September 1944 (also am 37. Geburtstag) standen
nach
      schwerem Artilleriebeschuss plötzlich die Tommies (Englische
        Soldaten und Panzer) vor unseren Löchern. Alles war
      zwecklos und wir (hoben
        die
        Hände und ) gingen mit.
      
      (Anmerkung: Mein Vater war also von September 1940 bis
        18.9.1944
        4 Jahre lang aktiv beim Militär. Als er nach 4 Jahren erstmals
        wirklich einem Feind gegenüber stand, machte er "Hände
        hoch", anstatt zu kämpfen. Das wurde mir erst nach seinem
        Tod bewusst. Ich konnte ihn nicht mehr zu diesem Thema fragen.
        Bestimmt war es nicht seine persönliche Entscheidung, denn er
        war ja nicht allein. Hätte einer aus der Gruppe geschossen,
        hätte
        es den anderen nichts genützt, die Hände hoch zu heben. Sie
        wären
        alle tot gewesen. Das musste der Anführer der Gruppe
        entscheiden, ein Unteroffizier. Ich kann diese Entscheidung nur
        als sehr vernünftig bezeichnen, denn dadurch blieb mir mein
        Vater erhalten. Ohne ihn wäre mein  Leben  und das
        meiner Mutter sicher ganz anders verlaufen. 
        
        In meiner Jugend las ich viele der damals aus der Nazizeit übrig
        gebliebenen Kriegsbücher, in denen stets von der Tapferkeit der
        Soldaten die Rede war. Heute sehe ich das realistischer, nämlich
        dass die Tapferkeit stets die Materialüberlegenheit ist, den
        Gegner durch eigenes Feuer an der Gegenwehr zu hindern. Besteht
        keine Überlegenheit, so nützt die Tapferkeit gar nichts. Der
        Unterlegene entgeht dem Tod nur, wenn der Feind ruhig genug ist,
        die Unterwerfung noch rechtzeitig zu erkennen. 
      
        Die Militärführung unterschied wohl zwischen "wertvollen,
        kampfstarken", gut ausgerüsteten Einheiten und "schlechten,
        schwachen" schlecht ausgerüsteten. Die "guten"
        Truppen wurden stets rechtzeitig abgezogen, bevor sie in
        feindliches Feuer gerieten und zeigten ihre Kampfkraft dann,
        wenn
        sie mit Übermacht drauf hauen konnten, ohne selbst Schläge zu
        bekommen. .
        Die "schlechten" Truppen, zu denen die 6-Wochen-Infanterie
        mit meinem Vater gehörte, erhielten dagegen den Befehl, die
        aussichtslose Stellung zu halten. Als Strafe für ihr "Versagen"
        wurde die Gruppe beim Abmarsch in die Gefangenschaft noch von
        der
        eigenen Artillerie beschossen, wie im folgenden berichtet: )
        Originaltext Fortsetzung: 
      
Als wir einen Berghang entlang gingen, schoss die deutsche
      Artillerie auf uns. Schnell sprangen wir in den Graben. Nur der
      englische Bewacher schaute sparsam und bekam einige Splitter ab. 
      
      (Anmerkung: Die Beschießung war sicher kein Zufall. Immerhin
        hatten die  Infanteristen soviel
        Kriegs-Erfahrung, dass sie  Entfernung und Richtung 
        der 
        Abschüsse 
        beurteilen konnten  und  rechtzeitig in Deckung
        gingen.)
        
      Wir zogen unseren Bewacher in den Graben und verbanden ihn.
      Den verletzten Engländer stützend zog die Gruppe weiter. 
      Dafür
      erlaubte uns ein englischer Oberst, aus einem umgestürzten
      deutschen Infanteriekarren heraus zu suchen, was wir brauchen
      konnten. Ich entschied mich für drei lange Unterhosen. Diese
      haben mir in der Folge sehr gut getan, weil wir ja ständig im
      Freien oder in Zelten lagen. Der Oberst fragte uns, weshalb unser
      Kompanie-Chef abgelöst wurde. Wir hatten davon keine Ahnung. So
      gut waren die über uns informiert.  
      
      Chiaravalle hieß das Auffanglager. Nach einer Woche ging es mit
      der Bahn nach Süden. Wir sahen nichts von Rom. In Monte Cassino
      standen wir einen ganzen Tag. Hier nahm der Posten vor unserem
      Waggon einem Italiener einen Korb voll Orangen vom Kopf und
      schüttete
      ihn zu uns herein. Der Italiener hat vielleicht geschrien. 
      In
      Palermo waren wir für eine Woche im Fußballstadion
      untergebracht.  Per Schiff ging es dann nach Algier. 
      
      Ziemlich weit von der Stadt waren die Camps auf einem Hang
      angelegt. Das oberhalb gelegene war schon einige Zeit belegt und
      die Leute in Arbeit. Gegen Abend schrie einer plötzlich: "Mensch,
      da drüben geht der Kiening Sepp." Es waren drei Leute von
      der Bäckerei-Kompanie. "Hast du Hunger ?" "Ja!"
      "Hast du ein Bett?" "Nein."  Ein Topf voll
      Essen flog über den Stacheldrahtzaun. Am anderen Abend, wir
      mussten wieder antreten, schoben sie Balken durch den
      Stacheldraht. Der englische Posten im Gang zwischen den zwei
      Lagern half  mit. Dazu eine große Rolle starkes
      Gummikabel. 
      Ich löste die Drähte aus dem Mantel. Drähte und Gummischlauch
      spannte ich zwischen die Balken, so dass ich wie auf einer
      Federmatratze lag. 
      
      Algier war der Anlaufhafen für die Geleitzüge der Alliierten.
      Von hier aus kam alles mit kleineren Schiffen an die italienische
      Front. Wir wurden gleich zur Arbeit eingeteilt. Ich kam zu einem
      Kommando mit 6 Mann und wir wurden auf einem weiträumigen
      Farbenplatz eingeteilt. Zu unserem Team gehörte ein Ingenieur
      und ein Spediteur, der alle Tricks kannte, um die Transportarbeit
      zu erleichtern. Einmal mussten wir zum Beispiel schwere Fässer
      verladen. Diese lagen auf einer Wiese 2 m unter Straßenniveau.
      Der Spediteur legt Balken (als schräge Rampe) von der
      Wiese zum Wagen, band das Seil am Wagen fest, führte das andere
      Ende unter dem Fass durch. Zwei Mann dirigierten das Fass, damit
      es nicht von Balken rutschte, zwei zogen am Seil und rollten es
      auf den Wagen. Da kam ein englischer Oberst vorbei und schaute
      uns zu. Dann half er das Fass dirigieren und beim nächsten zog
      er mit am Seil. Jedem gab er eine Schachtel Zigaretten und
      kopfschüttelnd stieg er wieder in das Auto ein. 
      
      Unsere "Tommys" waren sehr anständig. selbst
      Frontsoldaten. Wenn keine Arbeit da war, konnten wir nebenan
      Fußballspielen
      anschauen. Einmal kam ein General und sah uns sitzen. Er ging zum
      Sergeanten  Dieser sagte, dass wir sehr gut seinen. Da setzte
      er
      sich auch auf die Bank und verteilte Zigaretten.  Ich musste
      da
      an deutsche Generäle denken. 
    
Ein paar Tage vor Ostern 1945 wurden wir nach Ägypten verlegt.
      Einer unserer Kameraden war abgehauen. Die Engländer vermissten
      ihn erst, als wir einzeln durch eine schmale Türe gingen und
      dabei gezählt wurden. In Port Said wurden wir ausgeladen und mit
      Güterwagen auf einem Gleis neben dem Suezkanal in die Höhe der
      Bitterseen gefahren. Ich hatte mir den Suezkanal breiter
      vorgestellt.  
      
      Hier herrschte ein anderer Ton als in Algier. Es gab keine
      Arbeit, daher auch für Raucher keine Zigaretten. Ein Jahr
      dauerte dieser Zustand. Täglich erhielten wir, so lange noch
      Krieg war, den deutschen und den englischen
      Wehrmachtsbericht. 
      Nach Kriegsende kamen Nachrichten über die Zustände in
      Deutschland, KZ und so weiter.  Diese wurden mit ungläubigem
      Staunen aufgenommen. 
      
      Ich kam zu Lager 2750, wie sich nachher heraus stellte, des beste
      in Ägypten. Es waren 3 Camps zu je 1000 Mann. Wir arbeiteten in
      einem riesigen Versorgungslager für die Alliierten. Unsere
      Arbeitsgruppe, etwa 20 Mann, war nur mit kurzen Hosen und
      Arbeitsanzügen beschäftigt.  Zu einer riesigen Lagerhalle
      gehörten
      noch 5 - 6 Plätze im Freien. Einmal stellten wir eine Sendung
      mit über 100.000 Overalls in allen Größen zusammen. 
      
      1947 war es so weit, dass alles in den Hallen Platz hatte,
      wo dann riesige Stapel jeder einzelnen Größe lagerten.  Was
      da
      alles geklaut wurde. Die Engländer, die hier beschäftigt waren,
      durften keine Pakete heim schicken. Also mussten sie für andere
      noch mitnehmen, die Pakete senden durften.  Engländer, die
      entlassen wurden, konnten sich hier von Kopf bis Fuß  in
      Zivil
      einkleiden.  Unsere "Tommys", alles Frontsoldaten,
      waren feine Kerle. Erst als junger Nachschub aus England kam,
      änderte
      sich das. Sie waren genauso aufgehetzt worden, wie bei uns die
      Hitlerjugend.  Aber mit der Zeit gab sich das. Der britische
      Lagerkommandant hauste genauso wie wir im Zelt. Wenn er zur
      Division musste, fuhr er mit dem Verpflegungswagen hinten auf der
      Pritsche. Er hatte 3000 Mann unter sich und keinen eigenen
      Dienstwagen. Mit deutschen Augen gesehen, unverständlich.  Er
      sprach sehr gut deutsch. Als 1947 die Entlassungen los gingen,
      rief er das Lager zusammen und sagte, dass Leute mit sehr
      schlechter Kleidung und Wäsche heim geschickt wurden und gab uns
      den Rat, rechtzeitig vorzusorgen. Er konnte doch nicht sagen:
      Holt euch draußen, was ihr braucht.   Am Heiligen Abend
      1947
      färbten
      wir zu dritt neuseeländische Mäntel um. Das waren die besten,
      die es gab. Von der Küche erhielten wir einen Kessel. Während
      dieser Arbeit kam der Major dazu und fragte: "wirds was?"
      
      (Anmerkung: Ich glaube mich zu erinnern,  dass mein Vater
        nach seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft einen dunkelroten
        Mantel hatte. Das war so ein vorher olivgrüner oder brauner
        Militärmantel.)
        
      Im Herbst 1947 begannen dann langsam die Entlassungen. Es
      ging nach einem Punktsystem, das sich aus Alter und Dauer der
      Gefangenschaft zusammen setzte. Die Leute vom Afrikacorps waren
      die ersten. Ich hatte 9 Punkte.  Davon waren wir im Lager
      über
      900. Als etwa die Hälfte der Neuner weg waren, brach in Ägypten
      die Cholera aus und der Abtransport wurde gestoppt. Erst im
      Januar 1948 wurde wieder begonnen.
      
    
Im Februar kam ich in das Entlassungslager, da wurden wir
      nochmals gefilzt. Endlich wurden wir mit der Bahn nach Port Said
      verladen. Unser Gepäck kam in den Schiffsrumpf. Wir schliefen in
      Hängematten in den Lagerräumen. Auf dem Schiff konnten wir uns
      frei bewegen. Auch zahlreiche entlassene Engländer fuhren mit.
      An Malta vorbei, Sizilien, entlang der spanischen Küste.
      Gibraltar passierten wir in nächster Nähe.  In der
      Biskaya 
      schaukelte das Schiff bedenklich, aber bei mir ging es noch gut
      ab. Den Kanal passierten wir  tagsüber. 14 Tage dauerte die
      Schiffsreise.  Bei Feuerschiff  Elbe  1 wurde ein
      Lotse
      übernommen,
      bei Cuxhaven ein  Flußlotse. Die Fassade Hamburgs der Elbe
      entlang war fast unbeschädigt. In der Stadt sah es allerdings
      schlimm aus. Mit der Bahn ging es in die Heide zum Münsterlager.
      In 24 Stunden war hier der (Entlassungs-) Kram erledigt.
      Wieder mit einem Güterzug fuhren wir nach Hammelburg. Hier
      wurden die Bayern endgültig entlassen (und mussten die
        restliche Heimreise selbst organisieren.). Im Bahnhof saßen
      wir 12 Stunden. Ein Leutnant entdeckte einen leeren DZug-Wagen
      und verhandelte mit dem Fahrdienstleiter. Jeder gab eine
      Schachtel Zigaretten. Dafür wurde der Wagen für uns an den DZug
      nach München angehängt.  Am 21.3.1948 war ich frei (und
        zuhause in München).
      
( Die acht besten  Jahre, vom 33. bis zum 41. Lebensjahr
        waren somit für eine sinnlose Politik geopfert. Was wäre in
        diesen
        Jahren alles zu schaffen gewesen !  )
    
(Die Miete für die Bäckerei wurde bis Kriegsende vom
        deutschen Militär bezahlt.  Ab Kriegsende gab es dieses
        nicht
        mehr, der Hausbesitzer wollte jedoch seine Miete bekommen,
        immerhin 300 Mark monatlich.  Deshalb wurde 1947 die
        Bäckerei
        vorübergehend verpachtet, damit die Miete bezahlt war. Der
        Pachtvertrag lief bis Februar 1949. Die Entlassung aus der
        Gefangenschaft war ja nicht voraus zu planen.)
        
      Einige Monate trödelte ich rum, fuhr in den Wald um Holz, (gewöhnte
mich
an
        Zuhause und Familie. Am 21.6.1948 war ja dann schon die
        Währungsreform.
        )   Nach der Währungsreform arbeitete ich bei der
      Dachdeckerfirma Ruberoid, die in Freising bei der Traktorenfabrik
      Schlüter die Fabrikhallen mit Dachpappe beklebte.  (In
        dieser Zeit wohnte ich bei meiner Mutter in Freising.)  Am
1.3.1949
übernahm
      ich dann wieder meine Bäckerei.  Da Arbeitskräfte
      sehr rar und teuer waren, blieb uns nichts anderes übrig, als
      selber viele Stunden zu arbeiten. 
      
    
Die Gewerbe-Erlaubnis für die Kellerbäckerei lief 1958 aus.
      (Lebensmittelbetriebe waren nur mehr in Räumen mit Tageslicht
      zugelassen.)  1957
      wurde der elektrische Strom im Westend von Gleich- auf
      Wechselstrom umgestellt. Da ich 5 neue Motoren gebraucht hätte,
      gab ich die Bäckerei am 1. September 1957 auf. 
      
      Vom Arbeitsamt wurde mir eine Stelle im Alkorwerk in Solln
      vermittelt und ich wurde auch eingestellt in der Warenprüfung,
      eine der gesündesten (richtiger wohl, am wenigsten
        gesundheitsschädlichen und stinkenden) Abteilungen in
      dieser
      Chemiefabrik. Fast 15 Jahre blieb ich hier. 
      Im Alkorwerk hatte ich regelmäßig Urlaub. (Das Alkorwerk
        stellt
        Plastikfolien her. Meine Arbeit war, die großen dicken
        Fabrikrollen in
        handliche Verkaufsrollen umzuwickeln und die Ware dabei auf
        Fehler zu
        prüfen.) 
        
      1958 zogen wir von der Parkstraße in die Zenettistraße, wo uns
      Frau Späth eine Dienstwohnung zur Verfügung stellte. Gretl
      musste dafür Büro putzen, im Haushalt (der Familie Späth als
        Urlaubsvertretung) einspringen und  manchmal auch
      Bau putzen.  Die Miete von 90 Mark war für uns hoch und wir
      haben ein Zimmer unter vermietet. 
      
      Im September 1971 zogen wir in die Eigentumswohnung des Sohnes im
      Westkreuz . Die Fahrt zum Arbeitsplatz war nun sehr umständlich
      mit
      viermal umsteigen. Aber es war nur noch ein Jahr bis zur Rente am
      1.Oktober 1972. 
      
    
(Der Lebensinhalt wurde ab 1971 der große Garten am
        Westkreuz. Mit 65 Jahren war nochmal ein neuer Beruf , nämlich
        Gärtner,
        zu erlernen. Diese Arbeit hat ihn bis zum letzten
        Lebenstag 
        ausgefüllt,   noch über  21 Jahre.  
        
         Am 20.3.1994 ist Josef Kiening gestorben, ganz plötzlich
        an
        Herzinfarkt, im Alter von 86 Jahren. )
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      (C) 2008 Josef Kiening, München ,  zum Anfang www.genealogie-kiening.de