Josef Kiening: Häuser und Familien im Gebiet nordwestlich von
München
Säuglingssterblichkeit und Müttersterblichkeit
(August 2017, ergänzt Juni 2019)
Ausführlicher speziell zu den unehelichen
Kindern.
Vor dem Jahr 1850 starben in unserem Gebiet über 50 % der Säuglinge
und Kinder.
Die Ehefrauen im gebärfähigen Alter waren ständig schwanger. Viele
der im Jahresabstand geborenen Kinder sind sehr bald wieder
gestorben, meist 3 Wochen nach der Geburt. Häufigste Todesursache
war Fraisen siehe
Todesursachen.
Ein statistischer Beweis über die Entwicklung der
Kindersterblichkeit ist nicht möglich, da in den Sterbebüchern vor
1810 kaum Säuglinge eingetragen wurden. Vor 1800 wurde es üblich,
den Taufeintrag mit einem Kreuz zu versehen, wenn das Kind gestorben
ist. Ein Datum oder Alter ist daraus nicht ersichtlich. Der Pfarrer
hat sich damit den Eintrag in das Sterbebuch gespart.
Erst ab etwa 1830 haben die Pfarrer die gestorbenen Kinder
ordentlich aufgeschrieben, da sie nach Einführung der Wehrpflicht
jahrgangsweise Musterungslisten für die Erfassung der
Wehrpflichtigen erstellen mussten. Die Kinder waren üblicherweise ab
dem 12. Lebensjahr "im Dienst" und lebten als 20-jährige längst
nicht mehr zu Hause. Die Musterungsliste sollte natürlich nur junge
Männer enthalten, die noch am Leben waren. Das war nur die Hälfte
der im Taufbuch Verzeichneten. Das Kreuz neben dem Taufeintrag war
das Zeichen, dass dieser Mann nicht mehr auf die Musterungsliste zu
schreiben war.
Zwei Kreuze bedeuten in den Kriegsjahren, dass derjenige im Krieg
gefallen ist. Die gleiche Bedeutung hat ein Kreuz, das an den Enden
mit Querstrichen versehen ist.
Vielleicht haben die Pfarrer den Tod von Säuglingen nicht
registriert, da diese ohne große Zeremonie in einer Ecke des
Friedhofes begraben wurden. Damit hat der Pfarrer nichts verdient.
Das Familiengrab wurde für einen Säugling nicht auf gegraben und die
Bepflanzung zerstört. Die Babys hatten ja noch keine Möglichkeit, zu
sündigen und kamen deshalb ohne Umwege gleich in den Himmel. Als
muntere Putten tummeln sie sich um die Barockaltäre.
Wenn im Taufbuch wieder ein Kind mit dem gleichen Vornamen eingetragen wurde, kann man
annehmen, dass das ältere Geschwister bereits gestorben ist.
Im Briefprotokoll zum Nachlass der Mutter findet man die Kinder,
welche beim Tod der Mutter noch leben. Oft ist es erschreckend, dass
eine Frau 10 bis 20 Kinder geboren hat, und keines hat die Mutter
überlebt.
Die Säuglingssterblichkeit war stark vom sozialen
Status Status der Eltern abhängig. Ein Bauer legte Wert auf
Kinder, die seinen Besitz weiter führten.
Müttersterblichkeit
Nach vielen Schwangerschaften im vorgerückten Alter wurde das
Risiko von Komplikationen bei der Geburt größer und endeten oft
für die Mütter tödlich. Hier spielt die Qualifikation der Hebamme
eine große Rolle. Als ich alle Familien in Aubing abgetippt habe,
hatte ich den Eindruck, dass ab einem bestimmten Jahr, so um 1750
die Müttersterblichkeit schlagartig niedriger wurde. Es konnte nur
an einer neuen Hebamme liegen, die ihr Handwerk besser verstand.
Die Väter wollten, dass die Kinder die Mutter überleben, denn
wenn "keine Leibserben vorhanden" waren, musste das Heiratsgut der
Frau an die Eltern oder Geschwister zurück gezahlt werden. Sonst
erbte das überlebende Kind und wenn dieses starb, erbte der Vater
und die Verwandtschaft der Mutter ging leer aus.
Nach dem Tod der Ehefrau wurde meist innerhalb von 6 Wochen
wieder geheiratet. Der Betrieb auf dem Hof und im Haushalt musste
weiter laufen, wozu eine Frau notwendig war.
War die zweite Ehefrau deutlich jünger als der Mann, so dauerte
die Ehe meist nicht lange, eine Art ausgleichende Gerechtigkeit
zur Müttersterblichkeit. Je größer der Altersunterschied war, um
so eher starb der Mann, der noch "in den besten Jahren" war. Die
junge Witwe holte dann ihren Jugendfreund aus dem Heimatort als
neuen Ehemann. Damit war das Anwesen vollständig in den Besitz
einer anderen Familie geraten und die Erben des Vorbesitzers
forderten ihren Anteil, was für den Bestand des Hofes meist
schädlich war. Es entstanden paradoxe Situationen, wenn der
Stiefvater jünger war als der Stiefsohn.
Von einer "Guten alten Zeit" kann keine Rede sein.
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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de