Josef Kiening: Genealogie und Häuser im Gebiet nordwestlich von München

Frau Susanne Haberl überließ uns freundlicherweise den folgenden Bericht aus dem Leben

in der "Guten alten Zeit": (Quelle: Strafakte 34011 V-16 im Staatsarchiv München, Tagebuch-Nr. 598 )

Eine kleine Wilderergeschichte aus dem Landkreis Dachau

Beteiligte Personen:

Rind Josef, Knecht beim Bauern Huber in Überacker

Rottenfußer Josef, Knecht beim Bauern Märkl in Einsbach

Huber Josef und Katharina, Bauereheleute auf dem Loderhof in Überacker

Oswald Johann, Stationskommandant der Gendarmeriestation Maisach

Mühlbauer Anton, Stationskommandant in Odelzhausen

Wagner Leonhard, Lehrer in Sulzemoos

Bittinger, Staatsanwalt am königlichen Landgericht München II

Was geschah:

Anfang Mai 1896 machte der Knecht Rottenfußer den Knecht Rind auf eine hinter dem Stadel des Bauern Huber auf einem Kleeacker äsende Rehgeiß aufmerksam. Der Jagdpächter dort war der Privatier Oskar Kellermann aus München. Er holte das Gewehr des Huber, welches geladen hinter einem Schrank in der Wohnstube aufbewahrt wurde und brachte dies dem Rind. Dieser erlegte dann die Rehgeiß, beide brachten diese in die Backstube des Huber und weideten sie aus. Das Fleisch brachten sie dann der Bäuerin, die es nach und nach zubereitete; die Bauernfamilie und ihre Dienstboten verzehrten es dann gemeinsam.

Nachdem der Rind den Rottenfußer im März 1897 wegen Pantoffeldiebstahls anzeigte, zeigte dieser Rind wegen wiederholten Jagens an – er hatte wohl vergessen, dass er selber daran beteiligt war....

Nun wurden Rind, Rottenfußer und Huber mehrere Male in Maisach und Odelzhausen verhört.

Dabei gaben Rind und Rottenfußer nur diesen einen Vorfall zu.

Der Bauer Huber gab an, und zwar wörtlich: "Erst als dieselben meiner Ehefrau Rehfleisch zum Kochen brachten, erhielt ich vom Vorfall Kenntnis. Ich war hierüber ungehalten und zankte die Knechte erdenklich aus, hauptsächlich darüber dass sie ohne meine Erlaubnis mein Gewehr wegnahmen.

Das Fleisch verzehrten fast ausschließlich die beiden Knechte und zwar stets in ihren Kammern.

Mit meiner Familie habe ich nur einmal von dem Fleisch gegessen und zwar deshalb, weil ich in meinem Leben noch nie Rehwild gekostet habe.

Ich wusste nicht, dass ich dadurch eine strafbare Handlung begehe.

Meine Ehefrau und meine Kinder wussten dies noch weniger."

Die Ehefrau Katharina Huber konnte nicht vernommen werden, da sie erst kürzlich entbunden hatte und schwerkrank darniederlag.

Da Rottenfußer zu dieser Zeit noch minderjährig war, wurde folgende Anfrage an die Lokalschulinspektion Sulzemoos gestellt:

"Ich ersuche um gefälligen Aufschluß, ob bezüglich des obengenannten Beschuldigten solche Umstände bekannt sind, welche für die Frage der Erkenntnis der Strafbarkeit der Handlung und für die Art und das Maß der zu erkennenden Strafe von Belang sind.

Ferner ersuche ich um Mittheilung, ob nach den jenseits gemachten Wahrnehmungen anzunehmen ist, dass der Beschuldigte weniger durch verbrecherische Neigungen, als durch Leichtsinn, Unbesonnenheit, Mangel an Erfahrung oder durch Verführung zu dem begangenen Fehltritte verleitet wurde, endlich ob mit einiger Sicherheit angenommen werden kann, dass der Beschuldigte wenn ihm im Falle der Verurtheilung bei Wohlverhalten innerhalb einer Bewährungsfrist künftige Begnadigung in Aussicht gestellt wird, sich dieser würdig erweisen werde, oder ob der Beschuldigte etwa in einer Umgebung oder in Verhältnissen von solcher Art sich befindet, dass eine Besserung sich nicht erwarten lässt.

Der selbe ist beschuldigt, im Mai 1896 gemeinsam mit einem Mitknecht eine Rehgeiß erlegt zu haben."

Antwort des Lehrer Wagner:

"An den könglichen Staatsanwalt bei dem könglichen Landgerichte München II. Auf Ersuchen des erst vor kurzer Zeit eingetretenen Herrn Lokalschulinspektors erlaubt sich gehorsamst Unterzeichneter zu bemerken, dass der Beschuldigte in seiner Schulzeit wenige Kenntnisse besaß und deshalb nur geringe Fortschritte machte und konnte er auch über die Strafbarkeit seiner Handlung geringe Kenntnisse haben. Es ist auch anzunehmen, dass der selbe mehr zu dem begangenen Fehltritte verleitet wurde. Sein bisheriges Verhalten ist seit ca 5 Jahren hier nicht mehr bekannt, ebenso wenig die Verhältnisse seiner Umgebung. Aber immerhin wäre anzunehmen, dass eine ihm in Aussicht gestellte Begnadigung bezüglich seines Vergehens ihm gute Besserung bringen würde.

Hochachtungsvollst,

Leonhard Wagner, Lehrer in Sulzemoos."

Allerdings wurde diese eher wohlwollende Auskunft durch die Angaben im Vermögens- und Leumundszeugnis wieder zunichte gemacht:

"Im Zensurbuch der Schule Einsbach pro 1894-98 findet sich die Bemerkung: Roh und zur Widersetzlichkeit geneigt. Ließ sich beleidigenden Äußerungen gegen die Person des Lehrers zuschulden kommen. Dies muß auch jetzt noch als geltend bezeichnet werden."

So kam es dann im April zur Anklageschrift, und im Juni erschien Josef Rottenfußer, bekleidet mit "blauem Jaquet, schwarzer Hose, hohen Stiefeln" vor dem königlichen Landgericht München II im Sitzungssaal Nr. 216.

Verurteilt wurden er und Rind zu je 14 Tagen Gefängnis in Stadelheim.

Die Vorladung zum Strafantritt wurde am 14.Juli 1897 von dem Dienstherren des Rottenfußer, dem Bauern Josef Märkl angenommen.

Dieser erschien einen Tag später beim Bürgermeister von Einsbach, Aumüller, und stellte die "gehorsamste Bitte" um Strafaufschub für seinen Knecht mit der Begründung:

"In hiesiger Gegend beginnt gerade die Getreide- zunächst die Kornernte, wozu alle verfügbaren Arbeitskräfte herangezogen werden müssen, um dieselbe in möglichst gutem Zustande zu bergen. Bei dem Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitern überhaupt, namentlich aber zur Erntezeit, ist es äußerst schwierig, selbst beim Angebot verhältnismäßig zu hoher Löhne Arbeitskräfte von auswärts zu gewinnen, und es geht mir zweifellos ein nicht unbedeutender pekunärer Verlust zu, wenn ich gerade jetzt des in Frage stehenden Arbeiters entbehren sollte. Bei den hohen Löhnen welche gegenwärtig an die Dienstboten zu bezahlen sind, soll die Arbeitsleistung derselben gerade in der Erntezeit hierin einen billigen Ausgleich vermitteln."

Diese Bitte wurde an den Staatsanwalt geschickt, der wie folgt antwortete:

"Mit dem Auftrag, den Gesuchsteller zu veranlassen, einen bestimmten Termin anzugeben, bis zu dem er um Strafaufschub ansucht, den Rottenfußer zu befragen, ob er sich dem Gesuch anschließt, und zu erheben, welches die Vermögensverhältnisse des Märkl sind, wie groß sein Grundbesitz und insbes. die mit Getreide bestellte Fläche ist, wie viel Arbeitskräfte ihm zur Verfügung stehen und inwieweit überhaupt seine Angaben sich in Richtigkeit verhalten."

Nun antwortet der Stationskommandant Mühlbauer:

"Dem Herrn Staatsanwalt zeige ich zufolge obenstehender Requisition nach gepflogenen Recherchen dienstlich an, das Gesuchsteller Josef Märkl für Rottenfußer einen Strafaufschub bis zum 1. September erbittet, indem bis dahin die notwendigsten Arbeiten geschehen sind und schließt sich dieser Bitte auch Rottenfußer an.

Die Vermögensverhältnisse sind bei Josef Märkl sehr gute, besitzt neben großen Grundbesitze Geld auf Zins und hat kein Kind.

Das mit Getreide bestellte Feld ist nach Angabe des Märkl für dieses Jahr eine Fläche von 80 Tagwerk, im ganzen besitzt Märkl 180 Tagwerke.

Während der Ernte sind bei Märkl 10 Arbeitskräfte erforderlich die er zur Zeit auch hat und muß außerdem auch Märkl noch selbst mitarbeiten.

Im übrigen beruhen die Angaben im Gesuche so ziemlich auf Wahrheit, wobei aber dennoch zu erwähnen ist, dass ein Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitern nicht ist und werden auch nicht gar zu große Löhne bezahlt.

Fremde Erntearbeiter sind immer zu bekommen und sind solche froh, wenn sie über die Ernte eine Arbeit haben, allein die Bauern wollen solche nicht, sondern nur einheimische.

Märkl gibt weiters an, dass wenn Rottenfußer seine Strafe sofort antreten müsste und er für diesen einen anderen einstellen muß, ihm ein Schaden von 50-60 M entstehe, was aber nach meinem Dafürhalten stark übertrieben ist."

Nach dieser Auskunft kam, nicht überraschend, aus München die Antwort:

"Strafaufschub wird nicht bewilligt, da auf den gepflogenen Erhebungen Märkl sich in sehr günstigen Vermögensverhältnissen befindet und Ersatz für Rottenfußer beschafft werden könnte."

So trat dann Josef Rottenfußer am 1. August 1897 seine Haftstrafe an.

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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de