Josef Kiening: Häuser und Familien im Gebiet nordwestlich von München#


Stiefmutter, Prinzessin und Hexe


Diese drei Frauentypen hielt ich für reine Märchenfiguren, die es in der Realität nicht gibt. Ich bin Geburtsjahrgang 1941  und kannte als Kind viele, die keinen Vater hatten, weil der Vater im Krieg gestorben oder noch, wie mein Vater, in Kriegsgefangenschaft war.

Eine Stiefmutter gab es in meinem Bekanntenkreis nicht.  Erst durch die Familienforschung bemerkte ich, dass die Märchen die Realität 100 Jahre früher sind, also die Zeit, in der die Märchen auf geschrieben wurden.

Stiefmütter

Bis zum Jahr 1900 war es alltäglich, dass Kinder eine Stiefmutter hatten, weil die Mutter nach vielen Geburten im Alter zwischen 30 und 40 Jahren an einer  Komplikation bei einer Geburt gestorben ist.
Dann bekamen die Kinder eine Stiefmutter, weil der Vater gleich wieder heiraten musste, damit der Haushalt weiter geführt wurde.
Wenn auch die Stiefmutter bald starb, gab es eine zweite Stiefmutter. Für die Kinder war das keine einfache Situation, deshalb hatten die Stiefmütter meist das Attribut "böse".

Als durch  praktikable Empfängnisverhütungs-Methoden die Mütter-Sterblichkeit drastisch zurück ging, verschwand damit auch die böse Stiefmutter aus dem Alltag.  Heutige Kinder kennen dieses Feindbild nicht mehr, sondern haben höchstens ein Problem mit dem zweiten Partner eines Elternteiles.

Prinzessin und Prinz

Dieses Märchenbild spiegelt den krassen sozialen Unterschied zwischen armen und reichen Menschen.  Die Prinzessin ist schön gekleidet und das arme Mädchen läuft fast in Lumpen herum. Das ist oft schon im Märchen  der einzige Unterschied.  Das arme Mädchen träumte von schöner Kleidung, die es nie bekommen konnte.  Alle anderen Unterschiede waren außerhalb der Vorstellungswelt.

Die maschinelle Textil-Produktion hat diesen Zustand beendet. Es gibt zwar immer noch reiche und arme Menschen, doch an der Kleidung ist der Unterschied nicht mehr so stark erkennbar. Bei reichen Menschen ist es verpönt, den Reichtum durch Kleidung zur Schau zu stellen und die armen Menschen können sich genau so ordentlich kleiden.  Ein Modetrend kehrt den Zustand sogar um, man verkleidet sich als  arm und zerlumpt, obwohl man nicht arm ist, um gegen etwas diffuses zu protestieren.

Die Hexe

Das waren aus der Kindersicht die alten armen allein stehenden Frauen, deren  Lebensumstände  für die Kinder nicht durchschaubar waren.  Waren sie auch noch verbittert über  Streiche und Neckerei der Kinder, bekamen sie den Titel Hexe .
Die alten Frauen konnten Schäden an ihren  Behausungen nicht reparieren , wodurch die Hexenhäuschen entstanden.

Allein stehende alte Menschen werden heute üblicherweise in Heimen versorgt und sind so aus der Wahrnehmung der Kinder verschwunden. Darum gibt es keine Hexen mehr.

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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.deä