Der Räuber Kneißl
Verfasser: Anton Mayr, Maisach. Erstveröffentlichung
1982 im "Brucker Echo"
(Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers)
80 Jahre sind es heuer her, daß der berühmte und
berüchtigte Räuber und Gendarmenmörder Matthias
Kneißl, nach einer seiner heimatlichen Wohnstellen auch
Schachenmüller-Hias" genannt, in Augsburg hingerichtet wurde.
Kneißl hatte seine Reviere um die Jahrhundertwende
hauptsächlich in den Bezirksämtern (späteren
Landkreisen) Dachau, Aichach und Bruck (dem späteren
Fürstenfeldbruck). Noch immer ist die Erinnerung an den
"Räuber Kneißl" auch im Landkreis Fürstenfeldbruck
lebendig. Wir wollen deshalb in einer Lebensgeschichte auf diese Person
eingehen, seine tatsächlichen Begebenheiten erzählen und auch
mit manchen Legenden aufräumen, die zwischenzeitlich um den
Kneißl entstanden sind.
Angefangen hatte alles damit, daß der italienische Kaufmann Peter
Pascolini aus Frasanetto in der damals k.k. österreichischen
Lombardei (heute Norditalien um Mailand) am 26. Mai 1823 um 1200 Gulden
die Krämerei des Lorenz Stich in Unterweikertshofen, Hausnummer 5
"Beim Kramer" erwarb. Pascolini war dabei seinem Landsmann Roca
gefolgt, der sich bereits als Kaufmann in München niedergelassen
hatte. Dieser Peter Pascolini hatte seinen Sohn Alois, geboren 1801,
mit nach Unterweikertshofen gebracht. Dieser Alois übernahm nach
einiger Zeit das Geschäft, verheiratete sich mit einer Tochter des
Dorfes namens Klara und hatte zusammen mit dieser fünf Kinder:
Johann, Maria, Viktoria, Josef und Therese.
Der Älteste, Johann Pascolini, geboren 10. April 1831, geriet bald
in schlechte Gesellschaft und dadurch außer Rand und Band. Er
entwickelte sich zu einem gefürchteten Räuber in der Gegend
im Norden von Dachau bis nach Altomünster. Seine Raubzüge
führten ihn, da damals ja alles zu Fuß gegangen werden
mußte, oft viele Stunden weit weg von zuhause. Und einige Stunden
weit weg von daheim ereilte ihn dann auch das Schicksal. Am Mittwoch,
6. Dezember 1871, versuchte er in aller Frühe mit einem Komplizen
einen Einbruch in dem aus drei Bauernhöfen bestehenden Weiler
Hohenried bei Altomünster. Die beiden Räuber wurden dabei
jedoch von den Bauern und Knechten, die bereits das Dreschen begonnen
hatten, gesehen und mußten flüchten. Sie liefen in
südlicher Richtung auf einen Wald in der Nähe des Weilers zu,
der im Volksmund "Kalvarienberg" heißt, weil in diesem Wald eine
Kapelle mit heiligem Grab und Kreuzweg steht. Die beiden
Flüchtenden wurden von den Bewohnern des überfallenen Weilers
verfolgt. Diese Verfolger, die mit den Dreschflegeln und Gabeln
bewaffnet waren, kamen immer näher. Kurz, bevor der Komplize des
Pascolini den Wald erreicht hatte, schoß der Komplize im Laufen
blindlings zurück. Er wollte die Verfolger treffen, traf aber
nicht diese, sondern seinen Räuberkollegen Pascolini im Kopf.
Dieser wurde schwer verletzt in das Krankenhaus Altomünster
eingeliefert, wo er um 7 Uhr in der Früh starb. Am Tage darauf
wurde er im Altomünsterer Friedhof beerdigt. Über Maria,
Viktoria und Josef Pascolini ist nichts Nachteiliges zu berichten,
dafür umso mehr über die Jüngste, über die Therese,
geboren am 27. Februar 1847.
In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts war ein Matthias
Kneißl als Müllersbursche in Unterweikertshofen auf der
Mühle beschäftigt. Kneißl, geboren am 4. Mai 1837 in
Randelsried bei Altomünster, entstammte einem alten angesehenen
Bauerngeschlecht. Sein elterliches Anwesen führte den Hausnamen
"zum Mesner". Dieser Kneißl hatte einen guten Leumund. Er hatte
sich also nie etwas zuschulden kommen lassen. Er war geschickt im
Handwerklichen, besonders im Schreinern und Basteln. So arbeitete er
während dieser Zeit auch ein halbes Jahr bei der Familie
Königbauer in der Schachenmühle bei Sulzemoos und setzte dort
das Sägewerk wieder in Gang. Während seiner Tätigkeit
als Müllersbursche in Unterweikertshofen wird er wohl auch hin und
wieder oder öfters in der Pascolinischen Krämerei eingekauft
haben. Mit der Zeit wird er immer öfters dort aufgetaucht sein und
nach der Pascolini-Resl Ausschau gehalten haben. Schließlich
heirateten beide am 21. April 1868. Aus der Ehe zwischen Matthias und
Therese Kneißl gingen fünf Kinder hervor: Matthias, geboren
am 4. August 1875 in Unterweikertshofen, Katharina, geboren am 16. Juni
1876 in Unterweikertshöfen, Alois, geboren am 13. Juni 1877 in
Unterweikertshofen, Cäcilie, geboren am 21. September 1879 in
Unterweikertshofen, Therese, geboren am 8. Oktober 1891 in der
Schachenmühle in Sulzemoos.
Die Einkünfte aus der Krämerei des Pascolini dürften
nicht schlecht gewesen sein. 1858 kaufte Pascolini das Grundstück
von Unterweikertshofen, Hausnummer 19, Hausname "beim Gärtner",
und errichtete auf diesem eine Schankwirtschaft. Diese Gastwirtschaft
führten nun die Ehegatten Kneißl.
Matthias Kneißl war sicherlich bestrebt, die Wirtschaft
ordentlich zu führen. Doch seine Ehefrau Theres wollte Leben um
sich haben. Es mußte sich etwas rühren. Bald fand sich
allerhand zwielichtiges Volk in der Wirtschaft ein. Unsaubere
Geschäfte wurden betrieben. Diebe und Wilderer fanden gute
Absatzmöglichkeiten ihrer gestohlenen oder gewilderten Beute. Und
inmitten all dieses Treibens stand die Theres Kneißl, von ihrer
Umgebung "Paschkolini-Resl" genannt, und führte das Regiment.
Matthias Kneißl senior mochte diesem Treiben anfangs sicher nicht
zusehen. Aber er konnte sich gegen seine resolute Ehefrau Theres nicht
durchsetzen.
Wenn es auch lange gedauert haben mag, aber eines Tages erschien dann
doch die Polizei, damals die "Gendarmerie" genannt, zum erstenmal und
dann wahrscheinlich immer öfters, um nach dem Rechten, besser
gesagt Unrechten, zu sehen. Die Kneißls fühlten sich auf
alle Fälle eines Tages nicht mehr so wohl in ihrer Haut.
Außerdem war Matthias Kneißl senior mit der Zeit selbst auf
den Geschmack des Bieres gekommen und wurde bald ein guter Kunde seiner
Wirtschaft. Das heißt, er trank also zuviel und immer mehr. Nicht
zuletzt auch deshalb wurde im Jahre 1885 die Wirtschaft in
Unterweikertshofen verkauft. Die Kneißls zogen als
Privatierseheleute mit den Kindern nach Dachau.
Doch schien für sie das Privatisieren auch nicht die ergiebigste
Beschäftigung gewesen zu sein., Außerdem war ja da noch eine
größere Summe baren Geldes aus dem Verkauf der
Gastwirtschaft in Unterweikertshofen. Und die ganze Gegend um Dachau
kannten sie. So wird ihnen sicher auch bald zu Gehör gekommen
sein, daß die Schachenmühle im Bereich der Gemeinde
Sulzemoos zum Verkauf anstand, die gleiche Schachenmühle, in der
der Kneißl senior schon einmal gearbeitet hatte.
Die Schachenmühle war im Jahre 1823 erbaut worden. Der Müller
Quirin Pirringer und seine Ehefrau Maria hatten am 28. Februar 1823 von
Matthias Rottenfußer, Hausname "beim Leitner", Sulzemoos,
Hausnummer 2 1, eine Teilfläche von 3,3 3 Tagwerk aus einer Wiese
am Steindlbach erworben und im gleichen Jahr auf diesem Grundstück
ein Wohnhaus mit Mahlmühle, Schneidsäge, Stadel mit Stallung,
Pflugschupfe, Wagen- und Strohremise und Backhaus errichten lassen. Die
neue "Schachenmühle" führte die Hausnummer 57 in Sulzemoos.
Den Namen "Schachenmühle" erhielt diese neue Mühle aufgrund
ihres Standortes. Die Wiesen und Wälder in diesem Bereich der
Gemeinde Sulzemoos, links und rechts des Steindlbaches, trugen und
tragen auch heute noch die Flurbezeichnung "Schachen". Dieser Flurname
"Schachen" wird bereits im Jahre 1626 unter den Sulzemooser
Jagdrevieren erwähnt. Als "Schachen" wird ein Waldstück oder
auch eine Niederung bezeichnet. Im Falle des Standortes der
"Schachenmühle" war beides vorhanden. Der Platz, auf dem die
"Schachenmühle" errichtet wurde, befand sich in einer Niederung,
in einem tiefer gelegenen Gelände also, und war am Rande eines
Waldes.
Besonders will ich darauf hinweisen, daß die richtige Bezeichnung
dieser neuen Mühle "Schachenmühle" ist. So wird sie auch in
amtlichen Unterlagen bezeichnet. Die vielfach vorhandene Bezeichnung
"Schachermühle" ist eine Verstümmelung des Namens und deshalb
falsch.
Fünf Jahre waren Quirin und Maria Pirringer Herr auf der
Schachenmühle. Sie hatten zwei Töchter, Maria und Elisabeth.
Die Tochter Maria heiratete am 18. Mai 1827 den Müller Sebastian
Thalhofer (Schreibweisen auch Dallhofer und Thallhofer). Beide
übernahmen am 11. Juli 1828 die Mühle. Im Jahre 1842 ging die
Mühle wieder auf einen Pirringer über, diesmal auf Rupert
Pirringer, der sie zusammen mit seiner Frau Maria weiterführte.
Die Ehe von Rupert und Maria Pirringer blieb kinderlos. Rupert
Pirringer starb bald. Die Witwe Maria Pirringer heiratete im Jahre 1851
den Matthias Königbauer. Zu diesem Zeitpunkt umfaßte die
Schachenmühle neben dem Hofgrundstück mit 3,33 Tagwerk noch
Äcker, Wiesen und Wald mit 16,63 Tagwerk, so daß der
Gesamtbesitz 19,96 Tagwerk umfaßte. Die Ehegatten Königbauer
vergrößerten den Besitz. Als deren Tochter Maria am 25.
September 1871 das Anwesen übernahm, betrug der Gesamtbesitz
bereits 24,58 Tagwerk. Die Maria Königbauer heiratete im gleichen
Jahr 1871, es war die Zeit nach dem deutschfranzösischen Krieg,
den Johann Holzmüller aus Odelzhausen.
Die Ehegatten Johann und Maria Holzmüller betrieben das Anwesen 15
Jahre lang. 1886 verkauften sie ihren Gesamtbesitz. Die Hofstelle,
bestehend aus Wohnhaus mit Mahlmühle und Schneidsäge, Stadel
mit Stallung und Pflugschupfe, Wagen- und Strohremise, Backhaus,
Hofraum, Hausgarten und Mühlweiher und Äcker, Wiesen und
Waldteile, insgesamt 11 Tagwerk und 25 Dezimalen Grund (38.329
Quadratmeter), erwarb mit Vertrag des königlichen Notars Karl
Pfaffenzeller zu Dachau vom 5. April 1886 Theres Kneißl. Der
Kaufpreis betrug 9800 Mark.
Die Schachenmühle lag im Nordosten des Ortes Sulzemoos, Bezirksamt
Dachau, etwa einen Kilometer vom Ortskern entfernt, ebenso einen
Kilometer südwestlich des Weilers Altstetten, der an der
Staatsstraße Dachau - Friedberg zwischen Oberroth und
Wiedenzhausen liegt. Im wahrsten Sinne allein auf weiter Flur stand
diese Schachenmühle. Sie war, wie bereits erwähnt, mit einer
Mahlmühle und einem kleinen Sägewerk ausgestattet. Beides
wurde über ein Mühlrad durch den vorbeifließenden
Steindlbach betrieben.
Viel war dabei nicht zu verdienen. Der Steindlbach war und ist auch
heute noch nur ein kleiner Feldgraben. Er war zwar zur Zeit des
Bestehens der Schachenmühle dort aufgestaut worden, um Wasser zu
speichern für das Mühlrad. Trotzdem konnte nicht verhindert
werden, daß bei Trockenperioden nicht mehr genügend Wasser
zur Verfügung stand und dadurch das Mühlrad und als Folge
davon Mühle und Säge stillstanden. Auch der Ertrag aus dem
landwirtschaftlichen Teil des Anwesens reichte zum Lebensunterhalt der
Familie nicht aus.
Kneißl senior, in den ersten Jahren des
Schachenmühlendaseins noch fleißig und strebsam, war aber
von früher her als geschickter Schreiner und Bastler bekannt. Er
beschäftigte sich deshalb neben dem kleinen Mühlen- und
Sägewerksbetrieb mit der Anfertigung von Wagner- und
Schreinerarbeiten. Mit dieser Tätigkeit verdiente er sich manche
Mark, die für die Versorgung seiner damals sechsköpfigen
Familie dringend benötigt wurde. Der Schachenmüller erfreute
sich bei seinen Abnehmern neben allgemeiner Beliebtheit auch der
größten Zufriedenheit. Ein Polizist, der damals in
Odelzhausen stationiert war, berichtete über diese Zeit, etwa von
1886 bis 1888: "Wer Gelegenheit hatte, mit den Kneißlschen
Eheleuten in persönlichen Verkehr zu treten oder sonst in
Berührung zu kommen, hat nicht immer den schlechtesten Eindruck
mit hinweggenommen. Besonders wurden alle jene gastfreundlich
aufgenommen und bewirtet, die den Hausfrieden nicht störten und
sonst keine unliebsamen Anforderungen zu stellen hatten. Selbst die
Gendarmerie wurde unter derartigen Umständen nicht unfreundlich
aufgenommen und war wohl gelitten. Hätte damals nicht der
Einfluß seiner Ehefrau und deren Anhänger so mächtig
auf Kneißl eingewirkt, man wäre wohl imstande zu zweifeln,
ob heute der Name Kneißl mit so kräftigen Lettern in der
Geschichte der Kriminalistik eingetragen wäre."
Der Aufenthalt auf der Schachenmühle hätte also eigentlich
ein beschaulicher und zufriedener sein können für die Familie
Kneißl. Ohne Nachbarn, nur umgeben von Äcker, Wiesen und
Wäldern wohnte sie dort, wo sich sonst nur Füchse und Hasen
"Gute Nacht" zu sagen pflegen. Aber gerade diese Lage war es, die die
Kneißls mit der Zeit auf die schiefe Bahn brachte.
Weit ab vom Ortskern bedeutete gleichzeitig auch weitab von neugierigen
Nachbarsblicken und vor allem weit ab von der Polizei. So trafen sich
mit der Zeit immer mehr zweifelhafte Elemente in der Mühle. In der
Stube ging es oft laut und lustig zu. Die Kneißl Resl war mit der
Ziehharmonika gut vertraut und spielte manchen "Landler" und
"Zwiefachen" auf. Diese waren nicht nur für ihre Kinder bestimmt,
sondern auch für manche Person, die lieber des Nachts als am Tage
in die Schachenmühle kam.
Einiges Diebs- und Wilderergesindel, das sich früher in der
Gastwirtschaft in Unterweikertshofen einfand, traf sich nun häufig
in der Schachenmühle wieder. Der Bekanntenkreis erweiterte sich.
Bald wurde die Schachenmühle von Gesetzesübertretern
beherrscht. Sie wurde zum Umschlagplatz und auch zum "Speiselokal"
für gewildertes und gestohlenes Gut. Die ganze Sache wurde
plötzlich dadurch noch schlimmer, als sich auch der Kneißl
senior, aus gutem Hause stammend, im Grunde fleißig und ehrlich,
bereits über 50 Jahre alt, von diesen Gestalten und deren Treiben
anstecken ließ. Auch der Kneißl ging nun zum Stehlen. Durch
die sich im Laufe der Zeit immer mehr häufenden strafbaren
Handlungen des Kneißls, meist Diebstähle, kam die
Schachenmühle auch immer mehr in einen schlechten Ruf.
Das ganze Diebesgesindel, das sich in der Schachenmühle einfand,
hatte fast so etwas wie einen Hehlerring aufgebaut, in dem oft
gestohlene Sachen von Hand zu Hand weitergereicht wurden. Selbst einige
Landwirte der weiteren Umgebung standen dieser Verbindung nicht fern.
Meist wurde das Gestohlene in einer künstlich angelegten und
geheim gehaltenen Grube im Hof der Schachenmühle versteckt. Nicht
selten aber wurde das Diebesgut in anderen Händen, also
außerhalb der Schachenmühle, aufgehoben. Bei dem Diebesgut
handelte es sich öfters um Schafe und Schweine. Mit der Zeit wurde
auch die Polizei auf dieses Treiben in der Schachenmühle
aufmerksam. Und wenn irgendwo in der Umgebung wieder ein Diebstahl
verübt wurde, mußte die Polizei der Schachenmühle einen
Besuch abstatten und eine Haus- und Hofdurchsuchung vornehmen. Selten
fand die Polizei etwas, schon gar nicht die Dinge, die außerhalb
der Mühle aufbewahrt wurden. War die Durchsuchung vorbei, wurde
das Diebesgut wieder in die Mühle gebracht und unter dem Jubel
über das Gelingen, die Polizei zu täuschen, gemeinsam
verspeist.
Das Treiben in ihrem Elternhause konnte mit der Zeit auf die Kinder
nicht ohne Wirkung bleiben. Die Leistungen in der Schule ließen
zu wünschen übrig. 1889 erhielt Matthias Kneißl junior
von der Schule Sulzemoos ins Zeugnis geschrieben: Anlagen: wenige,
Fleiß: sehr faul, Betragen: grob und unanständig. Bei dem um
zwei Jahre jüngeren Alois lauteten die Einträge ähnlich.
Ganz anders aber als ihre Kenntnisse in der Schule war ihr Können
im Umgang mit Waffen. In der Stube in der Schachenmühle hingen
eine Reihe von Doppelbüchsen und Stutzen. Diese standen jederzeit
zur Verfügung. Angeleitet und ausgebildet zum Schießen
wurden sie von niemand anderem als von ihrer eigenen Mutter. Die
Kneißl Resl verstand etwas davon. Beide Kneißlbuben wurden
gute Schützen. Matthias Kneißl junior hat sich später
auch stets seiner guten Leistungen und Fähigkeiten als
Schütze gerühmt. Wo konnte man das Erlernte besser in der
Praxis anwenden als im nahen Wald beim Wildern? In den weiten
Wäldern um die Schachenmühle herum fanden die beiden Buben
auch ausreichende Möglichkeiten, dem Wildern nachzugehen. Und
nicht nur einmal soll auch ihre Mutter mit von der Partie gewesen sein.
Unterstützt wurden die Kneißlsöhne von dem Händler
Johann Schlumbrecht aus Stangheim, der hauptsächlich die Munition
besorgte, und von dem Knecht Josef Schreck aus Hepberg bei Ingolstadt,
der in den Diensten des Baron von Schaezler in Sulzemoos stand.
Besonders der Schreck übte einen starken und gleichermaßen
schlechten Einfluß auf Matthias Kneißl junior aus. Der
junge Matthias Kneißl hatte dem Schreck auch seine erste
Verurteilung zu verdanken. Schreck überredete den zu der Zeit 15
Jahre alten Kneißl, mit ihm im Jahre 1891 einen Faschingsball zu
besuchen. Aufgrund seines Alters war dies für Kneißl damals
streng verboten. Er tat es dennoch, wurde auch prompt angezeigt. Das
Amtsgericht Dachau verurteilte ihn am 21. März 1891 dafür zu
drei Tagen Haft. Dies war die erste Strafe für Matthias
Kneißl junior. Zwölf weitere sollten noch folgen, wovon
gerade die insgesamt Dreizehnte seine Verurteilung zum Tode bringen
sollte.
Kneißl zog aus dieser seiner ersten Bestrafung keinerlei Lehren
und wurde auch von zuhause nicht angehalten, einen ordentlichen Weg
einzuschlagen. Sogar das Gegenteil war der Fall. Jetzt begann erst das
Leben. Das Wildern wurde ausgedehnt. Die Strafe mußte folgen. Am
8. Juli 1891 wurde Kneißl vom Landgericht München wegen
Wilderns zu drei Monaten Gefängnis verdonnert.
Es war damals und auch noch weit bis in unser Jahrhundert herein
Üblich, daß die Kinder sieben Jahre in die Volksschule gehen
mußten und anschließend drei Jahre in die sogenannte
Volksfortbildungsschule. Diese war wöchentlich einmal, und zwar am
Sonntag. Sie wurde deshalb auch "Feiertagsschule" genannt. In diese
Feiertagsschule mußte nach seiner Entlassung aus der Volksschule
auch der Kneißl Matthias gehen. Ging dieser aber schon nicht
gerne in die Volksschule, so ging er überhaupt nicht gerne in die
Feiertagsschule. Von seinem Vater wurde er in dieser Ablehnung gegen
diese Feiertagsschule bestärkt. Kneißl senior sagte: "Ein
solches Gesetz erkenne ich nicht an, wonach mein Bub noch mit 16 Jahren
in die Feiertagsschule gehen soll." So blieb der "Bub" halt hin und
wieder dieser Feiertagsschule fern. Auch dies stellte damals ein
strafbares Vergehen dar. Die Folgen waren wieder Gerichtsverhandlungen
und Aburteilungen.Insgesamt fünfmal wurde Kneißl wegen
Schulversäumnissen verurteilt: im Juli 1891, und im Januar,
Februar, Mai und Juli 1892. Die Strafen lauteten: drei Tage, vier Tage,
acht Tage, fünfzehn Tage und zwölf Tage Haft.
Die Polizei war dadurch mit der Zeit ebenfalls zum "Dauerbesucher" in
der Schachenmühle geworden. Sie konnte dabei immer wieder
feststellen, daß in der Schachenmühle lichtscheues Gesindel
Aufnahme und Unterstützung fand, das einfach mit den Kneißls
unter einer Decke stecken mußte. Unter einer Decke mit
Kneißls und den Gestalten, die in der Schachenmühle
verkehrten, steckte auch der kleine Spitz der Kneißls. Wieder
einmal, es war im April 1892, das Treiben in der Schachenmühle
ging seinem Höhepunkt und Ende entgegen, sollte die Polizei eine
Durchsuchung in der Schachenmühle vornehmen. Den Gendarmen war
bekannt geworden, daß sich eine gesuchte Person in der
Schachenmühle aufhalten solle. Gendarmen aus Dachau, Schwabhausen,
Indersdorf und Odelzhausen waren zusammengezogen worden. Im nahen Wald
wollten sie sich gerade aufstellen, um einen Ring um das Anwesen zu
ziehen, als der wachsarne Hund heftig zu bellen begann. Die gesuchte
Person wurde dadurch auf die anwesenden Gendarmen aufmerksam,
verließ in größter Eile, nur mit dem Hemd bekleidet,
sein Versteck, und war mit wenigen Sprüngen im Wald verschwunden.
Die Gendarmen hatten nur noch das Nachsehen.
Der nun zum "alten Kneißl" gewordene Matthias Kneißl senior
hatte sich immer weiter auf die schiefe Bahn treiben lassen. Der
Einfluß seiner Frau und deren Spießgesellen werden ihn so
weit gebracht haben. Er schreckte mit der Zeit auch vor
größeren Diebstählen nicht mehr zurück. Im Sommer
1892 wurde die Wallfahrtskirche "Herrgottsruh" in Friedberg ausgeraubt.
Der Verdacht richtete sich gegen Kneißl senior. Dieser wurde
schließlich von der Polizei verhaftet. Eine Hausdurchsuchung
hatte aber keine Spur von den gestohlenen Gegenständen gebracht.
Deshalb machte sich Frau Kneißl auf, sich beim Bezirksamt in
Dachau wegen der Verhaftung ihres Mannes und der Hausdurchsuchung zu
beschweren. Sie trug dabei einen großen Korb am Arm. Niemand
dachte daran, in diesen Korb zu schauen. Darin befand sich aber ein
Teil der in Friedberg gestohlenen Sachen. Die Frau Kneißl trug
also die gestohlenen Silbergegenstände, die sie vorher
kaltblütig und unverfroren mit in das Bezirksamt genommen hatte,
auch wieder heraus. Kurz danach wurde sie aber beim Verkauf von
Gegenständen, die aus dem Kirchenraub herrührten, in
München beobachtet und festgenommen. Sie erhielt wegen Hehlerei
drei Monate Gefängnis.
Der alte Kneißl war inzwischen wieder heimgekehrt. Nicht
daß er entlassen worden wäre. Er war aus dem
Untersuchungsgefängnis geflohen. Kneißl wurde wieder geholt.
Wieder entkam er den Aufsichtspersonen im Gefängnis. Ab diesem
Zeitpunkt aber war er verschwunden. Hin und wieder aber kam er nachts
heim in die Schachenmühle. Auch wenn die Schachenmühle
abseits lag vom Ort, bekam die Polizei mit der Zeit doch Hinweise von
diesen nächtlichen Besuchen des Kneißl. Schließlich
wurde für den 28. August eine erneute Durchsuchung der
Schachenmühle angeordnet. Zum drittenmal also rüsteten sich
die Gendarmen, diesmal sechs Mann stark, den alten Kneißl zu
verhaften. Die Gendarmen beobachteten zuerst stundenlang das Anwesen.
Ihnen war bekannt, daß sich Kneißl im Haus befand. Gerade,
als sie gegen die Schachenmühle vorgehen wollten, war wieder
einmal der wachsame Haushund, ein kleiner Spitz, rechtzeitig in Aktion
und verriet durch sein Bellen das Kommen der Gendarmen. Kneißl
verließ daraufhin das Wohnhaus, lief in die an das Wohnhaus
angebaute Mühle, rannte von dort ins Freie und versuchte, in den
nahen Wald zu entkommen. Plötzlich stand ein Gendarm vor ihm.
Kneißl konnte diesen beiseite stoßen, und ohne lange zu
zögern stürzte er sich in den in unmittelbarer Nähe
gelegenen Weiher. Für die Polizisten war nun Rat teuer. Sie holten
Stangen, schlugen damit auf den im Wasser liegenden Kneißl ein
und versuchten, ihn herauszuziehen, was ihnen schließlich auch
gelang. Kneißl wurde verhaftet, auf einen Wagen gesetzt und nach
Dachau transportiert. Bereits unterwegs klagte Kneißl über
Unwohlsein und wurde ohnmächtig. In Schwabhausen mußte
deshalb eine kurze Pause eingelegt werden. Schließlich kam aber
der Transport doch in Dachau an. Bei der Aufnahme im
Amtsgerichtsgefängnis klagte Kneißl plötzlich über
starke Magenschmerzen. Um sich etwas zu erholen, setzte er sich auf die
Treppe vor dem Gefängnis. Als der Beamte nach Erledigung der
Formalitäten wieder auf Kneißl zukam, prallte er entsetzt
zurück. Kneißl war tot. Unbemerkt von den anderen war er auf
den Stufen des Amtsgerichtsgefängnisses gestorben.
Da die Frau Kneißl im Gefängnis war, waren nun, im September
1892, in der Schachenmühle nur noch die fünf unmündigen
Kinder da. Als fünftes und letztes der Kneißlkinder war am
8. Oktober 1891 noch die Therese in der Schachenmühle auf die Welt
gekommen. Elf Monate war sie alt, als ihr Vater starb und ihre Mutter
verhaftet wurde. Matthias, der älteste, war 17, die übrigen
16, 15 und 13 Jahre alt. Diese Kinder waren nun in der
Schachenmühle allein zurückgelassen. Die 16jährige
Katharina, die ruhigste von allen, hatte Mutterpflichten an ihren
Geschwistern zu erfüllen. Die beiden Buben aber nutzten diese
völlige Freiheit, die sich ihnen nun bot, auch völlig aus.
Gewildert wurde, wann es nur ging. Und es ging fast immer. Mit der Zeit
wurden dann auch Diebstähle ausgeübt und Räubereien
unternommen. Die beiden Kneißlbuben und mit ihnen Schlumbrecht
und Schreck wurden zum Schrecken von Sulzemoos und Umgebung.
Mit der Zeit wurde aber dem Baron von Schaezler als dem Eigentümer
der Wälder und auch den übrigen Mitbewohnern von Sulzemoos
das Treiben der Kneißlkinder und von Schlumbrecht und Schreck
doch zu bunt. Auch die Polizei hatte längst nicht nur ein Auge auf
das Treiben der Bewohner der Schachenmühle geworfen. Und so
entschloß sich die Polizei, einzuschreiten und die
Kneißlbuben und ihre beiden sauberen Freunde zu verhaften.
Am Allerseelentag 1892 gegen 9 Uhr marschieren zwei Gendarmen zur
Schachenmühle. Es sind der Stationskommandant Balthasar
Gößwein und Gendarm Georg Förtsch von der
Gendarmeriestation Odelzhausen, zu deren Bereich die Gemeinde Sulzemoos
mit der Schachenmühle gehört. Dichter Nebel ermöglicht
es den Gendarmen, unbemerkt fast bis an das Anwesen heranzukommen. Kurz
vorher kam jedoch die Kneißhochter Katharina von der Kirche heim.
Sie hatte bemerkt, daß ihr die Gendarmen folgten. Sie ahnt wohl,
was kommen soll und warnt ihre beiden Brüder. Zur gleichen Stunde
sind auch Schlumbrecht und Schreck in der Schachenmühle. Sofort
beginnt Schreck auf die beiden Kneißlsöhne einzureden und
sie gegen die Gendarmen zu hetzen. Da nimmt auch schon der Alois ein
Gewehr an sich, ebenso eine Anzahl Patronen, und rennt über den
Hausgang und über die Stiege in den oberen Stock des Anwesens.
Matthias Kneißl und Schreck folgen ihm, ebenfalls bewaffnet.
Lediglich Schlumbrecht, der die Katharina gerne sieht, bleibt bei den
Mädchen in der Stube.
Der Spitz vor der Haustüre meldet die Ankunft der Gendarmen. Die
Katharina versucht derweil immer noch, die Drei von ihrem dummen
Vorhaben abzuhalten. Aber sie stößt nur auf taube Ohren.
Schon öffnet sich die Haustüre. Die beiden Gendarmen treten
in den Hausgang. Auf alles mögliche gefaßt, erkennen sie
deshalb sofort den gefährlichen Stand der Dinge. Im forschen
Schritt will der junge Gendarm Förtsch, der erst seit kurzem in
Odelzhausen Dienst tut, in das obere Stockwerk. Er geht auf die Treppe
zu und steigt ein paar Stufen empor. Dann bleibt ihm schier das Herz
stehen. Zwei Doppelbüchsen sind auf ihn gerichtet. Dabei allein
bleibt es aber nicht. Beide Doppelbüchsen werden abgedrückt.
Dem jungen Gendarmen war vorher gerade noch Zeit geblieben, sich etwas
aus dem direkten Schußbereich wegzudrehen. So erhält er
lediglich am Kopf und an einer Hand leichte Streifschüsse.
Förtsch war mit geladenem und entsichertem Gewehr die Treppe
emporgestiegen und hatte auch noch abgedrückt. Sein Schuß
gehtjedoch an den Dreien im oberen Stock vorbei.
Kommandant Gößwein zieht den leicht blutenden Kollegen aus
dem Schußbereich. Nun rechnet er mit der Vernunft des Matthias.
Dieser war nicht so hitzköpfig wie sein zwei Jahre jüngerer
Bruder Alois. Er redet dem Matthias gut zu und hätte ihn sicher
auch zur Vernunft gebracht. Aber der Alois war nicht zu bändigen.
Gößwein geht nun seinerseits auf die Treppe zu und steigt
hinauf. Er kommt etwas weiter als sein Kollege. Da dreht der Alois
durch. Zielen und abdrücken ist eins. Schwer am Unterleib
getroffen, bricht der Kommandant zusammen. Den dreien im oberen
Stockwerk überfüllt nun die Angst. Sie merken, daß sie
etwas Schlimmes angerichtet haben und ergreifen die Flucht. Kopflos
rennen sie dahin, über Wenigmünchen und Eurastetten bis nach
Aufkirchen.
Gendarm Förtsch hat seinen Kommandanten nach dessen Verletzung mit
Hilfe der Katharina und des Schlumbrecht in die Stube getragen.
Notdürftig versorgen sie die schwere Wunde. Dann betten sie ihn
auf einen Wagen und fahren ihn, Katharina lenkt wieder das Fuhrwerk wie
zwei Monate früher bei ihrem Vater, nach Odelzhausen, heim in
seine Wohnung. Es gelingt dem Arzt, Gößwein vorläufig
am Leben zu erhalten. Der Gendarm ist aber für immer
dienstunfähig und stirbt nach langem Leiden am 16. Oktober 1907 in
Miesbach.
Die drei Mordbuben waren noch in der Nacht wieder nach Sulzemoos
zurückgekehrt. Matthias schlich zur Schachenmühle. Alois und
Schreck übernachteten in einem Ziegelstadel. Sie wurden am
nächsten Tag von Arbeitern erkannt. Schreck konnte gerade noch
entkommen. Alois aber wurde festgehalten und von den herbeigeholten
Gendarmen festgenommen und in das Amtsgerichtsgefängnis nach
Dachau eingeliefert.
Vier Tage später, in der Abenddämmerung des 7. November,
marschierte der Matthias von Welshofen zur Schachenmühle. Er wurde
von einer Polizeistreife gestellt und festgenommen. Der "Hiasl", wie er
gerufen wurde, hatte einen Rucksack umgehängt. Sofort schauten die
Polizisten in den Rucksack, in voller Erwartung, daß sie da
bestimmt Diebesgut zu sehen bekämen. Aber was war im Rucksack: die
Ziehharmonika des Hiasl. Diese beherrschte er meisterlich.
Am 18. November wurde auch Schreck erwischt und verhaftet. Schlumbrecht
als Vierter im Bunde, der zwar an dem Anschlag auf die Gendarmen in der
Schachenmühle nicht beteiligt gewesen war, dafür an vielen
Vergehen vorher, wurde Ende November ebenfalls verhaftet und in das
Amtsgerichtsgefängnis nach Dachau gebracht, wo seine drei Freunde
auch schon saßen und auf den Prozeß warteten.
Die Schachenmühle, in der es noch vor wenigen Monaten so laut und
lustig zugegangen war und sich viel Publikum, wenn auch zwielichtiges,
eingefunden hatte, war nun innerhalb kurzer Zeit verwaist. Der alte
Kneißl war tot, die Frau Kneißl im Gefängnis, die
beiden Buben im Gefängnis. Übrig blieben noch die drei
Mädchen Katharina, Cäcilie und Therese. Katharina als die
älteste war 16 Jahre alt. Die drei Mädchen konnten nicht in
der Mühle bleiben. Sie wurden zu Verwandten gebracht.
Über das Anwesen selbst aber hatte sich in jenen turbulenten Tagen
des Novembers 1892 auch das Schicksal entschieden. Auf Antrag eines
Dachauer Kreditinstituts war am 3. November 1892 die
Zwangsversteigerung über die Schachenmühle vorgenommen
worden. Um das Meistgebot von 6100 Mark wurde es von Elkan
Gundelfinger, Kaufmann aus Augsburg, eingesteigert. Dieser verkaufte es
am 21. November 1892 an Lorenz Mair um 7650 Mark. Am 1. Dezember 1892
wurde das Anwesen schließlich von der Gemeinde Sulzemoos um 7926
Mark erworben. Diese ließ die Gebäude im Frühjahr 1894
abreißen. Die Grundstücke wurden an Sulzemooser Bauern
verkauft. Nur sechseinhalb Jahre lang waren also die Kneißls
Besitzer, Herren auf der Schachenmühle. Diese kurze Zeitspanne
hatte aber genügt, dieses Anwesen mit seinen Bewohnern auf
Generationen hinaus in das Bewußtsein der Bevölkerung
zwischen Amper und Paar einzuprägen und Gesprächsstoff
für viele Erzählungen und Unterhaltungen zu liefern. Die
Schachenmühle selber hatte 71 Jahre Bestand gehabt, von 1823 bis
1894, sicher viel zu wenig für das, was sich sein Erbauer
Pirringer vorgestellt hatte. Auch die Nachfolger Thalhofer, nochmals
Pirringer, Königbauer und Holzmüller hätten der
Schachenmühle sicher ein längeres Leben vergönnt. Wer
aber oft zu schnell in das Bewußtsein der Menschen tritt,
muß auch oft genauso schnell wieder abtreten. Bei der
Schachenmühle war dies der Fall.
Am 30. Mai 1893 fand vor dem Landgericht München 11 die
Verhandlung gegen Matthias Kneißl, Alois Kneißl, Josef
Schreck und Johann Schlumbrecht statt. Matthias Kneißl wird wegen
Totschlag, versuchtem Totschlag, Widerstand gegen die Staatsgewalt,
schwerem Diebstahl, eines Jagdvergehens sowie wegen Beleidigung zu
insgesamt fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Alois
Kneißl erhielt 15 Jahre Gefängnis, Josef Schreck 12 Jahre
und Johann Schlumbrecht 2 Jahre. Am 12. Juni 1893 mußte Matthias
Kneißl erneut vor das Gericht, diesmal vor das Landgericht
Neuburg an der Donau. Wegen eines schweren Diebstahls erhält er
ein Jahr Gefängnis. Mit Beschluß des königlichen
Landgerichtes München 11 vom 21. Juli 1893 werden die beiden
Strafen zusammengefaßt und auf eine Gesamtstrafe von fünf
Jahren und neun Monaten festgesetzt. Alois Kneißl stirbt nach
vier Jahren Haft am 3. Juli 1897 in der Gefangenenanstalt Laufen.
Schreck und Schlumbrecht verbüßen ihre Strafen und wurden in
unserer Gegend nicht mehr gesehen.
Kneißl mußte seine Strafe sofort am 30. Mai 1893 antreten.
Er war unmittelbar nach dem Urteilsspruch verhaftet und in das
Gefängnis eingeliefert worden. Seine Strafe büßte er in
der Gefangenenanstalt Amberg ab. Kneißl war dort in der
Goldleistenfabrikation tätig. Er konnte auch im Gefängnis
nicht immer Ruhe geben. Viermal während seiner Strafzeit wurde er
hauspolizeilich bestraft. Im März 1898 ersuchte Kneißl um
vorläufige Entlassung. Er gab an, bei dem Installateur Wilhelm
Karl in München, dessen Frau Sabine eine Tante zu Kneißl
war, sofort Arbeit, lohnenden Verdienst, zu finden. Aus diesem Grunde
fragte die Gefangenenanstalt am 17. September 1898 in München an,
welche Bedenken gegen eine Entlassung Kneißls nach München
bestünden. Von dort kam die Antwort, daß Kneißls
Ausweisung aus München beabsichtigt sei und deshalb eine
vorläufige Entlassung nach München "überhaupt nicht
befürwortet werden kann". Kneißl mußte also seine
Strafe bis auf den letzten Tag, dies war der 28. Februar 1899,
absitzen. Nach der Verbüßung der Strafe stellte die
Gefangenenanstalt auf die Frage: "Ob und welche Hoffnung für
nachhaltige Besserung gegeben sei?" fest: "keine".
Auch Ende Februar 1899 war Kneißl noch nicht frei. Erst am 20.
März 1899 kam er auf dem Schubwege in Dachau an. Vom dortigen
königlichen Bezirksamt wurde er "unter Verwarnung vor
Rückfall angewiesen, sich sofort und auf direktem Wege" in seine
Heimat, dies war Unterweikertshofen, zu begeben, sich beim dortigen
Bürgermeister vorzustellen und innerhalb von 14 Tagen ein seinen
Kräften und Fähigkeiten entsprechendes Unterkommen zu
verschaffen. Der Bürgermeister von Unterweikertshofen, Riedmair,
konnte am nächsten Tag dem Bezirksamt melden, daß sich
Kneißl rechtzeitig gemeldet und einen Heimatschein ausgestellt
haben wollte. Den Heimatschein benötigte er nach seinen Angaben
für das Bezirksamt, um dort einen Paß beantragen zu
können. Er wolle in das Ausland gehen und sich dort um Arbeit
umschauen. Am Nachmittag des 21. März 1899 ist Kneißl wieder
nach Dachau zurückmarschiert. Es darf hier festgehalten werden,
daß damals, vor 80 Jahren, die "Heimat" und davon abgeleitet das
"Heimatrecht" ein feststehender Rechtsbegriff war.
Es beinhaltete das Recht gegenüber der Heimatgemeinde zum
Aufenthalt, darüber hinaus das Recht auf Grunderwerb, Führung
eines Gewerbebetriebes, aber auch das Recht auf Unterstützung bei
Bedürftigkeit. In jeder Gemeinde war deshalb ein sogenanntes
"Gemeindehaus" als Wohnhaus vorhanden, in dem die
unterstützungsbedürftigen Personen eingewiesen, einquartiert
wurden. Dazu mußte die betreffende Gemeinde oft noch für den
Lebensunterhalt dieser Personen sorgen. Weil es sich eben meistens um
sozial schwächergestellte Personengruppen handelte, die in solchen
Gemeindehäusern wohnten, wurden diese Häuser oft auch
"Armenhäuser" genannt. Davon wird auch der Spruch abgeleitet, der
bei uns oft zu hören ist, wenn jemand allzu leichtsinnig oder
leichtfertig mit seinem Geld oder sonstigem Eigentum umgeht: "Wenn Du
so weitermachst, dann kommst Du schon noch ins Armenhaus". Dies
bedeutet nichts anderes, als daß derjenige, der so gerügt
wird, noch einmal von der Gemeinde unterstützt werden müsse.
Das Heimatrecht konnte durch Geburt, Verheiratung oder durch Verleihung
(gegen Bezahlung) erworben werden. Kneißl hatte seine Heimat in
Unterweikertshofen, weil er dort geboren war. Ein Heimatschein war ein
Ausweis, mit dem die Staatsangehörigkeit nachgewiesen wurde.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch noch, daß es in
Deutschland bis 1934 zuerst eine Staatsangehörigkeit des Landes
gab und erst über diese Landesstaatsangehörigkeit entstand
die Reichsstaatsangehörigkeit. In Bayern war man also zuerst Bayer
und erst dadurch dann Deutscher. Allerdings hatte jeder Deutsche in
jedem deutschen Land die gleichen Rechte und Pflichten wie die
Angehörigen des jeweiligen Landes. Am 5. Februar 1934 wurde diese
Landesstaatsangehörigkeit aufgehoben. Es gibt seitdem nur noch
eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit.
Wenn also jemand in einer bestimmten Gemeinde oder Stadt kein
Heimatrecht hatte, konnte er am Betreten der Gemeinde gehindert oder
von dieser Gemeinde ausgewiesen werden. Kneißl wollte nach seiner
Entlassung zu seiner Mutter ziehen, die zwischenzeitlich in
München wohnhaft geworden war. Die Stadt München aber wollte
Kneißl nicht haben. Er wurde mit Beschluß vom 18. März
1899 auf zwei Jahre aus München ausgewiesen. Die Familie
Pascolini-Kneißl hatte aber viele Bekannte im ganzen Land.
Darunter war auch der Schreiner Matthias Christoph aus Nußdorf am
Inn, Bezirksamt Rosenheim. Kneißl hatte von seinem Vater etwas
Schreinern gelernt. So zog der Hiasl fürs erste einmal nach
Nußdorf und arbeitete im Frühjahr und Sommer 1899 drei
Monate lang in der Schreinerei. Bei einem pensionierten
Straßenwärter bezog er Quartier.
Schreiner Christoph war mit dem Hiasl zufrieden. Auch sonst ließ
sich Kneißl nichts zuschulden kommen. Er war ein ordentlicher
Mitbewohner seiner neuen Umgebung. 14 Tage war sogar seine damalige
Freundin Maria bei ihm in Nußdorf. Auch seine Schwester Katharina
mit ihrem Freund, dem russischen Grafen und Kunstmaler Sotter von Jaxa
Malachowski, besuchten den Hiasl. Es schien alles gut zu werden. Da
erschien eines Tages der Gendarmeriestationskommandant bei Christoph
und erklärte ihm, daß es angeblich die Bevölkerung
nicht dulde, daß in Nußdorf ein ehemaliger
"Zuchthäusler" arbeite. Christoph fand nichts
Anstößiges dabei. Der Gendarm kam aber öfters und
schließlich mußte Christoph den Kneißl wegen der
Vorwürfe des Gendarmen doch entlassen. Dies war ein eigenartiges
Verhalten des Polizisten. Statt den Mann in Ruhe zu lassen und ihm zu
helfen, versuchte der Polizist, den Kneißl wieder aus der Bahn zu
werfen. Kein Wunder, daß in Kneißl wieder Haß aufkam
gegen die "Grünen". Kneißl mußte also gehen und fand
anschließend, aber doch nur hin und wieder, in der Umgebung von
München Arbeit. Seine unverschuldete Arbeitslosigkeit brachte ihm
dann auch noch ganz persönlichen Ärger. Seine Freundin Maria
löste das Verhältnis, weil Kneißl nach dem Aufenthalt
in Nußdorf die meiste Zeit arbeitslos war. Kneißl war
darüber sehr wütend und erklärte seiner "verflossenen"
Maria, daß er ihr auflauern und sie erschießen werde. Es
blieb aber doch Gott sei Dank nur bei dem Gerede. Kneißl
ließ das Mädchen künftig in Ruhe. Kneißl hatte
nun aber wieder Zeit, über Eigentum anderer Leute nachzudenken.
Vor allem träumte er von einem Gewehr. Da bot sich ihm am 4. Juni
1900 eine "günstige Gelegenheit". Es war ein warmer Vorsommertag,
Montag. Der Apotheker Franz Bürstinger aus München war
Jagdpächter in Sauerlach. Er war zusammen mit dem
Geweihhändler Wolfgang Plecher, ebenfalls aus München, an
diesem Tag auf einem Pirschgang gewesen. Im Anschluß daran
wollten sie sich im Gasthaus "Zum Neuwirt" in Sauerlach noch etwas
erholen und einen Dämmerschoppen einnehmen. Die beiden Herren
stellten ihre Gewehre, Bürstinger einen Drilling und Plecher eine
Bockbüchse, ins Nebenzimmer des Gasthauses. Da es schon etwas
dunkelte, machten sie Licht im Nebenzimmer und ließen es brennen,
als sie das Zimmer wieder verließen. Versperrt war das Zimmer
nicht. Die Gewehre lagen also sozusagen direkt "im Schaufenster". Die
beiden Jäger hatten sich inzwischen in den Garten des Gasthauses
gesetzt. Zufällig kam Kneißl des Wegs und mußte
natürlich einen Blick in das Fenster werfen. Da durchzuckte es
ihn. Standen da nicht ein Drilling und eine Bockbüchse, unbewacht,
unversperrt? Kneißl schlich sich über den Hintereingang in
das Haus, ins Nebenzimmer, und schon gehörten die beiden Gewehre
ihm.
Kneißl hatte nun "seinen Drilling", von dem künftig
öfters die Rede ist, mit dem er soviel Unheil anrichten und der
ihn im negativen Sinne berühmt machen wird, genau so wie der
Drilling durch Kneißl zu Berühmtheit gelangt. Kneißl
war jetzt ständig arbeitslos. Er hatte Zeit, Streifzüge durch
das Land zu unternehmen, von Süden nach Norden, von Westen nach
Osten zu marschieren. An einem schönen Augusttag war er in
Kleinberghofen in der Wirtschaft. Wie es das Schicksal oft so will,
waren die beiden Altomünsterer Gendarmen, Stationskommandant
Benedikt Brandmaier und Gendarm Wolfgang Scheidler, die mit
Kneißl gut drei Monate später noch einmal so
verhängnisvoll zusammentreffen sollten, ebenfalls dort. Diese
kannten und erkannten den Kneißl nicht. Der Kneißl nahm
irgendwann seinen Revolver hervor und sagte mit Blick auf die
Gendarmen: "Auf einen mehr von ihnen kommt es mir nicht an." Die
Gendarmen hör ten dieses Gerede offensichtlich nicht. Sie haben
sich auf alle Fälle nicht gestört gefühlt. Wenn die
Gendarmen gewußt hätten, daß es ein erneutes
Aufeinandertreffen von ihnen mit dem Kneißl geben würde,
hätten sie bestimmt entsprechend reagiert. Draußen in den
Kleinberghofener Wiesen entlang des Zeitlbaches wurden zu dieser Zeit
Vermessungen vorgenommen für eine zu bauende Bahnlinie von Dachau
nach Altomünster. Auch an diesem Tag, als der Kneißl in der
Wirtschaft in Kleinberghofen saß, waren der Ingenieur Heinrich
Petrus von der Firma Sager und Wörner aus München, der
Meßgehilfe Gottfried Schneider aus München und der
Hilfsarbeiter Diepold aus Ampermoching fleißig bei der Sache. Als
es vom Kleinberghofener Kirchturm 12 Uhr schlug, gingen sie in die nahe
Wirtschaft in Kleinberghofen zum Mittagessen. Gerade, als sie in die
Wirtschaft eintreten, verlassen die beiden Gendarmen, die Gewehre
umgehängt, das Haus. Die beiden Arbeiter nehmen an einem Tisch in
der Wirtsstube Platz, während der Ingenieur in das Nebenzimmer
ging und vom folgenden Vorfall nichts mitbekam. Kneißl, der an
einem anderen Tisch saß, stand plötzlich auf, ging auf den
Tisch zu, an dem die beiden Arbeiter saßen und sagte mit Bezug
auf die beiden eben weggegangenen Gendarmen: "Denen hab ich gmuckt". Er
wollte wahrscheinlich sagen, er habe die Gendarmen aufgezogen oder
verhöhnt. Kneißl fuhr fort: "Das nächstemal ziele ich
besser. Wenns mir noch einmal so ging wie in der Schachenmühle,
dann schieße ich alles zusammen." Er erzählte dann den
beiden Arbeitern die Geschichte von seinem Bruder und der
Schachenmühle. Kneißl berichtete auch, daß er einen
guten Drilling habe. Zu Geld komme er dadurch, daß seine
Schwester Katharina einen Grafen als Freund habe. Dieser Graf habe ihm
zugesichert, daß er für ihn sorgen werde, wenn er ein
ordentlicher Bursche werde. Auch den Anzug, den er anhabe, darunter
befand sich ein blauer Überzieher, habe ihm der Graf gekauft. Er,
Kneißl, wolle jetzt zum Militär gehen, vielleicht zur
Schutztruppe nach Afrika (Das deutsche Reich hatte damals mehrere
Kolonien in Afrika, in denen es auch Militärverbände gab).
Bald darauf entfernte sich Kneißl aus der Wirtschaft. Jetzt erst
konnte die Wirtin die beiden Vermessungsarbeiter über den
Kneißl aufklären, auch, daß er erst aus dem
Gefängnis entlassen worden sei. Sie sei froh, daß der
Kneißl wieder fort sei, sagte die Wirtin. Mit dem müsse man
versuchen, ihn im Guten weiterzubringen. Kneißl schlug, nachdem
er die Wirtschaft verlassen hatte, den Fußweg nach
Altomünster ein und folgte mit einigem Abstand den Gendarmen. Nach
einer Weile kehrte er aber doch um und ging Richtung Süden zum
Petersberg hin.
Erhard Holzleitner, 23 Jahre, Tapezierer von Niederschneiding,
Bezirksamt Straubing, ist ein Vetter der Kneißlkinder. Ihre
Mütter waren Schwestern. Dieser Holzleitner war zusammen mit Alois
Kneißl in der Gefangenenanstalt Niederschönenfeld bei Rain
am Lech in Haft. Nach seiner Entlassung suchte er öfters den
Matthias Kneißl auf. Holzleitner wollte diesen veranlassen, mit
ihm Räubereien auszuführen. Doch Kneißl lehnte anfangs
strickt ab und meinte, daß man da ja auf einen Schlag 15 Jahre
Zuchthaus bekommen könne. Holzleitner bohrte aber solange in den
Kneißl hinein, bis dieser schließlich doch mittat. Als
erstes fuhren sie mit dem Zug nach Freising, wo sie in der Nähe
einen Pfarrhof ausrauben wollten. Kneißl traute sich aber nicht,
so daß dieser Plan scheiterte. Am Dienstag, 25. Oktober 1900,
mittags war es aber doch soweit. Kneißl verübte zusammen mit
Holzleitner einen Einbruch beim Bauern Lorenz Scheurer in der
Einöde Oberbirnbach, Gemeinde Wahlsdorf bei Langquaid, Bezirksamt
Rottenburg, Niederbayern. Zuhause war die. Bäuerin Ottilie
Scheurer. Die beiden gaben sich als Hopfenhändler aus,
plötzlich sagten sie aber "Geld her oder... " Holzleitner trug bei
dieser Gelegenheit einen Revolver und ein Messer in den Händen.
Die Frau bat um ihr Leben. Sie mußte in den oberen Stock gehen,
wo Kneißl aus einer Kommode 20 Mark in bar, fünf
Hundertmarkscheine und einen Pfandbrief zu 2000 Mark und einen zu 500
Mark und verschiedene Schmuckgegenstände an sich nahm. Als
Holzleitner auch noch die Sachen des Hüterbuben mitnehmen wollte,
sagte Kneißl: "Laß doch dem Hüterbuben seine Sachen."
Daraufhin befahl Holzleitner der Bäuerin, in den Keller zu gehen,
worauf er die Falltüre schloß und die Bäuerin
einsperrte. Beim Weggehen aus der Ortschaft trafen die beiden die
Tochter der Überfallenen und riefen ihr zu "Arbeitet nur recht
fleißig."
Nach diesem Raub fuhren die beiden nach Unterschweinbach. Am 27.
Oktober besuchte Kneißl seine Freundin in Poigern. Am
nächsten Tag kamen die Räuber nach Oberschweinbach und
versuchten, die Pfandbriefe zu verkaufen. Der Gütler Peter
Göttler in Günzlhofen hatte bereits am Tage zuvor von dem
Raub in Oberbirnbach in der Zeitung gelesen, als die beiden abends bei
ihm auftauchten und den Pfandbrief über 500 Mark verkaufen
wollten. Er verweigerte dies, las nochmals die Zeitung und ritt dann,
als er vom Wirt die Bestätigung erhalten hatte, daß die
Beschreibung auf die beiden paßte, nach Oberschweinbach, wo
Kneißl und Holzleitner inzwischen in der Wirtschaft Sedlmaier
saßen und dort bereits versucht hatten, der Wirtin den Pfandbrief
zu verkaufen. Als diese abgelehnt hatte, gingen die beiden
anschließend von Haus zu Haus, um den Pfandbrief zu verkaufen.
Dann kamen sie wieder in die Wirtschaft zurück. Inzwischen hatten
die Gäste dort, denen die Sache verdächtig vorkam, in der
Zeitung nachgesehen. Auch kam der Göttler in Oberschweinbach an,
ritt in den Hausgang und rief in die Gaststube: "Das sind die zwei, die
in Niederbayern den Raub ausübten." Daraufhin sprang Kneißl
auf die Bank und zielte mit dem Revolver auf Göttler. Dieser
flüchtete in die Küche. Gütler Johann Rupp aus
Günzlhofen wollte daraufhin den Holzleitner festnehmen. Dieser
packte ihn jedoch und stieß ihm den Revolver an die Brust. Rupp
ließ von dem Räuber ab. Kneißl und Holzleitner
ergriffen sofort die Flucht. Als Kneißl gerade durch die
Türe wollte, kam der Dienstknecht Johann Neumaier zur Türe
herein. Dieser wollte Kneißl den Ausgang verwehren- Kneißl
setzte ihm aber den Revolver auf die Brust, worauf ihn Neumaier laufen
ließ. Neumaier wurde von seinem Dienstherrn beauftragt, nach
Nannhofen zu reiten und die Gendarmen zu verständigen. Neumaier
machte sich auf den Weg, bekam es unterwegs aber mit der Angst zu tun
und kehrte bald wieder um. Als Kneißl und Holzleitner
flüchteten, wurden sie von mehreren Personen verfolgt. Die beiden
gaben zwei Schüsse auf die Verfolger ab. Ein Schuß davon
ging dem Johann Rupp knapp an den Ohren vorbei. Der Weg der beiden
Räuber führte nach München. Kneißl hatte dort
Verwandte. Holzleitner wollte einen Unterschlupf finden. Den fand er
auch, aber anders, als er sich das vorgestellt hatte. Aufgrund seiner
Beschreibung wurde er bereits am nächsten Tag, 29. Oktober, in
München verhaftet und in sein neues Quartier, ins Gefängnis
eingeliefert. Vom Schwurgericht Straubing wurde er schließlich zu
15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Kneißl, der die ganze Beute von
Oberbirnbach bei sich hatte, war weiter in Freiheit. Der
Untersuchungsrichter am königlichen Landgericht in Landshut, Wolf,
erließ am 11. November 1900 wegen des Raubes in Oberbirnbach
Haftbefehl gegen Kneißl: "Ersuche um dessen Festnahme und um
Hierherlieferung", so, als ob das die leichteste Sache der Welt
wäre. Die Beschreibung (Signalement hieß dies damals)
für Kneißl lautete: 25 Jahre alt, klein (1,60 bis 1,64 Meter
groß), untersetzt, blond, in der Mitte gescheitelte Haare,
dunkelblondes Schnurrbärtchen, blaue Augen, blonde Augenbrauen,
ovales Gesicht, am linken Unterarm eine Tätowierung (einen
Armbrustschützen und die Jahreszahl 1892 darstellend) und am
linken Oberschenkel zwei Schußnarben. Auch soll er am Halse eine
Warze haben. Kleidung: Schwarzer Hut, blauschwarzer Überzieher,
blaugestreiftes Hemd mit weißem Stehkragen, schwarze Krawatte,
schwarze Strümpfe und gelbe Schuhe. Kneißl trägt ein in
der Regel geladenes Drillingsgewehr bei sich. Außerdem war eine
Belohnung von 400 Mark für die Ergreifung von Kneißl
ausgesetzt worden.
Gegen Kneißl war also ein Haftbefehl erlassen worden. Aber so
einfach wollte sich der Hiasl nicht fangen lassen. Er war
körperlich in einer guten Verfassung, zäh und ausdauernd,
verschlagen und listig. Diese Eigenschaften waren es auch, die es ihm
später ermöglichten, immer wieder der Polizei zu entwischen,
die ihn erst durch einen Verrat verhaften konnten. Vorerst aber begann
für Kneißl ein viermonatiges ständiges Herumziehen, von
einer Übernachtungsstelle, von einem Heu- oder Strohstadel zum
anderen, von einer Ortschaft in die nächste. Anfangs mag ihm
dieses Versteckspielen vielleicht noch Spaß gemacht haben, ein
Spiel im wahrsten Sinne des Wortes "Räuber und Gendarm", das wir
als Kinder auch immer spielten, "Reiba und Schandi", Gott sei Dank
immer ohne ernsten Hintergrund. Für den Kneißl aber war es
stets "blutiger Ernst". Mit der Zeit aber wurde er der Gehetzte, der in
durchnäßten Kleidern flüchten mußte, oft tagelang
nichts zu essen hatte, weil er sich aus seinen Verstecken nicht
hervortraute. Immer aber blieb er in einem eng umgrenzten Gebiet, in
dem er sich auskannte, in dem er zuhause war, und das man später
das "Kneißl-Gebiet" nennen wird. Es umfaßte die
Bezirksämter Dachau, Aichach, Schrobenhausen, Friedberg und Bruck.
Zwischenzeitlich machte er auch "Ausflüge" nach München.
Meist aber war er auf dem Lande, wo er jede Wirtschaft und fast jeden
Stadel kannte.
Zum erstenmal nach seinem Auftreten in Oberschweinbach wurde er am
Sonntag, 25. November 1900, Kathreinstag, um 10 Uhr vormittags im
Stadel der Wirtschaft Helfer in Großberghofen von der Wirtin
Therese Helfer selbst angetroffen. Kneißl saß seelenruhig
auf einem Bund Stroh und aß ein Stück Brot. Als Kneißl
die Wirtin sah, stand er ruhig auf und ging von dannen, Richtung
Erdweg, Kleinberghofen.
Zwei Tage später, am Dienstag, 27. November, war er in der
Ortschaft Paar bei Kühbach. Er schoß dort während des
hellichten Tages am Fluß Paar mit seinem Gewehr auf Wildenten.
Gegen Abend zu ging er, mit seinem Drilling bewaffnet, in das Gasthaus
nach Haslangkreit. Kneißl gab sich dort als Jäger aus. Dies
tat er öfters. Gegen 20 Uhr verließ Kneißl das
Gasthaus wieder und marschierte erneut in die Ortschaft Paar. Dort
stahl er eine halbe Stunde später in der Mühle zwei
Hühner. Der Hund des Nachbarn bellte ihn dabei an. Kneißl
schoß den Hund kurzerhand nieder. Aufgeschreckt durch die
Schüsse trat Bürgermeister Xaver Plöckl zusammen mit
seinem Hund auf die Straße. Kneißl schoß auf beide,
ohne aber zu treffen. Inzwischen war ein weiterer Hund unruhig geworden
und fing zu bellen an. Auch den schoß Kneißl nieder. Die
Schießwut des Kneißl an diesem Abend war aber dadurch noch
nicht gestillt. In dem Anwesen, vor dem Kneißl gerade stand,
brannte im Keller ein Licht. Außerdem stand das Kellerfenster
offen. Kneißl schoß in den Keller, glücklicherweise
ohne jemanden zu treffen.
Die Schüsse hallten durch das ganze Dorf. Im Gasthaus saßen
mehrere Einwohner von Paar. Diese hörten plötzlich die
Schüsse von der Straße her. Alle rannten daraufhin sofort
ins Freie. Dort trafen sie auf den Bürgermeister.
Währenddessen fielen weitere Schüsse. Die Umstehenden
sprachen eingehend von der Sache. Sie waren allgemein der
Überzeugung, daß die Schüsse nur von Kneißl
stammen konnten, weil dieser schon nachmittags in der Nähe gesehen
wurde. Dieser Überzeugung war besonders der Bürgermeister. Er
forderte unmißverständlich zur Verfolgung des Kneißl
auf: "Das ist der Kneißl. Den treiben wir aus dem Dorf hinaus."
Mehrere Dorfbewohner rannten daraufhin dem Kneißl nach.Sie kamen
ihm auch ganz nahe. Kneißl rief öfters, daß man ihn in
Ruhe lassen solle. Trotzdem gab es einige Unerschrockene oder
Übermütige, die Kneißl immer näher kamen, darunter
war auch der Landwirtssohn Johann Seitz, 24 Jahre alt. Als dieser dem
Kneißl auf drei Meter nahe war und die Situation für
Kneißl kritisch wurde, rief Kneißl: Jetzt geh her!", drehte
sich plötzlich um und gab einen Schrotschuß ab, der Seitz in
das linke Knie und in den Oberschenkel traf. Daraufhin ließ
Kneißl seine gestohlenen Hühner fallen und lief davon in
Richtung Kühbach. Für den verletzten Seitz hatte
vorübergehend Lebensgefahr bestanden. Diese Krise konnte er
überwinden. Zeit seines Lebens aber war Seitz schwer behindert
durch diese Verletzung. Die Gendarmerie war schnell zur Stelle, war
auch schnell mit Verhaftungen. Aber die zwei Italiener, die die
Gendarmen noch in der Nacht verhafteten, waren gänzlich unschuldig
und wurden am folgenden Tag wieder entlassen.
Kneißl, im Dunkel der Nacht entkommen, machte sich auf in
Richtung Süden. Er war nun unterwegs zu dem Ort, an dem er sein
größtes Verbrechen verüben sollte, nach Irchenbrunn.
Sein Weg läßt sich von Paar aus genau verfolgen. In der
Nacht nach seinem Auftreten in Paar wird er noch ein paar Stunden
gewandert sein, ehe er sich in einem Stadel zur Nachtruhe
niederließ. Am folgenden Tag hatte er sein Versteck nicht
verlassen. In der anschließenden Dämmerung marschierte er
weiter nach Süden. Am frühen Morgen des 29. November langte
er in Randelsried an. Dieser Ort, bei Altomünster gelegen, war der
Geburts- und Heimatort seines Vaters gewesen. Kneißl versuchte
dort vergeblich, die gestohlenen Pfandbriefe zu verkaufen.
Anschließend ging er zur Gastwirtschaft Seidl nach Asbach.
Bereits um 7 Uhr in der Früh begehrte er dort Einlaß, legte
seinen geladenen Drilling auf den Tisch, aß eine Sülze mit
Brot und trank zwei Glas Bier dazu. Nach diesem Frühstück
zahlte er ordnungsgemäß und machte sich wieder auf den Weg.
Im Laufe des Vormittags kehrte er in der Wirtschaft in Reichertshausen
ein.
Dorthin kam etwas später als Kneißl auch ein fliegender
Händler, ein Hausierer, der "Neuburger Kramer". Dieser zog mit
Pferd und Wagen von Ort zu Ort, um seine Waren anzubieten und zu
verkaufen. Der Neuburger Kramer war ein leutseliger Mensch, ratschte
gerne ein wenig, kam mit den Leuten gut zurecht, die von ihm immer
allerhand Neuigkeiten erfuhren. Auch jenesmal erfuhren die
Reichertshausener Neuigkeiten, doch glaubten diese nicht ganz daran.
Der Hausierer setzte sich in die Wirtsstube, zum Tisch mit dem
Kneißl und einigen Einheimischen. "Ich möcht' wetten",
dachte sich der Händler innerlich, "daß dös der
Kneißl is." Gesehen hatte er diesen zwar noch nie. Auch ein Bild
hatte er noch nie zu Gesicht bekommen. Aber: "Aufgrund des Signalements
könnt' er es sein." Als er mit seinen Tischnachbarn einmal allein
war, erzählte er ihnen seinen Verdacht. Diese aber trauten der
Sache nicht ganz. Die 400 Mark wären schon recht, die zu verdienen
wären. Aber ist es der Kneißl wirklich? Sie zeigten sich
unschlüssig, unternahmen keine Hilfsdienste für die Polizei.
Hätten sie es doch getan, kann man heute nachträglich
wünschen.
Die 400 Mark hätten ihnen gehört. Viel wichtiger aber
wäre gewesen, daß zwei Polizisten, die in den nächsten
Tagen sterben mußten, am Leben geblieben wären. Kneißl
wanderte weiter, Richtung Pipinsried. Auch in die dortige Wirtschaft
Lampl schaute er hinein, ließ sich eine halbe Bier bringen und
fragte die Wirtin, ob der Postomnibus von Altomünster schon
durchgefahren sei. Dieser Omnibus stellte damals die Verbindung zum
Bahnhof in Röhrmoos her. Ja, sagte die Wirtin, der sei schon
durch. Aber er könne mit ihrem Knecht mitfahren. Dieser hole ihren
Mann in Röhrmoos vom Zug ab. Kneißl, der sich wieder als
Jäger ausgegeben hatte, nahm dankend an und fuhr zwei Stunden
später mit dem Wirtsknecht von Pipinsried Richtung Röhrmoos.
Gerade, als sie in Indersdorf durch den Schneiderturm fahren wollten,
kam ihnen der Wirt von Pipinsried schon entgegen. Er war einen Zug
früher von München weggefahren und zu Fuß von
Röhrmoos herübergegangen. Der Knecht konnte also bereits hier
wieder umkehren. Für Kneißl war die Fahrt in Indersdorf zu
Ende. Diesem machte das nichts aus. Er bedankte sich, stieg vom
Fuhrwerk ab und zog wieder zu Fuß des Weges. Wieder muß
hier eine Frage gestellt werden: Warum ist der Wirt von Pipinsried
einen Zug früher von München gekommen? Wäre er so, wie
ursprünglich geplant, in Röhrmoos angekommen, wäre der
Knecht bis nach Röhrmoos gefahren, Kneißl mit ihm. Dieser
wäre vielleicht nicht am folgenden Andreastag nach Irchenbrunn
gekommen. So aber war Kneißl weiter unterwegs nach Irchenbrunn,
wo er zwei Menschen das Lebenslicht ausblasen sollte. Noch wußte
er aber von nichts. Vorerst verbrachte Kneißl die bereits
angebrochene Nacht vom 29. auf den 30. November 1900 im Glonntal
zwischen Indersdorf und Erdweg.
Der folgende Tag, der Andreastag, war kein schöner Tag. Es war ein
Tag im Übergang vom Herbst in den Winter, wolkenverhangen, windig.
Kneißl blieb tagsüber in seiner Schlafstelle. Erst gegen
Abend bekam er Hunger, suchte eine Mahlzeit. In der Nähe von
Erdweg ist gleich Unterweikertshofen. Dort aber war er daheim, dort
kannte man ihn. Also konnte er es sich nicht einfach machen, in
Unterweikertshofen ins Wirtshaus zu gehen und sich etwas zum Essen zu
bestellen. Nein, er mußte zu zuverlässigen Bekannten gehen,
die ihn kannten und nicht verrieten, die ihn unterstützten und
verpflegten. Nach Einbruch der Dunkelheit machte sich Kneißl mit
seinem Drilling auf den Weg, auf den verhängnisvollen Weg, der
schließlich drei Menschen, und zwar zwei Polizisten und dann ihm
selber, den Tod brachte.
Kneißl ging schon nach Unterweikertshofen, aber nicht in die
Wirtschaft, sondern klopfte gegen sieben Uhr abends an das Wohnhaus des
Gütlers Johann Maier und bat um Einlaß. Es war nur die Frau
zuhause. Diese fragte der Kneißl nach ihrem Mann. Der war nach
Schwabhausen gegangen und wollte erst spät wieder
zurückkommen. Solange wollte der Kneißl nicht warten.
Deshalb ging er wieder. So marschierte der Hiasl wieder weiter, genau
dorthin, wo er sein größtes Verbrechen verüben sollte,
nach Irchenbrunn. Etwa gegen acht Uhr abends kommt er dort an. Er geht
sofort auf das am östlichen Dorfeingang stehende Haus zu. "Beim
Flecklbauern" heißt das Anwesen. Es wird bewohnt von Michael
Rieger und seiner Frau Maria und deren Kindern.
Kneißl klopft. Die Bäuerin öffnet. Sie wollte gerade
ins Bett gehen. Sie sieht den Kneißl und erkennt ihn auch gleich.
Sie ist auch nicht überrascht, daß der Kneißl da ist.
Seit vielen Jahren besteht eine Verbindung zwischen den Kneißls
und den Riegers. Der Hiasl frägt nach dem Flecklbauern. "Der",
gibt die Flecklbäuerin Auskunft, "ist in der Wirtschaft." Es ist
ja schließlich Andreastag, ein sogenannter abgeschaffter Feiertag.
Das gehörte sich damals so, daß an solchen Tagen das
Landvolk die Arbeit langsamer angehen ließ und nachmittags oder
abends in die Wirtschaft ging. Solche "abgeschaffte Feiertage" gab es
damals eine ganze Reihe, wie Maria Lichtmeß (2. Februar), Blasius
(3. Februar), Mariä Verkündigung (25. März), Georg (23.
April), Osterdienstag, Pfingstdienstag, Johann (24. Juni), Mariä
Heimsuchung (2. Juli), Bartholomäus (24. August), Katharina (25.
November) und auch den Andreastag (30. November). Ursprünglich
waren diese Tage vollständige, richtige Feiertage. Unter dem
bayerischen Minister Graf Maximilian von Montgelas wurden diese
Feiertage im Jahre 1800 abgeschafft. Das Volk sollte mehr arbeiten und
nicht immer kirchliche Feste feiern. Aber die Bayern nahmen diese neue
Vorschrift anfangs nicht genau. Mit voller Strenge hatte Montgelas aber
dann seine neue Vorschrift durchdrücken und am Lichtmeßtag
1802 sogar die ersten Wirtshausrazzien durchführen lassen, wo die
Bauern vom Biertisch weg verhaftet und in den Arrest geführt
wurden. Der Minister hatte nicht einsehen wollen, daß gerade der
Bauer und das Landvolk überhaupt in Altbayern mitten drin stand im
katholischen Kirchenjahr und dem Bauern und dem Knecht die vielen
Feiertage auch das waren, was ihm selber sein Urlaub war.
Selbstverständlich war das Volk nicht gut auf diese Verordnung und
auf den Minister zu sprechen. Man kann sich vorstellen, wie das Volk
schadenfroh lachte, als dieser Minister Montgelas gerade am 2. Februar
1817, am Lichtmeßtag also, an dem üblicherweise die
Dienstboten auf dem Lande ihre Arbeitsstellen wechselten, von
König Max 1. Joseph, nicht zuletzt auf Betreiben des Kronprinzen
und späteren Königs Ludwigs 1., aus seinem Ministeramt
entlassen wurde.
Die Flecklbäuerin hat das Fenster wieder geschlossen und geht ins
Bett. Kneißl geht zur Wirtschaft in Irchenbrunn. Sie liegt fast
am anderen Ende des Dorfes. Kneißl geht nicht in die Wirtschaft
hinein. Er traut sich nicht recht. Die Wirtsstube ist voller Leute. Es
hat ihn zwar auch in Irchenbrunn außer dem Flecklbauer noch
keiner von Angesicht gesehen. Aber die Leute könnten doch
nachfragen. Es könnte herauskommen, wer er ist. Und vielleicht
könnte ihm dann einer nicht gut gesonnen sein. Er wartet lieber,
bis der Flecklbauer einmal aus der "Stub'n", wie die Gast- oder
Wirtsstube auch heute noch auf dem Lande heißt, herauskommt. Das
ist bald der Fall. Kneißl spricht den Flecklbauern an und sagt
ihm, daß er Hunger habe. Rieger, auch nicht überrascht
über das Auftauchen des Hiasl, sagt, daß er nur mit
hereinkommen soll. In der Wirtsstube sei es warm. Er könne essen
und trinken und später zum Schlafen werde sich schon etwas finden.
Der Hiasl aber ist damit nicht einverstanden. Er lehnt ab. Ihm ist es
lieber, wenn er nicht von so vielen Leuten gesehen wird. Dem
Flecklbauern aber bringt er Vertrauen entgegen. Von dem befürchtet
er nichts. Er kennt ihn schon lange. Manches Geschäft wurde
zwischen den Kneißlschen und den Riegerschen schon getätigt.
Kneißl wäre sonst nicht zum Rieger gekommen. "Gut", meint
der Flecklbauer, "wennst Du halt nicht mit hereingehen willst, dann
kauf' ich halt noch etwas und dann gehen wir heim." Rieger geht zur
Wirtin, läßt sich drei Maß Bier, ein paar Würste
und ein Pfund Gselchtes geben, packt alles in einen Sägerer
(sackartige Tasche), zahlt, sagt "Gute Nacht" und will gehen.
Da aber kommt ihm blitzartig ein Gedanke. Ohne lange zu zögern,
setzt er diesen Gedanken auch schon in die Tat um. Es war etwas ganz
Rätselhaftes, etwas, das noch nie und nie mehr ganz geklärt
werden kann. Er winkt plötzlich den ihm bekannten Knecht Michael
Grießer aus der Stube. "Du", sagt der Flecklbauer zum "Nazimo
Miche", weil der Grießer beim "Nazimo" in Unterzeitlbach daheim
ist, lauf schnell auf Altomünster. Hol' die Gendarmen. Der
Schachenmüllerhiasl ist bei mir. 400 Mark sind zum Verdienen. Lauf
schnell!" Ganz im Staaden (Stillen) sagt der Flecklbauer auch noch zur
Wirtin: "Der Schachenmüllerhiasl ist draußen. Ich hab' um d'
Schandarmen g'schickt. Wenn's guat nausgeht, dann kimm' i' später
noch einmal und hol' mir a Faß1 Bier."
Rieger und Kneißl gehen zum Flecklbauernanwesen. Der Hiasl sagt
nichts. Er ist müde. Er war ja schon seit Tagen unterwegs, hatte
nicht richtig geschlafen und den ganzen Tag nichts gegessen.
Außerdem ist es sehr naßkalt und windig. Ihn frierts. Er
geht mit dem Flecklbauern ins Haus, setzt sich in der Wohnstube an den
Tisch, langt kräftig zu von dem Essen, das der Flecklbauer aus der
Wirtschaft mitgenommen hat. Die Flecklbäuerin ist noch nicht
eingeschlafen, als ihr Mann von der Wirtschaft heimkommt. Sie
hört, daß noch jemand dabei ist. Sie steht wieder auf und
schaut, wer der späte Gast ist. Als sie feststellt, daß es
der Kneißl ist, legt sie sich wieder ins Bett. Kurz darauf
erscheint der Flecklbauer im Schlafzimmer und sagt ihr: "Mutter, die
Gendarmen kommen. Ich habe darum fortgeschickt."
Grießer will den Weg nach Altomünster nicht allein gehen. Es
ist naß und kalt und stockdunkel. Er geht von Irchenbrunn nach
Übelmana zum "Hiasbauern" Josef Mayr. Dort steht er im Dienst, mit
ihm der Knecht Dominikus Rösele, der beim "Greppenmaurer" in
Sielenbach daheim ist. Etwa um neun Uhr kommt Grießer in
Übelmana an. Grießer erzählt dem Rösele seinen
Auftrag und bittet ihn, mit ihm nach Altomünster zu gehen. Der
andere willigt ein. So marschieren, laufen beide nach Altomünster,
zu den Gendarmen. Dort angekommen gehen sie zuerst zum Gendarm Wolfgang
Scheidler, klopfen ans Fenster, teilen ihm ihren Auftrag mit.
Scheidler, erst vor kurzem von München nach Altomünster
versetzt, muß natÜrlich die Kompetenzverteilung in seiner
Dienststelle einhalten. Er schickt die beiden Burschen zum
Stationskommandanten Brandmaier. Dieser ist schon seit 1894 in
Altomünster stationiert. Scheidler zieht sich aber sofort an,
nimmt sein Gewehr. Ebenso macht sich auch der Kommandant fertig. Nach
kurzer Zeit marschieren die beiden Gendarmen mit Grießer und
Rösele aus Altomünster hinaus, über Schauerschorn nach
Oberzeitlbach.
Es ist kurz nach elf Uhr, als sie an die dortige Wirtschaft kommen, die
bald am Ortseingang liegt. Auch in Oberzeitlbach ist wegen des
abgeschafften Feiertages die Wirtschaft voll besetzt. Der Kommandant
geht in die Wirtsstube, winkt ein paar Burschen heraus. Ganz wohl ist
denen dabei nicht. Was will der Gendarm von ihnen? Sie haben aber kein
schlechtes Gewissen. Also folgen sie. Andererseits sieht man es auf dem
Land, auch heute noch, nicht ganz ungern, wenn man von höherer
Stelle um etwas gebeten wird. Schließlich stehen so sechs, sieben
Burschen im Hausgang der Wirtschaft. Der Kommandant Brandmaier
erklärt ihnen: "Der Schachenmüllerhiasl ist beim Flecklbauern
in Irchenbrunn. Jetzt gibt es 400 Mark zu verdienen. Der Flecklbauer
ist auf unserer Seite. Ihr braucht bloß hineingehen und ihn
packen. Greift's nur fest zu. Geht's gleich auf seine Händ'. Wenn
er was macht, schießen wir ihn schon gehörig z'samm."
Restlos begeistert sind die Burschen nicht. Ganz so einfach stellen sie
sich die Gefangennahme dieses Räubers nicht vor, vor allem
deshalb, weil sie schon soviel über ihn gehört haben. Aber
daß sie keine Schneid haben, das wollten sie sich doch nicht
nachsagen lassen. Also gehen sie mit. "A Schneid' hamma immer!" dachte
sich wohl auch der Andreas Bayerl, der noch dazu an diesem Tag seinen
Namenstag feiern konnte. Auch er ging mit den Gendarmen mit. Er war
Zimmermann in Altomünster, zuerst beim Schreiner Stich, ehe er
sich selbständig machte. Als zu der Zeit, als er noch beim Stich
arbeitete, am Altomünsterer Kirchturm Arbeiten vorgenommen werden
mußten, stieg Bayerl selbstverständlich auch auf den Turm
und ging in rund 60 Meter Höhe außen auf einem Vorsprung um
den Turm herum. Schneid haben sie also schon gehabt. Die Gruppe von
rund zehn Mann macht sich auf den Weg. Es sind dabei die beiden
Gendarmen, Grießer, Rösele, Johann Stumpferl, Bauerssohn aus
Oberzeitlbach, Jakob Lindermaier, Dienstknecht von Oberzeitlbach, Josef
Lindermaier, Wagner aus Oberzeitlbach, Peter Lechner, Dienstknecht in
Oberzeitlbach, Andreas Bayerl, Zimmermann aus Altomünster und noch
zwei, drei Burschen.
Die Nacht ist nach wie vor finster. Kein Stern ist am Himmel zu sehen.
Eiskalter Regen sprüht herab. Scharfer Westwind, Gegenwind
bläst den Männern ins Gesicht. Die Männer schreiten, so
gut es geht, zügig voran, Irchenbrunn entgegen. Das
Flecklbauernanwesen ist, wie gesagt, das erste am östlichen
Dorfrand, und aus östlicher Richtung nähert sich auch die
Gruppe dem Ort. Nach einer guten halben Stunde stehen die Gendarmen und
die Burschen kurz vor dem Flecklbauernanwesen. Sie versuchen, keinen
Lärm zu machen. Aber schon hat sie der Hund des Flecklbauern
gewittert. Er fängt wie wild zu bellen an. Die Gruppe bleibt
stehen. Der Kommandant aber sagt "Vorwärts!" und so gehen sie
weiter, die Polizisten ihrem Schicksal entgegen. Nach wenigen Minuten
stehen sie vor dem Wohnhaus des Flecklbauernanwesens. Es war etwa eine
halbe Stunde vor Mitternacht. Die Fensterläden sind verschlossen.
Kommandant Brandmaier reißt einen Fensterladen am Fenster der
Wohnstube auf. Die Außenstehenden sehen gerade noch, wie der
Kneißl, der in der Stube am Tisch saß, von dort aufsprang
und aus dem Zimmer flüchtete. Rieger ging vom Fenster weg
ebenfalls auf die Türe zu. Da erlosch das Licht in der Stube,
entweder von Kneißl oder von Rieger ausgemacht, wahrscheinlich
von Rieger, da dieser zuletzt allein in der Wohnstube war. Kommandant
Brandmaier geht auf die Haustüre zu, drückt den Türgriff
nieder, schnackelt ein paarmal. Nichts tut sich, die Haustüre ist
versperrt. Stockdunkel ist es im Haus und im Hof. Von innen ist kein
Laut zu hören. Nur im Hof bellt der Hund wie verrückt. Die
Außenstehenden rufen: "Aufmachen." Einer: "Ist der Lump noch da?"
Da meldet sich Rieger: "Wer is' drauß?" "Mir sind's", sagt der
Grießer, den der Flecklbauer fortgeschickt hatte. "Dann geht's
nur wieder hin, wo Ihr zuerst warts" entgegnet der Flecklbauer. Die
Haustüre bleibt weiter verschlossen. Der Gruppe kommt die Sache
etwas eigenartig vor. Rieger hat doch selber ausdrücklich um die
Gendarmen geschickt. Er kennt den Grießer, der draußen vor
der Tür steht. Ist der Kneißl noch da? Hat es sich der
Flecklbauer anders überlegt? Der Kommandant überlegt. Gendarm
Scheidler schlägt vor, noch einige Einwohner zu wecken, mit diesen
und den Burschen das Haus zu umstellen und warten, bis es Tag wird. Die
Burschen pflichten Scheidler bei. Sie waren ja von Anfang an nicht der
Meinung, daß es einfach sein wird, den Kneißl zu fangen.
Der Kommandant aber läßt nicht nach, obwohl doch die
Vorschläge Scheidlers und der Burschen vernünftig klangen.
Jetzt meldet er sich beim Rieger. Er hat schon oft dienstlich das
Flecklbauernanwesen besucht, kennt es in- und auswendig, kennt auch die
Bewohner: "Rieger, aufmachen, Gendarmerie ist da!" Da schiebt Rieger
den Riegel der Haustüre zurück, stemmt sich aber nun mit
seinem Körper gegen die Türe, hält diese zu. Aber die
Außenstehenden hatten das Zurückschieben des Riegels
gehört, drücken von außen gegen die Türe,
drücken Rieger weg, die Haustüre steht offen, die
nächtlichen Besucher treten in den finsteren Hausgang. Gendarm
Scheidler hat noch immer keine Schneid, in das Haus zu gehen. Ahnt er,
was kommt? Erst als ihn der Lechner Peter an seiner Uniform packt und
mitzieht, geht er mit.
Die Angekommenen gehen in den Hausgang hinein, die Burschen voraus, die
Gendarmen folgen ihnen, die Gewehre schußbereit in den
Händen. Frau Rieger kommt auch gerade in den Hausgang. Sie war
noch einmal aufgestanden und sah, da sie eine Lampe in den Händen
hat, soeben den Kneißl im Hausgang stehen und ihn dann hieraus in
die Küche verschwinden, wohin ihn der Rieger geführt hatte.
Sie ruft den Eintretenden zu: "Geht's nicht rein. Der hat alle
Händ' voll Waffen." Die Angesprochenen lassen sich aber nicht
abhalten, das Haus zu betreten. Rösele fragt im Hausgang wo
Kneißl ist. Frau Rieger sagt: "Drinnen in der Kammer." Der
Stumpferl Hans nahm ihr inzwischen die Lampe aus der Hand. Da
flüstert ihm der Flecklbauer ins Ohr: jm Stüberl
draußen ist er." Auch Gendarm Scheidler fragt den Flecklbauern,
wo Kneißl ist. Der Flecklbauer deutet nach rechts auf die Kammer.
In Wirklichkeit stand Kneißl links hinten in der Küche. Die
angesprochene Kammer liegt genau gegenüber der Küche. Wenn
sich also jemand vor diese Kammertüre hinstellte, war er direkt im
Sicht- und Schußbereich desjenigen, der in der Küche stand.
Lockt also der Flecklbauer die Gendarmen bewußt in eine Falle?
Zeigt er ihnen absichtlich, vorsätzlich die falsche Türe?
Die Gendarmen gehen auf die Kammer zu, Kommandant Brandmaier auf der
rechten Seite des Hausganges, Gendarm Scheidler links. In der Mitte der
beiden geht Stumpferl und leuchtet mit der Laterne. Von den Gendarmen
hat jeder sein Bajonett auf das Gewehr gesteckt. Sie wollen die Kammer
stürmen. Wie sie auf der Höhe der Kammertüre sind, sehen
sie im Schein der Lampe, daß an der Kammertüre von der
Hausgangsseite her der Riegel vorgeschoben ist. Dort kann der
Kneißl also nicht sein. Da sieht der Rösele, der mit den
übrigen Burschen den Dreien gefolgt war, als erster den
Kneißl links in der Küche drin stehen, den Drilling in der
Hand. Rösele macht den Kommandanten Brandmaier darauf aufmerksam.
Stumpferl dreht sich nun mit seiner Laterne auch nach links. Das Herz
bleibt ihm fast stehen. Da steht der Kneißl in der Küche,
ein paar Schritte von ihm entfernt. Auch Kommandant Brandmaier hatte
den Kneißl gesehen. Er macht einen Schwenk, einen Schritt auf die
Türe zu. Da kracht es schon. Kneißl hat blitzschnell seinen
Drilling bis an die Hüfte heraufgezogen und auf den Kommandanten
abgedrückt.
Brandmaier stürzt, vom Schuß Kneißls getroffen, mit
einem Schrei zusammen. Plötzlich ist es wieder stockdunkel im
Hausgang. Die Laterne des Stumpferl war erloschen, sein ganzer Mut
auch. Ihn und auch die anderen Burschen packt die Angst. In wilder
Panik stürzen sie aus dem Hausgang, aus dem Haus. Gendarm
Scheidler ist währenddessen auf die Küchentüre
zugegangen. Er gibt einen Schuß in Richtung Kneißl ab.
Kneißl aber hat sich nach dem Abgeben seines Schusses
gebückt. Auch war es dunkel im Haus. Scheidler sieht also
Kneißl nicht. Der Schuß des Gendarmen geht auch an
Kneißl vorbei und fährt hinten in die Wand in einen
Schüsselrahmen. Die irdenen Schüssel zerspringen in tausend
Teile. Kneißl hat noch eine Ladung im Lauf seines Drillings. Als
er nun so plötzlich den Gendarmen Scheidler vor sich auftauchen
bemerkt, drückt er noch einmal ab. Die Schrotladung trifft
Scheidler, zersplittert diesem das rechte untere Schienbein. Scheidler
stürzt wie sein Kommandant ebenfalls zu Boden.
Kommandant Brandmaier war von Kneißl am Oberschenkel knapp
unterhalb des Unterleibs getroffen worden. Er schleppte sich mit seinen
letzten Kräften noch ein, zwei Meter an die rechte Seite des
Hausganges. Nun lehnt er mit seinem Oberkörper an der Mauer. Durch
die Verletzung, die die Hauptschlagader zerrissen hat, verliert er sehr
rasch Blut. Niemand hilft ihm. Niemand kann ihm helfen. Während
des Schußwechsels zwischen Scheidler und Kneißl verblutet
Kommandant Brandmaier. Er stirbt im Hausgang des Flecklbauernanwesens.
Der andere angeschossene Gendarm, Scheidler, schleppt sich derweil zur
Stubentüre hin.
Plötzlich ist wieder Licht im Hausgang. Seit dem ersten
Schuß sind kaum drei Minuten vergangen. Sie aber genügten,
um ein Menschenleben auszulöschen und ein weiteres
lebensgefährlich zu verletzen. Kneißl späht vorsichtig
aus der Küchentüre heraus. Er hat inzwischen den Revolver in
die rechte Hand genommen. Den Drilling trägt er mit der Linken. Er
gibt dem Flecklbauer mit dem Revolver ein Zeichen, macht eine
Handbewegung, die wohl bedeuten soll: "Ist die Luft rein?" Dann sieht
er noch einen der Begleiter der Polizisten im Hausgang stehen und den
Gendarmen Scheidler zur Stubentüre hinkriechen. Kneißl
schreit: "Naus bei der Tür oder Ihr seid alle hin." In Todespanik
verläßt auch der letzte der Burschen, Josef Lindermaier, den
Hausgang. Vor lauter Aufregung kommt er aber nicht an die
Haustüre, sondern an die Stubentüre und steht plötzlich
in der Stube, statt im Freien. Kneißl will auf den schwer
verletzten Scheidler mit seinem Revolver einen weiteren Schuß
abgeben, will ihn töten. Da stellt sich ihm die
Flecklbäuerin, die während des Schußwechsels in der
Wohnstube war und nun wieder in den Hausgang tritt, entgegen: tu das
nicht. Der (sie meint den Kommandanten Brandmaier) kann sich so schon
nicht mehr rühren." Da versetzt Kneißl dem bereits
verstorbenen Kommandanten Brandmaier einen Fußtritt und bemerkt
dazu: "Du bist gut hin!" Dann springt er über den toten Gendarmen
hinweg und verläßt durch die hintere Haustür den Ort
des traurigen und furchtbaren Geschehens.
Noch einmal stehen zwei der Burschen Todesängste aus. Kneißl
saust aus der hinteren Haustüre heraus in die stockfinstere Nacht.
Er sieht nicht, daß gleich neben der Türe die Waschbank der
Riegers steht. Unter diese Waschbank hatten sich während des
Schußwechsels der Bayerl Anderl und noch einer der jungen
Männer geflüchtet. Plötzlich sehen sie, wie die
Haustüre aufgeht und der Kneißl herausspringt, genau auf die
Waschbank zu. Sie ducken sich noch mehr. Schon prallt Kneißl an
die, mehr auf die Waschbank. Diese zerbricht unter seinem Stoß.
Die Trümmer fallen auf die beiden Burschen herab. Kneißl
sieht Gott sei Dank die Beiden nicht. Mit einem Fluch rappelt er sich
wieder auf und rennt davon.
An der vorderen Haustüre spricht der Stumpferl Hans, der gleich
nach dem ersten Schuß auf und davongelaufen war, sich jetzt aber
wieder zurücktraute, den verletzten Gendarmen Scheidler an: "Herr
Scheidler, soll ich den Pfarrer und den Doktor holen?" ja, lauf zu." Da
rennt der Stumpferl Hans heim zu sich, zum "Felbermeier" nach
Oberzeitlbach, um einzuspannen und nach Altomünster zu fahren, den
Arzt und den Priester zu holen.
In Oberzeitlbach hatten es mehrere junge Männer mitbekommen,
daß die Polizisten Helfer gesucht hatten. Auch der Bauerssohn
Josef Münch aus Oberzeitlbach, zu der Zeit gerade in
Unterschauerschorn bedienstet, merkte es. Er wußte aber wie die
anderen in der Wirtsstube auch nicht, um was es ging. "Vielleicht nimmt
die Polizei wieder eine Hausdurchsuchung vor. Da halten wir uns raus."
sagte er zu seinem Freund, dem "Oberländer Hans" aus Wollomoos,
der ihm beipflichtete. Sie wollten in der Wirtschaft die Rückkehr
ihrer Kameraden abwarten. Diese blieben lange aus. Das machte sie doch
stutzig. Deshalb suchten sie nach einiger Zeit im Ort die Polizisten
und die Kameraden. Doch sie fanden diese nicht. Jetzt wollten sie erst
recht wissen, was los war. Im Stumpferlanwesen warteten sie auf die
Rückkehr eines Beteiligten.
Sie brauchten sich nicht lange zu gedulden. Atemlos kam der Stumpferl
Hans daher, kaum, daß er noch nach Luft schnappen konnte. Er war
froh, daß er jemanden antraf. Mit kurzen Worten erzählte er
die Geschichte. "Los", sagte er zu den beiden, "Lauft schnell auf
Altomünster, weckt den Doktor und den Pfarrer. Ich komme gleich
mit den Rössern nach." Und bis der Stumpferl Hans die Rösser
eingeschirrt und sie vor die Chaise (sprich "Schäse" = Wagen
für Personentransport, die Personensitze überdacht, von
Pferden gezogen) gespannt hatte, da war der Josef Münch schon
längst über den Schauerschorner Berg hinweg gerannt auf
Altomünster zu. Im Doktorhaus am Marktplatz (heute Kaufhaus
Schwarz und Lesti) trommelt er den Arzt Dr. Klemens Lechner aus dem
Bett. Er solle sich schnell fertigmachen, der Räuber Kneißl
habe die Gendarmen erschossen. Er werde sofort abgeholt mit der Chaise.
Dann lief Münch weiter zum Kaplanhaus neben der Kirche und sagte
dem Kaplan Lorenz Steffl das gleiche. Beide Herren nahmen die
erforderlichen Unterlagen mit. Kaum waren sie bereit, rollte auch schon
die Chaise, kutschiert vom Stumpferl Hans, zum Markt herein.
Aufgestiegen und schon ging es wieder fort, zu helfen, soweit dies noch
möglich war.
Als Arzt und Kaplan in Irchenbrunn ankamen, gegen drei Uhr morgens, sah
es im Hausgang des Flecklbauernanwesens gespenstisch aus. Der Boden war
über und über mit Blut bedeckt. Auf der rechten Seite des
Ganges saß der Stationskommandant Brandmaier auf dem Boden, mit
dem Oberkörper an die Wand gelehnt - tot. Auf der
gegenüberliegenden Seite des zugigen Hausganges lag Scheidler,
schwer verletzt, frierend, über und über mit Blut bespritzt.
Der Verletzte wurde nun in die Wohnstube getragen, der Ofen wurde
eingeheizt, der Arzt untersuchte die Wunde, verband sie, so gut es ging
und lagerte den Verletzten richtig, bis er im Laufe
des Tages nach Altomünster transportiert werden konnte. Beim
Kommandanten Brandmaier konnte der Arzt nur noch den Tod feststellen,
eingetreten durch Verblutung aufgrund der Schußwunde. Der Kaplan
war also umsonst mitgekommen.
Kurz nach Morgengrauen kamen die beiden Frauen der Gendarmen nach
Irchenbrunn. Fürchterlich war für sie das Wiedersehen mit
ihren Ehegatten: einer tot, der andere schwerverletzt. Scheidler war
bei Bewußtsein und konnte sich mit seiner Frau unterhalten. Er
erklärte dieser gegenüber, daß Brandmaier und er in
eine Falle gelockt worden seien. Sonst hätte es der Flecklbauer
wohl anders angemacht. Scheidler wiederholte in den folgenden Tagen
noch öfters: "Wenn der Flecklbauer gewollt hätte, hätten
wir den Kneißl leicht kriegen können. Er hätte nur die
Haustüre offen lassen dürfen oder seiner Frau sagen
können, daß sie, wenn die Gendarmen kämen, gleich
aufmachen solle."
Die Leiche von Benedikt Brandmaier wurde am 4. Dezember nach
Schwabsoien bei Schongau überführt und am 6. Dezember dort
beerdigt. Auch Gendarm Wolfgang Scheidler überlebte seinen
Kommandanten nicht lange. Wegen der fürchterlichen Wunde sollte
der rechte Fuß abgenommen werden. Durch das lange Liegen im
zugigen Hausgang auf dem kalten Pflaster hatte sich Scheidler eine
schwere Lungenentzündung zugezogen. Außerdem bekam er ein
Geschwür am Hals. Dies alles zusammen brachte seinen doch
unerwartet schnellen Tod bereits am 19. Dezember. Er wurde am 21.
Dezember im Altomünsterer Friedhof beerdigt. Seit 1935 steht an
seinem Grab (Nummer 267, heute Serz) eine Tafel mit folgender
Aufschrift: Andenken Benedikt Brandmaier k. Gen. Kommandant, Wolfgang
Scheidler k., Gendarm, gef. im Dienste durch Mörderhand am
30.11.1900.
Zehn Kinder waren zu Halbwaisen geworden. Die Ehegatten Brandmaier
hatten drei Kinder, die Scheidlers sieben, wovon das Kleinste beim Tode
des Vaters ganze vier Monate alt war.
Weshalb Rieger zuerst nach den Gendarmen schickte und ihnen dann die
falsche Türe zeigte, wird sich wohl nie mehr aufklären
lassen. Wollte Rieger beides, einmal den Tod des verhaßten
Kommandanten und zum anderen die Festnahme des Kneißl, um dadurch
auch noch die 400 Mark kassieren zu können?
Viele waren der Meinung, daß Rieger die Gendarmen dem
Kneißl vor die Flinte getrieben habe. So hat der Bauer Josef
Pfisterer aus Humersberg während des Prozesses gegen Kneißl
als Zeuge ausgesagt, daß der Flecklbauer einmal ihm
gegenüber lachenden Mundes erklärt habe: "Der Kommandant
Brandmaier geht doch noch einmal so ein, daß er kaputt ist." Auch
die Wirtin Katharina Brugger aus Oberzeitlbach hatte unliebsame
Äußerungen von Rieger über die Gendarmen gehört.
Weiter sagte sie, daß die Leute nach dem Vorfall vom 30. November
meinten, daß es der Flecklbauer nicht gut gemeint hatte mit den
Gendarmen. Auch der frühere Bürgermeister von Irchenbrunn,
Johann Kaspar, war der Meinung, daß der Flecklbauer die Gendarmen
in die Falle lockte. Der frühere Gendarmeriekommandant von
Hohenzell, Georg Troll, gab im Prozeß an, daß der
Flecklbauer im Jahr 1891 einen Förster so lange im Wirtshaus
zurückhielt, damit Kneißl bei diesem einen Diebstahl
verüben konnte. Die Bevölkerung von Hohenzell sei der
Meinung, daß der Flecklbauer dem Kneißl die Gendarmen vor
die Flinte getrieben habe. Andererseits erzählte der Gastwirt
Matthias Reitmayer von Hohenzell, daß Kommandant Brandmaier mit
dem Flecklbauer acht Wochen vorher in seiner Wirtschaft
beisammensaß. Reitmayer gab die Meinung der Bevölkerung so
wider, daß einige meinten, daß es Rieger mit dem Gendarmen
nicht gut gemeint habe, während andere wiederum glauben, daß
Rieger tatsächlich die Festnahme des Kneißl veranlassen
wollte.
Wenige Tage nach den Schüssen auf die Polizisten besichtigte ein
Journalist das Flecklbauernanwesen in Irchenbrunn. Dabei fiel ihm auf,
daß ein zur Straße hin gelegenes Fenster mit einem
Kleiderkasten verbarrikadiert war. Der Journalist fragte die
Flecklbäuerin, warum dies gemacht wurde. Da antwortete Frau
Rieger, daß sie sich vor der Rache des Kneißl
fürchteten und der Kleiderkasten gegen Schüsse, des
Kneißl dienen sollte.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich am Tag nach der Tat das
fürchterliche Geschehen von Irchenbrunn: "Der Kneißl hat die
Altomünsterer Gendarmen erschossen." Die Gendarmerien wurden
alarmiert. Die Telegramme jagten sich. Telefone gab es noch keine. Die
Bahnstationen von Augsburg bis Schrobenhausen, von Augsburg bis
München, von Ingolstadt bis München wurden verständigt,
damit Kneißl möglichst schnell festgenommen werden
könnte, wenn er die Bahn zur Flucht benützen würde.
Polizeistreifen wurden angeordnet. Die erste fand bereits am
nächsten Tag, Samstag, in der Früh um fünf Uhr im
Bereich der Gendarmeriestation Bruck statt. In Aichach, Friedberg,
Pfaffenhofen wurden ebenfalls Polizeistreifen angeordnet. Abschriften
des Haftbefehls für Kneißl wurden verteilt und an die
gemeindlichen Anschlagtafeln angeheftet. Außerdem wurde
behördlicherseits darauf hingewiesen, "daß Jedermann
verpflichtet ist, alsbald dem Bürgermeister und der nächsten
Gendarmeriestation Mitteilung zu machen, wenn er etwas von dem
Aufenthalt des Kneißl erfährt. Insbesondere sind alle Wirte
hierzu verpflichtet. Eines schweren Verbrechens macht sich schuldig,
wer dem Kneißl hilft, sich zu verbergen oder zu entfliehen. Die
Herren Bürgermeister und jede Privatperson haben die Gendarmerie
bei ihrer Verfolgung des Kneißl tatkräftig zu
unterstützen." Auch wurde bereits am 1. Dezember in Aichach die
erste Verhaftung vorgenommen von vermuteten Unterschlupfgebern des
Kneißl. Am 2. Dezember wurde die Belohnung für die
Ergreifung des Kneißl von bisher 400 Mark auf 1000 Mark
erhöht. Kneißlhysterie setzte ein.
Spottpostkarten waren damals viel im Umlauf. Sie verhöhnten die
Polizei, die rechts im Gebüsch nach Kneißl sucht und in der
Mitte am
Baum einen Haftbefehl mit dem Hinweis auf die 1000 Mark Belohnung
anbringt, während Kneißl links am Stadeltor steht und ein
Plakat
anbringt, mit dem er verspricht:
"5 Maß Bier!!! 1 Porzion Leberkas u. Schwartenmagn u.
1 Kalbshaxn mit Zeugstiefl auch all Senft dazua, zahl' ich dem, wo mich
fangt, und derf amal an mein Drilling riachn. I bin a
paar Dutzend Jahr alt, einige Mir. groß, Figur bunket,
Haare schwarzblond, trag'Havelock u. geh net am Pfiff.
Wohnort: schmekskropfeter. Herr Mathias Kneissl. Schachermühlhiasl.
Überall wurde er in der Folgezeit gesehen. Zum ersten Fehlalarm
kam es schon am 3. Dezember. Ein Gendarmerie-Wachtmeister aus Pasing
sah angeblich den Kneißl an diesem Tag mittags in Lochhausen in
den Eisenbahnzug einsteigen, während der Fahrt in Richtung Maisach
in der Nähe von Gröbenzell vorn Zug abspringen und in das
Dachauer Moos flüchten. Daraufhin wurden sofort die
Polizeistationen Pasing, Puchheim und Olching telegrafisch zur
Verfolgung des Mörders angewiesen. Auch die Polizeistation Dachau
wurde informiert. Polizeistreifen wurden durchgeführt. Abends
stellt sich heraus, daß nicht der Kneißl in den Zug
eingestiegen war, sondern ein Bahnarbeiter und daß ein Absprung
überhaupt nie vorgekommen war. Ergebnis dieses Tages: "Über
den wirklichen Verbleib des Kneißl fehlt zur gleichen Zeit jede
Spur."
Dabei sollte es auch längere Zeit bleiben. Noch
drei Monate lang konnte Kneißl der Polizei entwischen. Es war die
Zeitspanne, während der der Name Kneißl weitum berühmt
wurde. Die "Kneißl-Jagd" begann. Das "Räuber und
Schandarm-Spiel" ging weiter. Es war auch schon eigenartig, wie sich
Kneißl verhielt. Er war immer in einem eng umgrenzten Gebiet
geblieben, immer dort, wo er sich auskannte und wo er auch viele
Menschen kannte und wo er auch manche Unterschlupfgeber hatte. Dazu
freuten sich große Teile der Bevölkerung, wenn Kneißl
immer wieder der Polizei auskam. Damit konnten und wollten diese
Bevölkerungskreise auch der Obrigkeit eins auswischen. Gerade dies
war es, was der Polizei sehr zu schaffen machte. Die Unterstützung
der Polizei durch die Bevölkerung fehlte fast ganz, bei einem Teil
aus Vorsatz, bei einem aus Gleichgültigkeit, bei einem Teil wohl
auch aus Angst vor Rache des Kneißl. Diese Haltung der
Bevölkerung stellte nach einiger Zeit auch der neue
Stationskommandant von Altomünster, Georg Mühlbauer, fest:
"Wenn die Bevölkerung in der Gegend den Sicherheitsorganen bis zur
Zeit einigermaßen an die Hand gegangen wäre, so würde
es unmöglich sein, daß sich ein Verbrecher wie Kneißl
so lange umhertreiben könnte."
Kneißl aber konnte es. Nach dem Verlassen des
Flecklbauernanwesens war er noch in der Nacht nach Aichach gegangen,
holte dort sein Fahrrad ab, das er bei Bekannten untergestellt hatte
und übernachtete dort in Hofmanns Eiskeller. Am nächsten Tag
ging es zurück nach Aufkirchen, dann nach Bruck. In der
äußeren Maisacher Straße wohnte der Hofner Franz,
genannt "der Parasol-Franzl". Zu ihm fuhr Kneißl, klopfte und
sagte: "Franz, mach auf, mich schickt der Bader von Aufkirchen zu Dir."
Bader war Flaschenbierhändler in Aufkirchen. Zu diesem kam
Kneißl wieder am 5. Dezember, kaufte zwei Flaschen Bier und
mußte dafür 50 Mark zahlen. Seine Lage wurde eben auch noch
ausgenützt. Bei dieser Gelegenheit ist gleich festzuhalten,
daß Kneißl nie jemanden freiwillig unterstützt hat,
nie den "Armen" etwas gegeben hat, wie auch heute noch hie und da
entsprechende Meinungen im Umlauf sind. Kneißl hat nie etwas
"springen" lassen. Kneißl hat einzig und allein für sich
selbst gestohlen. Er brauchte Geld, weil er immer dann, wenn er
irgendwo Unterschlupf gefunden hatte, überhöhte Preise
für Essen und Bier bezahlen mußte. Seine sogenannten
"Freunde" wußten schon auch im wahrsten Sinne des Wortes, wieviel
ihnen der Kneißl Hiasl wert war. So jammerte Kneißl
später im Prozeß: "Wenn ich ein 10-Mark-Stück hergab,
habe ich höchstens ein paar Maß Bier und etwas zu essen
bekommen. Herausgegeben wurde mir nichts mehr." Kneißl war auch
kein Räuberhauptmann. Er unternahm seine Streifzüge allein,
raubte allein. Nach seinem Besuch in Aufkirchen wandte sich
Kneißl wieder nordwärts. Für die nächsten
Nächte, vom 6. auf 7. und vom 7. auf 8. Dezember, suchte er
sich den Stadel des "Marterbauern" in Hohenried bei Altomünster
zum Übernachten aus. Der 13jährige Dienstbub Alto Michl aus
Altomünster, der bei seinem Onkel, dem Marterbauern Thomas Neumair
in Stellung war, schöpfte am 6. Dezember, abends um 3/4 6 Uhr,
Wasser. Da sah er eine fremde Mannsperson von Erlach, vom Jrlerbauer",
heraufkommen und auf das Stall- und Stadelgebäude seines
Dienstherrn zugehen. Michl ging sofort ins Haus und gab seine
Wahrnehmung weiter. Die Bewohner kamen heraus, haben aber niemanden
mehr gesehen. Alle Türen im Hof wurden dann verschlossen. Ein
Türl, das sich an der Giebelseite des Stadels befand, und das nur
mit einer Leiter erreicht werden konnte, wurde mit einer Stange
zugelehnt. Am nächsten Morgen war die Stange weggeschoben. Das
Türl stand offen.
Um 1/2 9 Uhr in der Früh kam der Kaminkehrer zu Neumair. Michl
mußte für diesen aus dem Stadel eine Leiter holen. Der
Stadel, der teils an den Stall angebaut war und sich teils über
dem Stall befand, war von innen verschlossen und konnte nur vom Stall
aus geöffnet werden. Als Michl vom Stall her auf die Türe
zuging, die in den Stadel führte, hörte er auf der
Stadeltenne Schritte. Er lief sofort zurück und erzählte
seine erneuten Wahrnehmungen. Neumair benachrichtigte seine Nachbarn.
Gemeinsam durchsuchten sie dann Stall und Stadel. Im Heustock stellten
sie fest, daß ein Loch ausgehöhlt war, in dem eine Person
offensichtlich geschlafen hatte. Zu sehen war aber niemand mehr. Die
Bauern gingen daraufhin wieder zur Alltagsarbeit über, der
Kaminkehrer reinigte den Kamin.
Die Dienstmagd Josefa aber vom Bauern "Strixl" benachrichtigte die
Gendarmerie von Altomünster. Diese war seit 6 Uhr früh auf
Streife, ein Teil mit dem Kommandanten Mühlbauer und den Gendarmen
Stegmann und Gläßl in Richtung Randelsried, wo sie gegen
zehn Uhr ankam und mit der Mannschaft aus Schiltberg zusammentraf. Der
andere Teil der Altomünsterer Gendarmen streifte in Richtung
Adelzhausen. Gendarm Wiesmayer hielt die Stellung in Altomünster.
Aufgrund der Nachricht der Josefa schickte Wiesmayer sofort einen Boten
nach Randelsried, um seine Kameraden zu informieren. Diese brachen
sofort nach Hohenried auf. Als sie dort ankamen, glaubten sie, ihren
Augen nicht trauen zu können. Der Hof des Marterbauern war voll
von Leuten. Mindestens 50 Personen waren da. Über die Hälfte
mit Gewehren ausgerüstet. Was für Kaliber waren da darunter.
Mit denen hätten sich die Schützen, wenn sie geschossen
hätten, höchstens selbst verletzt als daß sie dem
Kneißl etwas antun hätten können. Die Polizisten
durchsuchten mit den Bauern den Stadel, schichteten Heu und Stroh um,
fanden aber nichts. Die Zuschauer zogen wieder ab, die Polizisten
ebenso, die Bauern gingen wieder ihrer Arbeit nach.
Am nächsten Tag, 8. Dezember, war richtiger Feiertag, Fest der
Unbefleckten Empfängnis Mariä. Der Marterbauer hielt die
Kirchenwacht, er paßte also auf die drei Höfe in Hohenried
auf, während die übrigen Bewohner in der Kirche in
Altomünster waren. Plötzlich klopfte es an die Haustüre.
Gendarm Stegmann stand draußen, als Landstreicher verkleidet. Der
führte den Bauern um den Stadel herum und zeigte ihm in dem
aufgeweichten Boden eine deutlich sichtbare frische Spur. Der Gendarm
zog dann ein Blatt Papier, mit einem Stiefelabriß drauf, aus der
Tasche und verglich. Beide Stiefelabrisse stimmten überein. Der
Stiefelabriß auf dem Papier aber war die Stiefelgröße
vom Kneißl. Dieser hatte sich also bestimmt in dem Stadel
aufgehalten.
Nach diesem Vorfall verloren sich Kenntnisse über die jeweiligen
Aufenthaltsorte des Kneißl. Dafür wurden umso mehr unsinnige
Gerüchte über den Kneißl in Umlauf gegeben. Er solle in
hohlen Bäumen übernachten. Er solle in Frauenkleidern
umhergehen und so weiter. Auch mußten viele Unschuldige
vorübergehend wegen Kneißl büßen. Am 11. Dezember
bettelte ein Handwerksbursche in Großberghofen um Brot. Sofort
wurde er als der Kneißl angesehen, die Polizei alarmiert. Die
Vermutung stellte sich als falsch heraus, der Handwerksbursche war
echt. Weiter wurde Kneißl immer öfters zur gleichen Zeit an
weit entfernten Orten gesehen. Auch "kneißelte" es bald an allen
Ecken und Enden. Diebstähle wurden verübt und sofort auf den
Kneißl geschoben, auch an so weit entfernten Orten, zur gleichen
Zeit oft, daß es dem Kneißl unmöglich gewesen sein
konnte, an all diesen Orten gewesen zu sein.
Die Polizei traf organisatorische Maßnahmen. Von der
Kreisregierung (heute Regierungsbezirk) Oberbayern wurde
Gendarmerie-Oberleutnant Küster zur Leitung der Fahndung nach
Kneißl abgeordnet. Die Gendarmerien im Kneißlgebiet wurden
verstärkt. Provisorische Gendarmeriestationen wurden eingerichtet
in Hohenzell, Hilgertshausen, Jetzendorf, Lauterbach,
Unterweikertshofen, Thalhausen, Tandern, Zillenberg, Freienried,
Heretshausen, Sielenbach, Plixenried, Erdweg, Kreuzholzhausen,
Einsbach, Rottbach, Ebertshausen, Unterschweinbach, Mittelstetten,
Eismannsberg. Kneißl war aber nicht zu finden.
Bald wurde die Gendarmerie wegen ihrer Mißerfolge mit Spott
überzogen. Am 7. Dezember bereits, nur eine Woche nach dem Drama
von Irchenbrunn, erhielt eine Zeitung in Dachau folgenden Brief:
"Dachau, am 7. Dezember 1900. 0, Leid, o Leid, für die
grüngefrackte Büchsenmannschaft, welche mit so vieler
Mühe mich sucht, aber doch leider vergebens ist alles.
Könnens erfrieren wies wollen. Ich wollt es auch kein raten,
daß er mich anpackt, denn der wäre schlimm daran. Ich habe
heute Nacht in einem großen Hundestall übernachtet und hab
mir die Ruhe gut schmekken lassen. Schön lasse ich
grüßen meine lieben Herrn Schutzmänner Mathias
Gneißl Schachenmühle."
Die Zeitung gab den Brief an den Magistrat Dachau weiter mit dem
Bemerken: "Doch dürfte es veranlaßt erscheinen, nach der
Persönlichkeit dieses Briefschreibens zu recherchieren und geht
deshalb Gegenwärtiges mit dem Originalbriefe gegen Wiedervorlage
an den Magistrat." Am 12. Dezember teilte der Magistrat des Marktes
Dachau dem Bezirksamt Dachau mit, "daß der Schreiber anliegenden
Briefes bis zur Zeit nicht ermittelt werden konnte." Die
Übermittlung von Nachrichten ging noch nicht so schnell vonstatten
wie heute. Bilder von Kneißl gab es nicht. Also kannte ihn auch
der größte Teil der Bevölkerung vom Aussehen
überhaupt nicht. Es kam öfters vor, daß alleingehende
Personen auf der Landstraße plötzlich mit einem jungen
Burschen zusammentrafen, der auch des Weges ging. Meistens kam dann das
Gespräch auf den Kneißl zu sprechen und die fremde Person
erkundigte sich, was so alles über diesen erzählt wird.
Besonders weibliche Personen freuten sich, wenn sie beispielsweise
nicht allein durch den Wald gehen mußten. Sie fürchteten
sich besonders vor dem "bösen Kneißl". Die männliche
Person begleitete gern. Nach einer Weile, nach dem Durchqueren des
Waldes, verabschiedete sich der Fremde, der sich vorher nicht
vorgestellt hatte, mit der Bemerkung: "So, jetzt kannst Du ja wieder
allein weitergehen. Auch kannst jetzt sagen, Du bist mit dem
Kneißl gangen." Sagte es und war schon bald wieder im Wald
untergetaucht. Zurück blieben verdatterte und verängstigte
Personen.
Ebenso mußte die Polizei oft dementieren, daß sich
Kneißl an diesem oder jenen Ort aufgehalten habe.
Am 23. Dezember tauchte Kneißl wieder auf. Gegen acht Uhr abends
klopfte er an einem Anwesen in Sulzemoos und drohte mit dem
Erschießen, wenn er nicht beherbergt werde. Die Frau war dagegen,
daß Kneißl ins Haus gelassen wurde. Kneißl stieg dann
ohne weiteres über die Leiter in den Dachraum, wo Heu und Stroh
untergebracht waren und legte sich zur Ruhe. Am nächsten Tag gegen
vier Uhr in der Früh ging er wieder fort. Im gleichen Anwesen soll
Kneißl noch einmal gewesen sein. Um dies herauszubekommen,
unternahm die Polizei eine Hausdurchsuchung. Mit welch zweifelhaften
Methoden die Polizei dabei in der Kneißlsache zuweilen vorging,
zeigt das folgende Beispiel. Als die Polizei die Hausdurchsuchung
vornahm, waren nur die vier kleinen Kinder, das älteste zehn Jahre
alt, zu Hause. Der Mann war verhaftet, die Frau auf einer Beerdigung.
Ein Polizist befahl dem fünfjährigen Buben, er solle ihn auf
den Boden führen. Voller Angst klammerte sich der Bub an seine ein
wenig älteren Geschwister. Mit Gewalt riß der Polizist den
Buben von seinen Geschwistern weg und trug ihn auf den Dachboden. Dort
mußte der Bub dem Polizisten die Stelle zeigen, wo Kneißl
geschlafen haben sollte. Schließlich plauderte doch eines der
Kinder aus: daß Kneißl an jenem Tag gegen ein Uhr in der
Früh erschien und gegen 1/2 4 Uhr wieder fortging. Die Mutter
mußte Kaffee und Knödel machen, wovon Kneißl fünf
aß. Wie halt Kinder sind, meinte der andere Bub: Fünf? Ich
hab gmeint, bloß drei."
Weihnachten verbrachte Kneißl in München. Am 6. Januar, es
war nun das Jahr 1901, war Kneißl wieder da in seinem Gebiet.
Gegen 1/2 6 Uhr abends ging Kneißl, aus Richtung Wiedenzhausen
kommend, an Altstetten vorbei. Als ihn dabei eine Magd erkannte, rief
sie ihm nach: "Bist nicht gar der Schachenmüllerhiasl?" Da schaute
sich Kneißl um und ging, ohne ein Wort zu sagen, wieder weiter.
Er bog nach dem Weiler links ab und ging querfeldein in den nahen Wald,
Richtung Großberghofen. Vermutlich hatte er dort im Wald ein
Zusammentreffen mit einer Person, die ihm Nachrichten überbrachte.
Kneißl wanderte an diesem Abend noch weiter. Gegen 1/2 1 Uhr sah
der Nachtwächter von Wenigmünchen eine Mannsperson, die dem
Kneißl ähnelte. Als diese Person den Nachtwächter sah,
flüchtete der Fremde in eine Hausnische. Als der Nachtwächter
auf dieses Haus zuging, lief die Person davon, drehte sich aber
öfters um. Nach einiger Zeit sah der Nachtwächter, daß
der Fremde ein Gewehr mit sich führte. Er ließ daraufhin von
einer weiteren Verfolgung ab. Anschließend hatte sich
Kneißl in einen Stall in Wenigmünchen eingeschlichen und
dort geschlafen. Daß die Gendarmen bei ihrer Fahndung ergebnislos
blieben, hatten sie sich zum Teil selbst zuzuschreiben. Einige Male
waren sie dem Kneißl dicht auf den Fersen. Aber durch
Unfähigkeit brachten sie sich selbst um den Erfolg, den
Kneißl verhaften zu können. War die Sache in Hohenried schon
unglücklich angegangen worden, so war der nachstehend beschriebene
Vorgang in Hörzhausen direkt peinlich für die Polizei. Er
zeigt aber auch die Kaltblütigkeit des Kneißls. Als der
Gütler Josef Endres aus Hörzhausen am Freitag 11. Januar, in
der Früh in den Stall kam, fiel ihm auf, daß im Stallgang
Stroh herumlag. Er fragte seine Frau, ob sie das Stroh vom Stadel
hereingenommen habe zum Streuen. Diese verneinte dies. Dann sagte
Endres: "Dann weiß ich nicht, woher das Stroh kommt."
In der Nacht vom 11. auf 12., Freitag auf Samstag, und Samstag auf
Sonntag, 12. auf 13., war Kneißl wieder im Stall. Endres stellte
wieder Stroh fest. Während der ganzen Nacht war auch eine Kuh, die
gerade ein Kalb hatte, unruhig. Sie schrie die ganze Nacht. Am Sonntag
in der Nacht, 13. Januar, als die Kuh wieder schrie, ging die Frau
Endres gegen 23 Uhr mit einer Laterne in den Stall, der mit dem
Wohnhaus und dem Stadel unter einem Dach, wie es früher
üblich war, untergebracht war, um zu sehen, was los sei. Sie hat
nichts auffallendes bemerkt. Kuh und Kalb war aber auf. Dies ist
jeweils ein Zeichen, daß im Stall nicht alles in Ordnung ist,
daß irgend jemand im Stall ist oder jemand auch hineingeleuchtet
hat. In den Stallgang ging die Frau Endres aber nicht. Sie hat nur von
der vom Wohngebäude in den Stall führenden Tür aus in
den Stall hineingeleuchtet. Die Kuh hörte jedoch nicht auf zu
schreien. Am anderen Morgen, Montag, 14. Januar, um 3/4 5 Uhr stand
Endres auf, um das Vieh zu füttern. Während er zum
Füttern ging, sprach er mit seiner Frau über die Sache. Da
hörte er auf einmal einen Krach von der zum Stadel führenden
Tür und sagte: Jetzt ist wer beim Stall naus." Er ging mit dem
Licht auf die Stadeltür zu. Er leuchtete dabei auch in den
Stallgang. Dort sah er ein Strohlager: ein Strohbüschel lag quer,
einer der Länge nach. Es war deutlich zu sehen, daß dort
jemand gelegen war.
Endres zeigte die Sache dem Bürgermeister an. Daraufhin kamen am
anderen Tag, Dienstag, 15. Januar, in der Früh um fünf drei
Gendarmen und der Bürgermeister zu Endres. Sie weckten ihn auf.
Der Bürgermeister sagte, daß die Gendarmen schon um ein Uhr
bei ihm gewesen seien. Endres führte die Gendarmen in den Stall,
zeigte ihnen den Platz, wo das Lager war. Einer der Gendarmen sagte
dabei, Endres solle langsam gehen. Die fremde Person könne
vielleicht noch dort sein. Endres sagte aber, es könne niemand
drin sein, weil er tags zuvor fest zugesperrt habe. Die Polizisten
waren dazu der Meinung, das hätte er nicht tun sollen. Er sollte
den vielmehr hereingelassen haben. Die Gendarmen suchten dann den Stall
und Stadel aus, ebenso die Wagenremise. In die Holzremise sahen sie
nicht. Diese steht getrennt von dem Anwesen im Garten. Endres sagte
dazu: "Da droben wird er doch nicht sein." Die Gendarmen sagten: "Da
steigt er doch nicht hinauf, da ist's ihm zu kalt." Nach ungefähr
einer Stunde entfernten sich die Gendarmen. Endres wollte an diesem Tag
in den Wald fahren. Er suchte dazu seine Hacke. Auch fiel ihm ein,
daß ihm der Sack mit Klee fehlte. Beides fand er nicht. Als
Endres an diesem Dienstag mittags einspannte, sagte er zu seiner Frau,
sie solle Stroh von der Holzremise herunterwerfen. Als sie über
die Leiter in den oberen Teil der Holzremise gestiegen war, fing sie zu
schreien an, stieg wieder herunter und sagte: "Da schau nach, was da
droben ist. Da siehst Du Deine Hacke und Deinen Sack." Als Endres
hinaufkam, sah er ein Strohlager. An dessen Kopfende lag der leere
Sack. Der Klee war auf dem Boden ausgeleert worden. Die Axt lag
längs der rechten Seite des Lagers. Endres teilte seine
Wahrnehmungen dem Sohn des Bürgermeisters mit.
Erst am Freitag, 18. Januar, also ganze drei Tage später, kamen
wieder Gendarmen. Gegen acht Uhr kamen zwei Gendarmen und fragten
Endres, ob er etwas gesehen habe. Dieser sagte: ja, eine Ahnung haben
wir alle Tage gehabt. Am Dienstag hätten sie ihn recht schön
kriegen können. Da ist er auf der Holzremise auf dem Stroh
gelegen." Endres führte die Polizisten auf die Holzremise und
zeigte ihnen den Platz, wo er alles hatte liegen lassen bis auf die
Axt. Als sie wieder herunterkamen, kamen sie vor der Stadeltüre
zum Stehen. Da machte Endres die Gendarmen darauf aufmerksam, daß
im Garten eine ganz frische Spur von dem Bahngleis, das auf der einen
Seite das Anwesen des Endres begrenzt, zum Stadel führe. Die
Gendarmen sagten dazu, da könne jemand anders auch gegangen sein.
Endres merkte, daß sie auf diese Spur kein Gewicht legten. Die
Gendarmen sagten vielmehr zu Endres, wenn er wieder etwas vernehme,
dann sollte er es ihnen sagen. Endres sagte zu den Gendarmen, sie
sollten kommende Nacht kommen und aufpassen. Vom Stadel aus
könnten sie bis zur Bahn sehen. Darauf erwiderten die Gendarmen:
ja, es werden zwei in der Nacht kommen und zwei in der Früh." Das
Gespräch fand vor der Stadeltür statt. In den Stadel gingen
die Gendarmen nicht.
Als die Gendarmen fort waren, ging Endres in den Stall, um das Vieh
weiter zu füttern. Er nahm die Futterwanne und ging in den Stadel,
um Gsod (das ist kleingeschnittenes Futter, aus Heu und Stroh
vermischt) zu holen. Als er in den Stadel hinausgekommen war, sprang
plötzlich Kneißl vom Viertel herunter, ging mit einem
dreiläufigen Gewehr auf Endres zu, drückte das Gewehr dem
Endres auf die Brust und preßte diesen damit an die
Futterschneidemaschine hin. Kneißl rief dabei: "So
Bürscherl, jetzt will ich Dir auch einmal leuchten. Warum
verfolgst Du mich? Habe ich Dir schon einmals etwas Leids getan? Jetzt
muß ich Dir halt eine Kugel durchjagen." Endres konnte vor
Schrecken nichts sagen. Er wollte die Hände aufheben und um sein
Leben bitten, da schrie ihn Kneißl an: "Die Hände fallen
lassen." Endres brach vor Schreck zusammen. Kneißl riß ihn
mit dem Gewehr wieder in die Höhe und schrie ihn wieder an:
"Stehen bleiben." Dann gab er ihm mit dem Gewehr einen Stoß auf
die Brust und ging auf die Türe zu. Von dort schrie er
zurück: "Wenn Du mich nochmals verfolgst, dann erschieß ich
Euch alle zwei im Bett drin." Dann entfernte er sich. Kneißl war
also im Stadel gewesen, als die Gendarmen im Hof nach ihm suchten und
hörte sich das Gespräch zwischen Endres und den Gendarmen an.
Endres, 45 Jahre alt, konnte schier nicht Mehr gehen vor lauter
Schrecken. Als er daraufhin in die Stube kam, begegnete er seiner Frau.
Diese fragte ihn, was mit ihm sei, ob er irgendwo heruntergefallen sei.
Er erzählte ihr den Vorgang. Frau Endres ging daraufhin zum
Bürgermeister und berichtete über den Vorfall. Dieser
schickte seinen Sohn den Gendarmen nach. Die Gendarmen kamen
zurück. Endres berichtete nochmals über den Vorgang. Man
konnte die Spur des Mannes im Schnee vom Stadel weg ganz gut verfolgen.
Die Gendarmen gingen der Spur nach. Kneißl trug bei diesem
Vorgang einen grünen Hut. Über diesen und über das
Gesicht hatte er einen Schal gebunden. Weiter hatte er einen langen
dunklen Überzieher und grüngraue Gamaschen an und einen
Rucksack dabei. Am Samstag, 19. Januar, waren dann zwölf Gendarmen
in das Anwesen von Endres gekommen, hatten alles untersucht, aber
natürlich nichts mehr gefunden. Kneißl war bereits wieder
ausgeflogen.
Die Polizei kam also nicht weiter in ihrer Fahndung nach Kneißl.
Die Polizei schickte Kriminalpolizisten in Zivilkleidern aus. Die
Bezirksämter hatten angeordnet, daß die Gemeinden
Nachtwachen aufzustellen hatten, jeweils zwei Mann. Die Nachtwachen
hatten die Ortschaften zu begehen und dabei besonders die Häuser
im Auge zu behalten, in welchen Kneißl bereits Unterschlupf oder
Anhänger gefunden hatte. Diese Nachtwachen wurden ungern und
deshalb auch schlecht durchgeführt. So kam es vor, daß die
Nachtwächter von der Polizei in Wohnstuben angetroffen wurden.
Einmal übertrug der Bauer die Nachtwachen auf seinen Knecht, der
sie aber nicht ausübte, sondern sich ins Bett legte und schlief.
Polizeistreifen wurden unternommen, von Nord nach Süd, von Ost
nach West und umgekehrt. Stundenlang marschierten die Polizisten durch
die kalte Landschaft, über verschneite und verwehte Straßen,
über windige Landschaften. Am 6. Januar erfror sich ein Schutzmann
die Ohren. Alles war umsonst. Dabei wußte die Polizei auch,
daß sich Kneißl bei der im Januar eingetretenen kalten
Witterung kaum ständig in Wäldern und Stadeln aufhalten
konnte. Er mußte Unterschlupfgeber haben. Diese aber meldeten
sich nicht bei der Polizei. Die Erbitterung auf Seiten der Polizei
wuchs. Zwar erhielten die Gendarmeriemannschaften für ihren
Einsatz im Kneißlgebiet eine tägliche Zulage von 60 Pfennig.
Aber dies konnte den Spott, der ihnen von Seiten der Bevölkerung
entgegenschlug, nicht ausgleichen. Nicht selten mußten die
Beamten, wenn sie auf einer Streife unterwegs waren, solche
Anschläge lesen: Mir sind unsere Dreißig. Bei der Nacht, da
stehlen mir fleißig. Beim Tag schaun mir zum Fenster naus und
lachen die Schandarmen aus. Die Sicherheitsorgane wurden umorganisiert.
Mitte Januar rückte die Abteilung der Münchner
Schutzmannschaft wieder nach München ab. Im eigentlichen
Fahndungsgebiet blieben nur noch Gendarmeriemannschaften unter der
Gesamtleitung von Oberleutnant Küster zurück, der seinen
Arbeitssitz in Odelzhausen hatte. Der Unterschied zwischen der
Gendarmerie und der Schutzmannschaft war, daß es sich bei der
Gendarmerie um ehemalige Soldaten handelte, Unteroffiziere,
während die Schutzmannschaft, die es in Bayern nur in München
gab, aus nichtmilitärischen, also zivilen Personen bestand. Aber
auch diese Umorganisation konnte einen weiteren Schlag des Kneißl
nicht verhindern.
Am Mittwoch, 23. Januar, wollte der Rentner Josef Mooseder in
Langenpettenbach die Fensterläden seines Wohnhauses
schließen. Als er aus dem Haus ging, bemerkte er einige Schritte
von seinem Haus entfernt einen Mann in gebückter Haltung. Dieser
sprang nun auf Mooseder zu und setzte diesem mit der rechten Hand einen
Revolver und mit der linken ein Schnappmesser auf die Brust und sagte:
"Geld her oder ich schieße!" Der Fremde, es war Kneißl,
hatte eine Zipfelmütze über den Kopf gezogen. Für die
Augen waren Löcher ausgeschnitten. Mooseder ging
rückwärts wieder in das Haus. Kneißl folgte ihm, wobei
er fortwährend dem Mooseder den Revolver an die Brust setzte. Im
Hausgang kam die Ehefrau Veronika dazu. Diese bat den Kneißl, sie
doch am Leben zu lassen. Auch sagte sie zu ihm: "Wir haben kein Geld."
Daraufhin machte sie einen im Hausgang stehenden Kleiderschrank auf und
nahm eine Schachtel heraus. Diese war leer. Sie zeigte sie dem
Kneißl. Der war damit nicht zufrieden und sagte weiter: "Du hast
Geld und weil Du vor Jahren kein Geld hergegeben (er meinte
hergeliehen) hast, so stehle ich es Dir." Dann wiederholte er seine
Drohung: "Geld her oder ich schieße." Dadurch
eingeschüchtert,
ging Mooseder in sein Schlafzimmer, wo er aus einem Schrank 56 Mark
(eine Doppelkrone, das war ein 20-Mark-Goldstück, drei Kronen, das
waren drei 10-Mark-Goldstücke, vier Markstücke und ein
Zweimarkstück)
entnahm und sie Kneißl aushändigte. Als Kneißl das
Geld hatte, sagte
er: "Ich tu' Euch nichts." Als er dann ging, sagte er noch: "Wenn Du
das kleine Kind vorhin nicht auf dem Arm gehabt hättest, dann
hätte ich
Dich gleich vom Fenster aus erschossen." Kurz nach dem
Mooseder-Grundstück gab Kneißl einen Schuß ab. Dann
flüchtete er in
Richtung Indersdorf. Nach diesem Raub in Langenpettenbach wurde
Kneißl
noch einmal gesehen, und zwar am 26. Januar in Wenigmünchen. Dann
hört
und sieht man von ihm wochenlang nichts mehr.
Er ist untergetaucht, hat
gute Unterschlupfgeber gefunden. Bei der Polizei gingen zwar eine Menge
Briefe ein, deren Schreiber alle Kneißl gesehen haben wollten.
Alle
Nachforschungen verliefen aber im Sande. Es fehlte der Polizei jede
Spur. Dies war bei der Bevölkerung nicht so. Hier tauchte der
Kneißl
hin und wieder auf, vor allem dann, wenn er seine Wohnungen wechselte.
Am Samstag, 16. Februar, fuhr der Bote Andreas Eigenhardt aus
Pischertshofen abends von München heim. Auf der Straße
zwischen
Frauenberg und Aufkirchen wurde er gegen zehn Uhr von Kneißl
angehalten. Kneißl stand links an der Straßenböschung
bei einigen
Weidenbäumen und hielt die Pferde von Eigenhardt an. Auf den Ruf
des
Eigenhardt "Was gibt es da?" sagte Kneißl: "Halt ein wenig und
laß mit
Dir reden. Was spricht man in München vom Kneißl?"
Eigenhardt gab ihm
Auskunft. Da sagte der andere: "Ich bin selber der Kneißl." und
zeigte
dem Eigenhardt seinen Drilling. Eigenhardt bat den Kneißl, ihm
nichts
zu tun und ihn weiterfahren zu lassen, was Kneißl zugab mit der
Drohung, wenn ihn Eigenhardt verrate, werde er ihn jederzeit erwischen
und ihn samt den Pferden totschießen.
Die Polizei mußte mit der Zeit
resignierend feststellen: im Fahndungsgebiet herrscht weder eine
Aufregung noch Angst und Furcht unter der Bevölkerung. Viele
sagen:
"Uns tut der Kneißl nichts. Warum sollen wir der Gendarmerie
helfen."
Die Gendarmerie kann jedoch allein ohne Mithilfe der besseren Bewohner
und bei der Sympathie, die Kneißl genießt, nichts
ausrichten trotz
unausgesetzter Spähe und Nachforschungen, wenn ihr nicht der
Zufall
günstig ist."
Dieser Zufall war schon im Entstehen. Xaver Lorenz war
wegen Einbruchdiebstahl in Haft. Er war gleichzeitig aus München
ausgewiesen. Am
20. Februar ließ sich dieser Lorenz auf eine Wache der
Münchner
Schutzmannschaft bringen. Dort erzählte er, daß seine Frau
eine Cousine
zum Matthias Kneißl sei und Anhaltspunkte über den
Aufenthalt des
Kneißl habe. Lorenz hoffte wohl, daß er dann, wenn seine
Frau aussagte,
wieder die Aufenthaltsgenehmigung für München bekommen
würde. Daraufhin
wurde die Frau von der Schutzmannschaft vernommen. Anfangs leugnete
sie, etwas zu wissen. Auf Zureden des vernehmenden Schutzmannes und
auch auf Zureden ihres Mannes gab die Frau Lorenz dann doch zu,
daß sie
von Johann Vöst, einem Freund des Hiasl, wisse, daß sich der
Kneißl in
einem Haus eines Flaschenbierhändlers in der Nähe von Maisach
aufhalte.
Vöst fahre jede Woche, gewöhnlich am Samstag oder Sonntag, zu
Kneißl
hinaus und versorge diesen mit Lebensmitteln und Geld. Dieses stamme
wahrscheinlich von der Mutter des Kneißl, meinte die Lorenz.
Die Frau
Lorenz wurde nicht ohne Grund auch auf die ausgeschriebene Belohnung
für die Ergreifung des Kneißl hingewiesen. Sie machte sich
schon in den
nächsten Tagen auf und erkundigte sich bei Vöst, wann dieser
wieder
nach Hause fahre. Sie wollte, sagte sie zu ihm, nach Pischertshofen
fahren. Da er in dieser Gegend zu Hause sei, wolle sie mit ihm
mitreisen. Sie vereinbarten, sich am Samstag, 2. März, noch einmal
zu
treffen. An diesem Tag, um 19 Uhr trafen sich dann auch die Frau
Lorenz, die ihre 18jährige Tochter Mathilde Danner mitgebracht
hatte,
und Vöst im Gasthaus "Zum steinernen Schild" zum vereinbarten
Zeitpunkt. Bei diesem Zusammentreffen
wurde ausgemacht, am gleichen Abend um 20.55 Uhr nach Nannhofen
abzureisen, was sie dann auch taten. Die Frau Lorenz hatte bereits die
Polizei über ihre Fahrt unterrichtet. Um 21.52 Uhr kamen sie in
Nannhofen an. Sie marschierten nun zu Fuß weiter.
Frau Lorenz wußte,
daß ihnen der Sicherheitskommissär Josef Bossert folgen
würde. Dieser
war am gleichen Tag nach Nannhofen gekommen. Um diesem den Weg zu
markieren, den sie nahmen, streute sie nach Verlassen des Bahnhofes
Nannhofen Konfetti und Orangenschalen auf die Straße. Zusammen
mit den
beiden anderen ging sie dann über Ramertshofen, Aufkirchen nach
Pischertshofen. Bossert konnte den dreien, ohne gesehen zu werden, nur
bis nach Ramertshofen hin folgen, bis an die Stelle, wo die
Straße von
Nannhofen her in die Straße von Malching nach Aufkirchen
einmündet.
Aber bereits vor der Ankunft des Zuges waren Gendarmen von Maisach,
Hattenhofen und Unterschweinbach an der Straße nach Aufkirchen
und von
Aufkirchen nach Unterschweinbach postiert worden. Diese lagen hinter
Holzstößen oder auch flach auf dem Boden und beobachteten
den Weg der
drei nach Pischertshofen. Dort
angelangt, gingen die beiden Frauen auf einen einzeln stehenden Stadel
zu und umkreisten ihn. Daraufhin kam aus diesem Stadel der Kneißl
heraus. Die Frauen ersuchten nun Vöst, bei seiner Rückfahrt
am Sonntag
abend mit ihnen beim Taglöhner Märkl in Geisenhofen wieder
zusammenzutreffen. Vöst ging daraufhin nach Unterschweinbach zu
seiner
Mutter.
In der gleichen Nacht kam der schon erwähnte Bote Eigenhardt um
1/2 2
Uhr von seiner Botenfahrt aus München in Pischertshofen an. Er
blieb
dann noch einige Zeit auf. Um 3.15 Uhr klopfte es an den Fensterladen.
Eine männliche Stimme begehrte Einlaß. Als Eigenhardt
öffnete, war es
der Kneißl mit den zwei Frauen. Er bat, weil er und die beiden
Frauen
stark froren, sich in der Stube wärmen zu dürfen. Eigenhardt
ließ alle
drei ein. Frau Eigenhardt machte Kaffee. Die Frauen wollten bezahlen,
aber Eigenhardt nahm nichts an. Nach etwa einer Viertelstunde gingen
die drei wieder fort. Auf diesem Weg verlor sie die Polizei aus den
Augen, trotz Straßenposten und Späher und dergleichen. Das
war eine
erneute Blamage für die Polizei. Diese wußte am
nächsten Tag nicht, wo
sich Kneißl aufhielt.
Ungefähr um vier Uhr kam Kneißl mit Frau Lorenz und der
Mathilde, die
eine der Freundinnen des Kneißl war (er hatte mehrere, bei einer
soll
er sogar der Vater eines ledigen Kindes sein), zum Märkl nach
Geisenhofen. Er stieg wieder in die Wohnung ein und öffnete dann
von
innen den beiden Frauen die Haustür. Märkl und seine Frau
standen auf
und kochten den dreien nochmals Kaffee. Die beiden Frauen hatten
Backwerk mitgebracht.
Die ganze Gesellschaft blieb den ganzen Sonntag
bei den Märkls. Mittags verzehrten sie mitgebrachtes
Schweinefleisch.
Vöst verbrachte den Sonntag in Unterschweinbach. Er besuchte dort
etwa
gegen 12 Uhr die Wirtschaft von Langwieder und gegen 15 Uhr die
Wirtschaft von Heiß. Aufgrund der Verabredung am Stadel in
Pischertshofen in der Nacht vom Samstag auf Sonntag verließ er am
Spätnachmittag, einige Zeit vor Eintritt der Dunkelheit,
Unterschweinbach und ging nach Aufkirchen, wo er beim Wirt Lampl
einkehrte. Vöst sprach da mit mehreren Bekannten. In der
Dämmerung
verließ er Aufkirchen und ging nach Geisenhofen zum Märkl.
Abends
ungefähr um sieben Uhr, es war bereits Nacht, kam Vöst, den
der Märkl
schon seit längerem kannte und der früher schon bei diesem im
Dienst
gestanden hatte, bei Märkl an, um die beiden Frauen abzuholen.
Die ganze Gesellschaft befand sich bei der Ankunft des Vöst in der
Stube. Kneißl hatte gerade seinen Drilling weggelegt, nahm ihn
aber
gleich
wieder an sich. Als Vöst ankam, drängte ihn Kneißl,
beim Bader in
Aufkirchen vier Flaschen Bier zu holen. Vöst ging auch. Er nahm
dazu
den Drilling des Kneißl mit. Etwa um acht Uhr kam Vöst beim
Flaschenbierhändler an, kaufte vier Flaschen Bier, zu je 22
Pfennig die
Halbe ohne Pfand, legte das Geld aus und lieh sich zum Transport der
Flaschen einen Sägerer aus. Vöst blieb dem Kneißl zu
lange aus und so
ging Kneißl fort,
um Vöst zu holen. Vor dem Hause kam Kneißl dabei mit einem
zum
Kammerfensterln gehenden Dienstknecht, der bei Josef Hartl in
Waltershofen im Dienst stand, in Streit und zum Raufen. Kneißl
zog
seinen Revolver, worauf sein Gegner flüchtete.
Um diese Zeit gingen auch die drei Dienstknechte des Tonibauern nach
Hause. Auch Vöst kam zurück. Nun umkreisten Kneißl und
Vöst das
Märkl-Haus und das Tonibauernhaus, um den Dienstknecht zu suchen,
mit
dem Kneißl ins Raufen gekommen war. Kneißl hatte wieder
seinen
Drilling, Vöst den Revolver des Kneißl. Als die
Tonibäuerin wegen des
Treibens des Vöst und des Kneißl aus dem Haus
herausschimpfte, gab Vöst
einen Revolverschuß ab. Schließlich gingen doch beide
wieder zum Märkl
zurück. Gemeinsam tranken sie das Bier.
Kneißl erzählte dabei unter
anderem, daß der Flecklbauer in Irchenbrunn absichtlich die
Gendarmen
in die Falle gelockt habe. Als Kneißl zum Rieger gekommen sei,
habe der
Flecklbauer zu ihm gesagt: "Ich schau jetzt, daß die Gendarmen
kommen,
dann werden schon drei Gendarmen kommen und dann erschießt du die
drei". Der Flecklbauer habe ihm auch Geld versprochen, wenn er die
Gendarmen erschieße. Weiter jammerte Kneißl, daß es
ihm schlecht gehe.
Er habe manchmal fünf Tage nichts zu essen bekommen. An Fasching
war er
in München im Sterngarten gewesen. Er hoffte auch, daß man
ihn nicht
erwische. Er wolle über das Wasser fliehen. Dann sagte
Kneißl, daß Vöst
mit ihm gehen solle, um etwas zum Essen zu stehlen. Vöst ging etwa
40
Meter weit mit und legte sich dann in einen Daxenhaufen. Kneißl
ging
allein weiter und kehrte nach längerer Zeit zurück. In einem
Sacktüchel
trug er drei tote Hühner bei sich. Die beiden kehrten zu
Märkl zurück,
wo Kneißl die Hühner auf die Bank warf. Märkl war noch
als einziger
wach. Ihm war der Diebstahl nicht recht. Die beiden Frauen waren auf
dem Kanapee eingeschlafen, Frau Märkl ungefähr um 1/2 9 Uhr
ins Bett
gegangen. Vöst setzte sich wieder und schlief wohl auch ein,
ebenso
Kneißl. Märkl ging ins Bett.
Die Polizei wußte, wie bereits festgestellt, nicht, wo sich
Kneißl
aufhielt. Sie vermutete ihn entweder im Stadel des Eigenhardt in
Pischertshofen oder bei der Mutter des Vöst in Unterschweinbach.
Es
wurden deshalb im
Laufe des Sonntags beide Gebäude umstellt. Dazu wurde weitere
Gendarmerie angefordert. 25 Mann unter Leitung des
Sicherheitskommissärs Bossert, der im Laufe des Sonntags wieder
nach
München zurückgefahren war, fuhren am Sonntag abend mit dem
um 23 Uhr
abfahrenden "Augsburger Postzug" nach Nannhofen. In der Bahnstation
Maisach schlossen sich weitere fünf Gendarmen an. In Nannhofen
angekommen, wurden sofort drei Mann nach Unter
schweinbach zur Verstärkung der dortigen Gendarmeriestation und
Bewachung des Vöstschen Anwesens gesandt, während die
übrige Abteilung
nach Aufkirchen marschierte. Hier wurde von einer weiteren Gruppe das
Anwesen des Flaschenbierhändlers Bader umstellt. Der Rest unter
Führung von Bossert mit Kriminalwachtmeister Renner und dem
Gendarmeriestationskommandanten Abt aus Maisach marschierte nach
Pischertshofen weiter. Dort eingetroffen, es war etwa 1/2 2 Uhr in der
Früh, wurde von einem Teil gleich das Anwesen des Boten
Eigenhardt
belagert, während die übrige Mannschaft die ganze Ortschaft
umstellte.
In der Früh um vier Uhr, es war bereits Montag, 4. März,
gingen die
beiden Frauen und Vöst vom Märklschen Haus fort. Sie
verabschiedeten
sich vom Märkl, der bis dahin zum Teil auf einem Stuhl, zum Teil
in
seinem Schlafzimmer geschlafen hatte. Kneißl blieb im
Märklschen Hause.
Er legte sich auf den Diwan in der Wohnstube und schlief weiter.
Die beiden Frauen und Vöst gingen über Ramertshofen nach
Nannhofen.
Nach dem Passieren der Ortschaft Ramertshofen, vor dem Wald, wurden sie
von zwei Gendarmen kontrolliert. Diese nahmen dem Vöst ein
feststehendes Messer ab. Auf Befragen sagte Vöst zuerst, daß
er bei
seiner Mutter, dann, daß er bei "seinem Mensch" (Freundin)
gewesen sei.
Nach dem Ort fragten die Polizisten ihn nicht. Die beiden Frauen gaben
ihre Namen an. Dann konnten alle wieder weitergehen. Diese Polizisten
waren offenbar
über die drei Personen nicht informiert. Eine weitere Panne der
Polizei
schien sich anzubahnen.
Gegen fünf Uhr würde Bossert, der sich immer noch in
Pischertshofen
aufhielt, von dieser Kontrolle unterrichtet, daß zwei
Polizisten die
drei gesehen und kontrolliert hätten, sie aber wieder weitergehen
ließen. Sofort schickte Bossert den Melder zurück mit dem
Auftrag, die
Abfahrt dieser drei Personen nach München zu verhindern, sie
festzunehmen und ihm vorzuführen.
Die Abfahrt der beiden Frauen und von Vöst konnte gerade noch
verhindert werden.
Sofort wurde von den Polizisten von der
Lotzbeckschen
Gutsverwaltung in Nannhofen ein Wagen mit Pferdegespann beschlagnahmt
und die Festgenommenen zu Bossert gebracht. Dort legte die Frau Lorenz
ein umfassendes Geständnis ab, daß sie die letzte Nacht im
Hause der
Märkl in Geisenhofen verbracht habe, wo sich Kneißl jetzt
noch befinde.
Jetzt galt es für Bossert, keine Minute mehr zu verlieren. Er
ließ die
Festgenommenen in Pischertshofen zurück, besetzte den Wagen mit
neun
Gendarmen, und im Trab und Galopp ging es querfeldein nach Geisenhofen.
Etwa gegen 1/2 sieben Uhr kamen diese ersten Gendarmen dort an. Bossert
ließ 100 Meter vor dem Märklschen Hause vom Wagen absitzen
und sofort
das Haus umstellen. Kneißl war überrumpelt, seine Flucht
unmöglich. Der
übrige Teil der in Pischertshofen gewesenen Polizisten sauste in
aufgelöster Ordnung im Laufschritt nach Geisenhofen und war in
wenigen
Minuten dort.
Nach der Umstellung des Hauses rief die Polizei die Märkls aus dem
Haus. Märkl selbst war gerade vorher wegen eines Lärmes vor
seiner
Kammertür aufgewacht. Als er dort nachsehen wollte, sah er gerade
noch
den Kneißl aus der Wohnstube in den angebauten Stadel
flüchten. Märkl
kleidete sich an und ging aus dem Haus zu den Gendarmen.
Sicherheitskommissär Bossert stellte ihn wegen der Beherbergung
des
Kneißl zur Rede. Märkl leugnete anfangs, gestand aber, als
seine Frau
ein offenes Geständnis abgelegt hatte, die Sache auch zu.
Märkl wurde
umgehend verhaftet. An diesem Tage wurden übrigens noch verhaftet
Andreas Eigenhardt aus Pischertshofen und Daniel Bader aus Aufkirchen,
genauso wie Vöst und Märkl wegen Begünstigung des
Kneißl und in das
Untersuchungsgefängnis nach Augsburg eingeliefert.
Die Ehefrau des Märkl sagte ferner, daß Kneißl von dem
plötzlichen
Auftauchen der Polizei ganz "konsterniert" war, als da plötzlich
eine
ganze Wagenladung voll Schandarmen heranrollte. Sie glaubte auch
bestimmt, daß Kneißl noch in dem Stadel sei, weil er nicht
mehr gut
entwischen konnte. Lebensmittel habe Kneißl auch nicht.
Bossert
benachrichtigte hierauf umgehend die k. Polizeidirektion München
und
bat um Verstärkung zur Unterstützung. Auf dieses hin wurde
mit dem
11.30 Uhr nach Augsburg abgehenden Postzug eine Abteilung von zwei
Unteroffizieren und zwanzig Schutzmännern und mit dem 14.30 Uhr in
gleicher Richtung abgehenden Zug eine weitere Abteilung von zwei
Unteroffizieren und dreißig Schutzmännern nach Nannhofen
gesandt.
Beide Abteilungen marschierten sofort nach ihrer Ankunft über
Ramertshofen nach Geisenhofen. Die Führung der Schutzmannschaft
erhielt
der k. Polizeihauptmann Georg Seufferheld, der ebenfalls mit dem
Zug um 14.30 Uhr nach Nannhofen fuhr und sich anschließend mit
der
Abteilung nach Geisenhofen begab. Diese kam gegen 16 Uhr in Geisenhofen
an. Die Mannschaft erhielt ihre Quartiere zugewiesen und mußte um
17
Uhr die auf Posten befindlichen Mannschaften ablösen. Die Posten
wurden
alle zwei Stunden abgelöst. Auch an die vierzehn
Gendarmeriestationen
Altomünster, Aubing, Dachau, Ehestetten, Einsbach, Gern,
Hohenzell,
Kühbach, Odelzhausen, Olching, Puchheim, Schwabhausen, Sielenbach,
Unterweikertshofen wurde telegrafiert: "Kneißl in Geisenhofen
nordöstlich der Bahnstation Nannhofen eingeschlossen. Zur
Ablösung
sofort alle verfügbaren Mannschaften mit Gewehr und Munition nach
Geisenhofen abschicken".
Bis zu 140 Polizisten dürften sich
anschließend in Geisenhofen aufgehalten haben. Seufferheld regte
ein
offensives Vorgehen gegen Kneißl an. Doch der die gesamte
Operation
leitende Gendarmerie-Oberleutnant
Küster, der sein Hauptquartier im oberen Stockwerk des
Tonibauernanwesens hatte, mußte sich an die Anweisung halten, mit
größter Vorsicht zu Werke zu gehen und alles zu vermeiden,
was zu
Verlusten unter den Polizisten hätte führen können. Es
wurden deshalb
die Mannschaften in drei Gruppen eingeteilt, die sich in der Belagerung
des Anwesens alle zwei Stunden ablösen mußten.
Der Montag nachmittag und die folgende Nacht vergingen, ohne daß
von
Kneißl etwas festgestellt worden wäre. Die Polizei hatte
schon Angst,
daß ihr der Kneißl wieder entkommen sein könnte.
Kneißl verhielt sich
völlig ruhig. Er hätte zwar, wie er später darüber
berichtete, zehn
Gendarmen erschießen können. Waffen und Munition hätte
er gehabt. Aber
er dachte sich: "Halte dich ruhig. Dann werden sie schon wieder
abziehen". Daß ihn jemand verraten könnte, glaubte er nicht.
Am Dienstag, 5. März, wurde gleich in der Früh die Frau
Märkl noch
einmal verhört. Diese blieb bei ihren gemachten Angaben, daß
sie nicht
glaube, daß Kneißl aus dem Stadel noch habe entwischen
können.
Seufferheld machte daraufhin den Vorschlag, die Frau Märkl solle
in das
Haus gehen und den Kneißl überreden, sich freiwillig zu
stellen, da er
nicht mehr entkommen könne. Die Frau Märkl lehnte jedoch ab
mit dem
Bemerken, daß ihr Kneißl bereits angekündigt habe,
wenn er verraten
werde, würde er stets den Betreffenden niederschießen. Sie
wolle sich
nicht dieser Gefahr aussetzen, da Kneißl zu allem fähig sei.
Die
gleiche Bemerkung machte auch der Bürgermeister Hainzinger, als an
ihn
dasselbe Ansinnen gestellt wurde. Nun überlegte die Polizei, ob
man
nicht den Stadel anzünden solle, um Kneißl zum Verlassen zu
bewegen.
Dagegen legte aber der Nachbar, Mösl "zum Tonibauer" energischen
Widerspruch ein. Er befürchtete, nicht zu Unrecht, daß auch
sein Hof in
Feuer aufgehen könnte. Mit Überredung und Stadelanzünden
war es also
nichts. Deshalb mußte die Frau Märkl eine genaue
Beschreibung der
Einteilung des Wohnhauses und des Stadels geben. Daraufhin wurde
beschlossen, die Scheune von der Nord- und Ostseite aus unter
Gewehrfeuer zu nehmen, um vielleicht auf diese Weise Kneißl zur
Kapitulation zu bewegen. Die Scheune war mit Stroh gedeckt. Es war also
ein leichtes, das Dach zu durchschießen.
Frau Märkl mußte mit ihrem
Kind, mit ihrem Vater und ihrer Ziege das Haus verlassen.
Vor Beginn der Beschießung wurde Frau Märkl noch
veranlaßt, die Tore
des Stadels, des Stalles und des Wohnhauses zu öffnen.
Gleichzeitig
wurden die Bewohner des südlich des Märklschen Anwesens
gelegenen
Anwesens ersucht, aus dem Hause zu gehen zur Vermeidung etwaiger
Unglücksfälle. Außerdem wurde auf einem ziemlich weiten
Umkreis das
Gelände durch Mannschaften abgesperrt, damit während der
Beschießung
niemand in den Schußbereich gelangen konnte.
Anschließend wurde um 9 Uhr mit der Beschießung des Stadels
abwechslungsweise durch Gendarmerie und Schutzmannschaft begonnen.
Die Beschießung erfolgte gruppenweise in der Stärke von je
fünf und
sechs Mann, und zwar von der Nord- und Ostseite aus mit langsamem
Schützenfeuer. Es wurde zwischen Gendarmerie und Schutzmannschaft
abgewechselt. Durchschnittlich dürfte jeder eingeteilte Mann zehn
bis
zwölf scharfe Schüsse abgegeben haben. Auf Kneißl
zeigte die
Beschießung des Anwesens keinerlei Wirkung. Er wurde auch durch
keinen
Schuß verletzt.
Nach einer 30minütigen Beschießung der Scheune konnte keine
Wirkung
erzielt werden. Deshalb wurde beschlossen, vom Wohnhaus aus in den
Stadel zu schießen als letztes Mittel, um den Kneißl
vielleicht doch
noch zum Aufgeben zu zwingen. Das Wohnhaus und der Stadel waren nur
durch eine Bretterwand getrennt. In Höhe des oberen Stockwerkes
des
Wohnhauses führte ein Boden über die Hälfte des inneren
Stadelraumes.
Der Plan war daher sehr leicht ausführbar, weil durch einige
Beilhiebe
die Bretterwand leicht entfernt werden konnte. Es wurden dann
Freiwillige gesucht, in das Haus zu gehen. Sofort traten alle Gendarmen
und Schutzmänner vor. Es wurde schließlich eine Abteilung
von 36
Freiwilligen zusammengestellt, wovon 4 Mann mit Hacken zum
Durchschlagen der Bretterwand ausgerüstet wurden. Diese Abteilung
ging
nun im Laufschritt mit "Hurra"-Rufen auf das Wohnhaus zu. Sie verteilte
sich im Wohnhaus so, daß zwölf Mann davon die
Parterreräume, zwölf Mann
die Räumlichkeiten im 1. Stockwerk und zwölf Mann den
Dachraum zu
durchsuchen hatten, von wo aus dann das Feuer in den Stadel hätte
eröffnet werden sollen.
Die Freiwilligen, die in das Haus eindrangen, waren sowohl Gendarmen
als auch Schutzmänner. Diese beiden Gruppen rivalisierten sehr
stark,
bekämpften sich bei dem Kneißlfangen und waren aufeinander
eifersüchtig. Jede Gruppe wollte später den Kneißl
zuerst gesehen
haben. Die Gefangennahme des Kneißl stand nun vor dem
entscheidenden
Moment. Die für das erste Stockwerk eingeteilten Polizisten liefen
über
die Stiege in den oberen Stock. Ein Schutzmann begann sofort, mit einer
Hacke die Bretterwand zum Stadel zu durchschlagen. Dabei drehte er sich
mit dem Rücken zum Kamin. Dieser Kamin stand, wenn man von unten
über
die Stiege heraufkam, auf der linken Seite des Raumes im oberen
Geschoß, frei im Raum. Der Kamin bildete mit der Bretterwand und
der
Außenmauer eine kleine Nische. Der Schutzmann war immer noch mit
dem
Wegschlagen der Bretter beschäftigt, da sah ein anderer Schutzmann
plötzlich den Schatten einer Person in diese Nische hinter dem
Kamin
verschwinden. Sofort schrie der Schutzmann: "Obacht, da ist er".
Gleichzeitig warf er sein Gewehr weg, das er in der linken Hand trug,
sprang zum Kamin
hin, lehnte sich mit der linken Seite an den Kamin und schaute
vorsichtig um die Ecke, "eingedenk, daß jetzt der Kampf auf Leben
und
Tod beginne", wie sich der Schutzmann später ausdrückte, in
völlig
falscher Einschätzung der Lage. Dabei sah er in der Nische den
Räuber
stehen.
In diesem Moment sah auch ein anderer Polizist den Kneißl; denn
sofort wurden in ganz kurzer Entfernung des Schutzmannes zwei scharfe
Revolverschüsse abgegeben, wobei dem Schutzmann das Feuer vor den
Augen
vorbeifuhr und die Kugeln dicht neben seinem Kopf vorbeisausten. Es
handelte sich hier nachweislich um Schüsse von Polizisten, da
Kneißl in
diesem Moment schon nicht mehr im Besitz von Waffen war. Diese hatte er
längst vorher versteckt. Kneißl war also zu diesem Zeitpunkt
und auch
in der nachfolgenden Zeit völlig wehrlos den
schießwütigen Polizisten
ausgesetzt. Hätte Kneißl den Polizisten noch etwas antun
wollen, so
hätte er beispielsweise dem Schutzmann, der ihm den Rücken
zudrehte,
gefährlich werden können. Kneißl hatte sich aber mit
seinem Schicksal
schon abgefunden. Nach diesen beiden ersten Schüssen schoß
auch der
schon erwähnte Schutzmann viermal auf Kneißl. Mindestens
einer dieser
Schüsse traf Kneißl. Er ging zu Boden. Die Polizisten
schossen aber
immer noch. Insgesamt 21 Schüsse haben sie auf den unbewaffneten
und
wehrlosen und ruhig dagestandenen Kneißl abgegeben.
Fünf Schüsse hatten
Kneißl getroffen. Er erhielt einen Steckschuß in den Kopf,
einen Schuß
in den linken Unterarm, zwei Schüsse in den rechten Oberarm und
einen
Schuß in den Unterleib mit zweimaliger Darmverletzung. Es bestand
dadurch unmittelbare Lebensgefahr. Auch eine der Wunden am rechten Arm
hätte die Verblutung von Kneißl herbeiführen
können, weil da eine
Schlagader verletzt wurde. Durch ein baldiges anschließendes
Verbinden
dieser Wunde wurde diese Gefahr beseitigt. Die Polizisten waren durch
die vorausgegangenen angeblichen Aussagen von Kneißl,
er würde sich bis auf die letzte Kugel verteidigen und auf einen
Polizisten mehr oder weniger käme es ihm nicht an, so aufgeputscht
worden, daß sie fast ohne Besinnung und Überlegung, ob der
Gesuchte nun
überhaupt Widerstand leistet oder nicht, auf Kneißl
schossen.
Die Einwirkungen auf Kneißl von Seiten der Polizei waren aber
nach den
21 Schüssen noch nicht vorbei. Nachdem Kneißl zu Boden
gegangen war,
fing er zu wimmern und zu bitten an und rief mit erhobener rechter Hand
zweimal: "Bitt' schön, bitt' schön". Trotzdem schossen die
Polizisten
noch aus drei Schritt Entfernung weiter auf ihn.
Erst als ein
Schutzmann rief: "Hört auf!", wurde das Schießen
eingestellt. Dann erst
sprang der Schutzmann aus seiner Stellung hervor, zu Kneißl hin
und
packte
diesen am Hals und drosselte ihn. Es war 3/4 10 Uhr am Dienstag, 5.
März 1901, als damit die Freiheit des Räubers Kneißl zu
Ende ging und
er gefangengenommen wurde.
Um 11.30 Uhr meldete die Einsatzleitung aus Geisenhofen an die
Polizeidirektion München: "Nach vorhergegangener Beschießung
des
Anwesens Nr. 8 Haus mit Sturm genommen. Kneißl verhaftet und
schwer
verletzt. Schuß in Bauch und zwei in Arm. Mannschaft keine
Verletzung."
Der Schutzmann wollte den Kneißl gar nicht mehr loslassen.
Außerdem
kamen immer mehr Polizisten dazu und schlugen auf Kneißl ein. Da
nahm
ein Gendarm den Schutzmann am Rockkragen und versuchte, ihn von
Kneißl
wegzureißen. Er sagte: "Bringts ihn doch nicht gleich um." Da
aber
andere Polizisten nachdrängten, konnte der Gendarm den Schutzmann
nicht
wegziehen.
Die Polizisten gebärdeten sich wütend gegenüber
Kneißl und
hätten ihn am liebsten gelyncht. Befehle der Vorgesetzten, Ruhe
anzunehmen, mißachteten sie. Erst nach einiger Zeit konnte
Kneißl in
ein im gleichen Stockwerk gelegenes Schlafzimmer gebracht und
durchsucht werden. Bereits vorher und auch bei dieser Gelegenheit
wurden immer wieder Rufe laut: "Der hat seinen Revolver noch". Gefunden
und gesehen hat niemand einen solchen bei Kneißl. Er hatte
diesen, wie
schon erwähnt, zusammen mit seinem Drilling, der Munition und den
drei
gestohlenen Hühnern im Fehlboden des Märklschen Hauses
versteckt. Dort
wurden sie am 11. März vom Stationskommandanten Abt aus Maisach
gefunden.
Anschließend wurde Kneißl auf dem Rücken des bereits
mehrfach erwähnten
Schutzmannes über die Stiege in das Erdgeschoß
hinuntergetragen und von
dort ins Freie. Während dieses Herumtragens im Haus wurde immer
wieder
von den Polizisten auf Kneißl eingeschlagen.
Während des
Heruntertragens fing Kneißl plötzlich von selbst zu reden
an, ohne daß
er gefragt worden wäre: "Der Flecklbauer ist an allem schuld". Das
wiederholte Kneißl in einem fort die ganze Treppe hinunter.
Inzwischen war beim Nachbarn Mösl angefragt worden, ob
Kneißl dorthin
gebracht werden dürfe, weil im Märklhaus zu wenig Platz war.
Bauer Mösl
erlaubte dies. So wurde Kneißl in den Stadel des Tonibauernhofes
getragen und dort vom Polizeiarzt Dr. Hermann Falk verbunden.
Im Stadel fragte Kriminal-Wachtmeister Jakob Renner den Kneißl,
was er
denn mit dem Flecklbauern meine, worauf Kneißl immer und immer
wieder
erwiderte: "Der ist an allem schuld". Bald darauf kam jemand mit der
Meldung, daß Pfarrer Lorenz Biesenhofer aus Aufkirchen da sei.
Daraufhin wurde Kneißl in die Wohnstube getragen und auf das
Kanapee
gelegt. Hier sagte er: "Der Flecklbauer sagte zu mir: Du bleibst da.
Ich lasse die Gendarmen holen. Da werden dann drei oder fünf
kommen und
du schießt sie nieder. Ich sage nicht, wer es getan hat. Pfarrer
Biesenhofer nahm anschließend dem schwerverletzten Räuber
die Beichte
ab und spendete ihm die letzte Ölung.
Anschließend wurde Kneißl mit
einem Truhenwagen zum Bahnhof nach Nannhofen gefahren. Der Wagen wurde
vom Knecht namens Metzger des Bürgermeisters Hainzinger gelenkt.
Während dieser Fahrt deckte ihm Stationskommandant Abt aus Maisach
mit
einem Taschentuch das Gesicht ab, um ihn vor dem Regen zu
schützen.
Auch hier sagte Kneißl: "Der Flecklbauer ist schuld". Zu Abt
sagte
Kneißl: "Ich hätte Sie oft erschießen können,
habe es aber nicht
getan." Da Abt am
Samstag vorher beobachtet hatte, wie Kneißl vom Haus des Boten
Eigenhardt herausging, sagte Abt zu Kneißl: "Ich hätte dich
damals auch
erschießen können", worauf Kneißl meinte, Abt
hätte ihn doch nicht
getroffen; denn sein Gewehr wäre doch besser gegangen.
Auf dem Bahnhof in Nannhofen hatte sich inzwischen eine große
Menschenmenge angesammelt, die alle den Kneißl sehen wollten.
Unter den
Zuschauern war auch Franz Hofner aus Bruck. Als diesen der Kneißl
sah,
sagte er zu ihm: "Gelt, Franzl, hast mich auch fünf Tage
untergebracht." Hofner wurde daraufhin sofort verhaftet. Die Frau des
Hofner war übrigens eine Tante des Erhard Holzleitner, der
zusammen mit
Kneißl den Raub in Oberbirnbach verübte.
Ihre große Zeit hatte an diesen beiden "Geisenhofener Tagen" auch
die
Bevölkerung dieses Landstriches nördlich von Bruck und
darüber hinaus.
Sofort als bekannt wurde, daß Kneißl in Geisenhofen sei,
kamen
scharenweise Zuschauer und wollten alles ganz nah miterleben, was sich
da abspielt. Knechte und Mägde ließen ihre Arbeit liegen und
stehen,
die Gabel, die sie gerade in den Händen hatten, steckten sie in
den
Boden und rannten nach Geisenhofen. Selbst aus München kamen
Schaulustige mit dem Zug angereist, um beim vorläufig letzten Akt
im
Zusammenhang mit dem Kneißl dabeizusein.
Als die Gefangennahme des
Kneißl vorüber und auch die Polizei wieder abgerückt
war, stürmten die
Leute das Märklsche Haus und stocherten die Kugeln aus der Mauer
heraus, um ein Andenken an die Beschießung und die Gefangennahme
des
Kneißl zu haben. Zum Teil wurden die Gewehrkugeln auch verkauft.
Kneißl wurde mit dem Zug nach München gebracht, bereits um
1.10 Uhr in
die Chirurgische Klinik aufgenommen und von Obermedizinalrat Angerer
nachmittags am Unterleib operiert. Der Zustand des Kneißl war
lebensgefährlich, aber nicht hoffnungslos. Kneißl war in
dieser Klinik
in
einer isolierten Zelle, die nur mit einem Bett ausgestattet und deren
einziges Fenster auf die Nußbaumstraße hin mit einem
schweren Gitter
gesichert war, untergebracht.
Bereits an den beiden nächsten Tagen
wurde Kneißl nach Genehmigung des behandelnden Arztes jeweils
kurze
Zeit vom Untersuchungsrichter, Landgerichtsrat Otto Dröber aus
Augsburg, vernommen. Als Unterschlupfgeber nannte er dabei nur den
Josef Märkl aus Geisenhofen, wo Kneißl verhaftet wurde, und
den
Brunnenmacher Franz Hofner aus Bruck. Beide nannte Kneißl
wahrscheinlich nur aus Rache, weil er über Märkl vermutete,
daß ihn
dieser verraten habe, und weil er über Hofner verärgert war,
daß ihm
dieser während seines fünftägigen Aufenthaltes bei
diesem 30 Mark
abverlangte und für eine Maß Bier beispielsweise eine Mark.
Üblich war
damals beim Bier die Hälfte. Wegen der Tat in Irchenbrunn schob
Kneißl
alle Schuld auf den Flecklbauern Rieger. Dieser habe ihn, Kneißl,
verständigt, daß er, Rieger, die Gendarmen holen lasse zu
dem Zweck,
daß sie Kneißl erschießen. Nach der Aussage
Kneißls wollte ihn Rieger
dafür bezahlen. "Und wenn es mein halbes Anwesen kostet!" soll der
Flecklbauer nach den Angaben von Kneißl gesagt haben. Rieger
würde dann
nach der Erschießung der Gendarmen dem Kneißl zur Flucht
die hintere
Haustür öffnen. Er, Kneißl, habe nicht die Absicht
gehabt, die
Gendarmen zu verletzen, geschweige denn zu töten.
Am 3. Mai kamen Sachverständige zu dem Entschluß, daß
eine Überführung
des Kneißl in ein Gefängnis "noch nicht thunlich" sei.
Kneißl wurde bis
dahin sehr oft von seiner Mutter besucht. Einmal jammerte er dabei
über
das viele Beten, ein andermal über das andauernde
Kalbfleischessen.
Dazu sagte er: "Ich fresse überhaupt nichts mehr." Weil die Mutter
des
Kneißl mit dem Hiasl auch immer über die Straftaten sprach,
was nicht
erlaubt war, wurde ihr am 24. Mai die allgemeine Erlaubnis zum Besuchen
ihres Sohnes entzogen. Sie mußte künftig jedesmal eine
für den
Einzelfall auszustellende Sprechkarte vorzeigen. Kneißl selbst
wurde
Tag und Nacht bewacht. Es war ständig ein Gendarm in seinem
Zimmer.
Anfang August herrschte bei der Polizei Alarmstufe eins. Die Theres
Kneißl war an einem dieser Tage bei ihrer Schwester Maria Danner
gewesen
und hatte sich nach der Adresse ihres Bruders Josef Pascolini
erkundigt, der nach Amerika ausgewandert war. Außerdem hatte die
Mutter
des Kneißl "erst vorige Woche von einem russischen Grafen und
Kunstmaler 1000 Mark bekommen", wie die Polizei erfuhr. Von diesem
Grafen, dem ehemaligen Freund ihrer Tochter Katharina, erhielt Frau
Kneißl monatlich 70 Mark. Sie hatte früher die Hausarbeit
für diesen
Grafen verrichtet. Die
Tochter Katharina war übrigens als zweites der fünf
Kneißlkinder am 24.
Dezember 1899 an einer Frühgeburt gestorben. Außerdem machte
die
Genesung des Kneißl bis zu diesem Zeitpunkt gute Fortschritte.
Am 2. August war Kneißl sogar betrunken. Seine Mutter hatte
ihm zwei
Flaschen Wein gebracht, wohl im Hinblick auf seinen Geburtstag zwei
Tage später. Die Menge Wein war für den Kneißl zuviel.
Aufgrund dieser
gesamten Umstände befürchtete die Polizei, daß Theres
Kneißl in Amerika
ein Quartier suchte und deshalb eine Flucht des Hiasl geplant war.
Dieser wurde wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund dieser
Befürchtungen
am 10. August im Garten der Chirurgischen Klinik achtmal fotografiert
und am 12. August in das Untersuchungsgefängnis nach Augsburg
verlegt.
Bei dem erwähnten Josef Pascolini in Amerika wohnte ein Wilhelm
Karl.
Dieser war der Sohn einer Schwester des Pascolini. Dieser war im Jahre
1900 bei einem Einbruchdiebstahl gefaßt und verhaftet worden. Er
konnte
der Polizei entkommen und sprang vom ersten Stock des Gebäudes auf
die
Straße. Dabei brach er sich den Fuß. Er schleppte sich zwar
in den
Keller des Hauses, wurde dort aber gefunden und verhaftet und in die
Chirurgische Klinik eingeliefert. Von dort ist er mit Hilfe des
Kneißl
Hiasl entkommen, wurde anschließend in Allach acht Monate lang
gepflegt
und ging dann mit den Legitimationspapieren des Matthias Kneißl
nach
Amerika.
Im Landgericht Augsburg begann am Donnerstag, 14. November 1901, vor
dem Schwurgericht der Prozeß gegen Kneißl. Er war angeklagt
wegen zwei
Verbrechen des Mordes, vier Verbrechen des Totschlags und drei
Verbrechen des Raubes. Mitangeklagt war der Flecklbauer Michael Rieger
wegen Beihilfe zu zwei Verbrechen des Mordes. Als Verteidiger hatte
Kneißl eine Kapazität auf diesem Gebiet, nämlich
Rechtsanwalt Dr. jur.
Walter Sigismund von Pannwitz aus München. Geboren 1856 in
Mehlsack in
Ostpreußen, war von Pannwitz in zweiter Ehe mit der sehr reichen
Catalina Roth verheiratet. Mit dieser hatte er eine Tochter namens
Ursel, die mit dem achten Earl of Chichester verheiratet war und heute
noch in Südengland lebt. Dr. von Pannwitz machte aber seinen
größten
beruflichen Sprung, als er Justitiar von Kaiser Wilhelm II. wurde und
mit diesem auch nach dessen Abdankung 1918 nach Holland ins Exil ging.
1920 ist von Pannwitz in Buenos Aires gestorben.
Um neun Uhr eröffnete Oberlandesgerichtsrat Rebholz den
Prozeß. Groß
war der Andrang der Zuschauer und auch der Presse. 19 Journalisten
waren anwesend, darunter auch ein Berichterstatter aus der Schweiz.
Zuerst erfolgte die Auslosung der zwölf Geschworenen.
Anschließend
wurden die Namen der Zeugen vorgelesen. 122 Zeugen waren geladen
gewesen. Am ersten Prozeßtag wurden die beiden Angeklagten
verhört. Am
zweiten Tag begannen die Zeugenvernehmungen. Am dritten Tag kam es zu
einer Auseinandersetzung zwischen dem Staatsanwalt und Verteidiger Dr.
von Pannwitz. Der Staatsanwalt wehrte sich, über die Vorgänge
bei der
Festnahme von Kneißl zu sprechen: "Ich verlange, daß alle
Fragen,
welche sich auf die Festnahme beziehen, abgeschnitten werden. Solche
Dinge können nur Sensation hervorrufen oder Mitleid für
Kneißl
erwecken." Darauf entgegnete von Pannwitz mit erhobener Stimme: "Ich
verwahre mich gegen den Vorwurf der Sensationsmacherei. Ich habe hier
eine schwere Pflicht; denn es handelt sich um den Kopf eines Menschen,
und ich werde mir ein für alle Mal vom Staatsanwalt keinen Vorwurf
machen lassen. Wenn selbst königlich bayerische Gendarmen und
Schutzleute so erregt sind, daß sie schließlich den
Schatten ihrer
Waffen für solche in den Händen des Kneißl halten, dann
muß ich sagen:
Kneißl hat sich bei seinen Äußerungen auch von der
Erregung hinreißen
lassen."
Am Montag wurde die Beweisaufnahme abgeschlossen, am Dienstag
begannen in der Früh die Plädoyers. Staatsanwalt Fahrnbacher
begründete
in seinem zweistündigen Vortrag die Anklage, die auf Mord an den
beiden
Gendarmen in Irchenbrunn lautete. Verteidiger Dr. von Pannwitz begann
um elf Uhr mit seiner Verteidigungsrede. Er verneinte eine Mordabsicht
gegenüber den Gendarmen. Er konnte damit aber die Geschworenen
nicht
überzeugen. Diese entschieden im Fall des Kommandanten Brandmaier
auf
Mord und im Fall des Gendarmen Scheidler auf Körperverletzung mit
Todesfolge. Der Flecklbauer wurde freigesprochen. Auf Mord aber stand
die Todesstrafe. Sein Verteidiger rief zwar das Reichsgericht in
Leipzig an, aber ohne Erfolg, reichte dann ein Gnadengesuch beim
Prinzregenten Luitpold ein. Als Antwort hierauf teilte der Staatsanwalt
am Mittwoch, 19. Februar 1902, in der Früh um sieben Uhr im
Untersuchungsgefängnis dem Kneißl mit, daß von der
"Allerhöchsten
Stelle die vielleicht zuversichtlich erhoffte Begnadigung nicht
gewährt
worden sei". Kneißl nahm das Todesurteil gefaßt entgegen.
Seine
Hinrichtung stand nun fest. Kneißl machte von der
24stündigen
Gnadenfrist Gebrauch. Die Hinrichtung mit dem Fallbeil fand deshalb am
Freitag, 21. Februar 1902, in der Früh um sieben Uhr im alten
Gefängnis in Augsburg statt. Matthias Kneißl hatte seine
Taten mit
seinem Leben gesühnt.
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