(C) Josef Kiening, Genealogie im Gebiet nordwestlich von München
    
    Leben von  Magdalena  geb. Heiss
    eigenhändig aufgeschrieben im Januar 1990  (Erläuterungen
wurden
        kursiv eingefügt.)
    
    Kinderzeit
    
    Als letztes von 10 Kindern - 7 Mädchen und 3 Buben - wurde ich am 8.
    Juli 1912 in Hattenhofen bei Fürstenfeldbruck geboren und ein paar
    Tage später in Günzlhofen getauft, denn Hattenhofen gehört zu dieser
    Pfarrei. Man musste mit dem Neugeborenen im Kinderwagen (der
    "Chaise") etwa eine Dreiviertelstunde gehen bis Günzlhofen Die
    Mutter war deshalb meist bei der Taufe nicht dabei. nur die Patin,
    in meinem Fall unsere Tante Maria Marolda, eine Klosterschwester und
    Schwester unseres Vaters.
    
    Ich wurde, wie fast alle meine Geschwister, hauptsächlich von der
    Großmutter (Maria Heiss, geb. Müller, also Vaters  Mutter)
    betreut und erzogen. Sie war eine wortkarge, verbitterte Frau, die
    wahrscheinlich zu wenig Anerkennung für ihre viele Arbeit bekam. Sie
    ging jeden Tag in die Kirche und hat überhaupt viel gebetet. Bis zu
    ihrem Tod (ich war damals etwa 18 Jahre alt)  lebte sie bei uns
    im Haus. Nachdem sie uns alle großgezogen hatte, half sie noch im
    Dorf bei einer anderen Familie mit Kindern.
    
    An meine Kindheit kann ich mich erst ab 6 Jahren erinnern. Ich weiß
    noch, wie die Soldaten durch die Hauptstraße des Dorfes zogen und
    froh waren, endlich heim marschieren zu können, als der 1. Weltkrieg
    zu Ende war.
    
    In der Schule wurde ich von den Buben, weil ich klein und
    schwächlich war, oft verprügelt, wohl aus Neid,  weil ich
    trotzdem in der Schule besser war als sie. Da bin ich heute noch
    dankbar, dass mich meine größere, kräftige Schwester Greti
    (Margarethe) so oft in Schutz genommen hat und mir zu Hilfe gekommen
    ist.
    
    Die Schule fing um 8 Uhr früh an. Die Schulkinder gingen fast alle
    zuerst in die Frühmesse . Die Schule war gleich neben der Kirche. Es
    war nur ein großer Schulraum für alle Klassen da. Immer zwei
    Jahrgänge mussten zusammen die gleichen Aufgaben machen. Abschreiben
    oder Schwatzen wurde mit "Tatz' n" (mit dem Rohrstock auf die Hände)
    bestraft. Den Buben wurde schon manchmal der Hintern versohlt.
    Anders wäre keine Ruhe ins Schulzimmer zu bringen gewesen.
    Vielleicht war ich das "Basele" des Lehrers, denn meine Aufsätze
    wurden immer vorgelesen, was mich sehr ärgerte, denn ich schrieb oft
    Persönliches rein, was die anderen Kinder gar nicht zu wissen
    brauchten. 
    
    Meine ersten Süßigkeiten hab' ich mir verdient, indem ich für meine
    Nachbarin die Aufsätze schrieb. Die gesamten 7 Jahre lang hatten wir
    den gleichen Lehrer, der streng, aber gerecht war und uns wirklich
    viel beibrachte. Der Religionslehrer, Expositus Seilbeck, mochte
    mich nicht, wahrscheinlich weil meine Eltern nicht "schmieren"
    konnten. Die anderen Eltern brachten ihm meist Butter, Eier oder
    Brot, und unsere Eltern konnten das halt nicht machen. Deshalb
    wurden wir bei ihm benachteiligt (beim Lehrer nicht!). Vom Expositus
    hab' ich viele "Tatz' n " bekommen. Deshalb habe ich ihn nicht in
    bester Erinnerung, obwohl er andererseits auch wieder sehr
    hilfsbereit war den kinderreichen Familien gegenüber. Er machte den
    Kindern z. B. selbst Holzpantoffeln in der kargen Zeit noch dem 1 .
    Weltkrieg, als es nichts gab. Wir hatten damals im Winter
    lederbespannte  Holzpantoffeln an. Bei jeder Erstkommunion lud
    er alle Kommunionkinder zu Kaffee und Kuchen ein und machte ein
    Gruppenfoto, denn er hatte damals als einziger im Dorf einen
    Fotoapparat. Das erste Foto machte damals allerdings ein auswärtiger
    Fotograf, der in die Schule kam. Ich weiß nicht, ob dieses Foto
    irgendwo noch existiert. Wir hatten damals, Mädchen wie Buben,
    Tragerschürzen über unserer Kleidung an, zum Schutz unserer guten
    Sachen.
    
    Meine Schwestern  mussten, kaum aus der Schule entlassen, zu
    Bauern, um dort zu arbeiten. Nur Theres ging auch nach Haspelmoor (in
das
      staatliche Torfwerk)  zum Torfaufkastl' n, wo sie dann
    ihren Andreas kennenlernte, der nach der Schulentlassung auch im
    Mullewerk arbeitete Der Torf wurde in der Nahe unseres Dorfes
    gestochen, es waren alles große Moorgebiete. 
     Andreas arbeitete später in Fürstenfeldbruck und holte auch
    seine Theres zu einer Baronin in den Haushalt. Ich weiß noch gut,
    dass sie sagte, als sie zum ersten mal nach Hause kam: " Nichts kann
    man, nicht mal Schuhe putzen !" Zu ihrer Hochzeit nähte sie mir ein
    Kleid.. über das ich mich sehr freute, weil ich sonst nichts Schönes
    zum Anziehen hatte. Die Hochzeitsfeier spielte sich in unserer
    Wohnstube ab, wo zwei lange Tische zusammengerückt wurden. Das war
    die erste und einzige Hochzeit von allen meinen 
    Geschwistern, die ich miterlebte.
    
     Von unserer Schwester Sefi weiß ich dass sie dauernd kränklich
    war (Anämie usw.) Später, als Theres in München in Stellung war,
    holte sie Sefi auch nach München, wo ihr eine alte Dame in ihrem
    Haushalt alles beibrachte.
    
    Als ich 11 Jahre alt war und die Schwestern schon alle außer Haus
    arbeiteten, bekam ich ein "kleines Schwesterlein", meine Nichte
    Sofie, die Tochter der ältesten Schwester. Ich freute mich sehr
    darüber und durfte sogar ihren Namen bestimmen. "Sofie" suchte ich
    aus, weil dieser Name an diesem Tag im Kalender stand. Ich habe sie
    außer meinen Schulstunden ständig betreut und ihr das Gehen und
    Sprechen beigebracht, was mir große Freude machte.
    
    Im Winter 1922, bei der großen Grippeepidemie, lagen, wir alle krank
    im Bett, nur Mutter hielt sich soweit, dass sie uns versorgen
    konnte. Damals hatte der Baum, den Vater bei meiner Geburt gepflanzt
    hatte, zum ersten mal getragen und ich kann mich gut erinnern, dass
    Mutter Schürzen voll Äpfel aus dem Keller holte und uns damit
    versorgte. Es waren Boskop und sie mussten alle geschält werden,
    weil uns von den Boskop die Schalen zu hart waren.
    
    In den Inflationsjahren musste ich einmal in der Woche mit dem Zug
    zu einer befreundeten Familie nach Olching fahren (ich glaube, sie
    hießen Herberger) und Milch, Eier und Butter hinbringen. (Diese
      Fahrt traf mich, weil ich noch auf Kinderfahrkarte die Bahn
      benützen konnte.) Das war für mich immer ein schönes
    Erlebnis, denn ich durfte dann mit Mariele, die etwas jünger war als
    ich, und ihren schönen Puppen spielen, bis ich mit dem Zug wieder
    zurück musste.
    
    Als Schulkind hatte ich oft Bronchitis. Einmal hörte ich in der
    Nacht, als ich so arg husten musste, den Vater im angrenzenden
    Schlafzimmer (die Tür zu meiner Kammer stand offen) sagen: "Die
    stirbt uns ja" . Da hatte ich Angst und verkroch mich in Mutters
    Bett, das immer so wohlig warm war; die Mutter hat lieber gefroren,
    damit ich ja schön zugedeckt war. Vater und Mutter waren überhaupt
    immer gut zu mir, dem Nesthäkchen, obwohl sie bei ihrer vielen
    Arbeit sehr wenig Zeit für mich hatten.
    
    Die Eltern
    Vater musste schwer arbeiten. Im Sommer im Stall und Feld, denn wir
    hatten eine kleine Landwirtschaft; im Winter half er an der
    Bahnstation Haspelmoor Langholz umladen, denn der Ertrag der
    Landwirtschaft reichte für uns nicht zum Leben. Es wundert mich
    nicht, wenn er abends als Ausgleich in die Eberl' sche Wirtschaft
    ging und manchmal auch über den Durst getrunken hat. Er wurde ja
    meist "freigehalten", weil er sehr unterhaltsam war und auch
    manchmal mit seiner Mundharmonika (er war sehr musikalisch) zum Tanz
    aufspielte.
    In jungen Jahren hatte er einen Kurs in der Baumschule Weihenstephan
    gemacht und er wollte mir einmal das Baumveredeln  beibringen,
    aber damals hatte ich natürlich für so was gar kein Interesse. Er
    pflanzte  in unserem Garten viele Apfel- und Birnbäume,
    besonders gute Sorten , auf die er sehr stolz war. Und im Winter
    schnitt er für wenig Geld anderen Leuten die Bäume oder pfropfte
    frisch auf und veredelte sie. Er ließ sich auch von Weihenstephan
    junge Bäume schicken, die er anderen Leuten in die Obstgärten
    pflanzte, alles gegen geringe Bezahlung, wie ich mich erinnere.
    Unsere eigenen Obstbäume versorgten unsere Familie das ganze Jahr
    über und vor allem im Winter mit Vitaminen, denn Südfrüchte usw.
    bekam man damals ja noch nicht. 
    
    An unseren Vater denke ich gern, weil er trotz seiner vielen und
    schweren Arbeit immer lebenslustig war und ihm bis ins Alter "der
    Schalk im Nacken saß". (Seine Enkel können davon noch einiges
    erzählen). Ich erinnere mich übrigens , dass ich meine Eltern nie
    sich streiten hörte, und ich hörte auch nie ein Schimpfwort von
    ihnen. Vater hat gern abends in der Wirtschaft "politisiert", sie
    haben sich die Köpfe über der Politik heißgeredet. - 
    
    Aus ihrer Jugend erzählten uns die Eltern leider gar nichts. 
    Die Mutter hatte mir mal Handschuhe gestrickt mit schönen Mustern,
    was damals meine Schulfreundinnen sehr bewunderten. Mutter sagte,
    "Das habe ich von den Schwestern in der Schule gelernt", als ich sie
    fragte, wo sie die schönen Handarbeiten gelernt habe. 
    .(Die Mutter stammte aus Wenigmünchen. Im etwa 10 km entfernten
      Lauterbach war eine Filiale der "Armen Schulschwestern", die
      wahrscheinlich Handarbeits-Unterricht erteilten .)  
    
    Wenn ich an unsere Eltern denke, erinnere ich mich, dass sie jeden
    Tag - auch sonntags um 5 Uhr früh aufgestanden sind. Sie nahmen
    Weihwasser und. beteten zusammen den "Engel des Herrn" und drei
    "Ehre sei dem Vater". (Mutter ging, soweit irgend möglich, jeden
    Morgen um 7.30 Uhr in die hl. Messe). Früh wurde dann gleich im
    Kachelofen Feuer gemacht und für die Kühe und Schweine Wasser
    gewärmt. Mit Kleie verrührt bekam jede Kuh einzeln ihren Eimer
    vorgesetzt. Kartoffeln wurden für Schweine und Hühner gekocht,
    zerdrückt und mit Kleie vermischt. Mit dem 'Benzinmotor"
    gehäckseltes Heu und Haferstroh bekamen ebenfalls die Kühe und der
    Ochse. Mit dem Fressen im Trog ließen sich die Kühe dann ruhiger
    melken. Anschließend gab es für die Familie Frühstück. 
    
    Abends schnitt Mutter immer Mengen von Brot auf, das dann früh mit
    kochendem Wasser übergossen und mit Salz abgeschmeckt wurde. (Hartes
    Brot wurde kurz aufgekocht). Nur an den Sonntagen wurde heiße Milch
    statt Wasser über das Brot gegossen. Das war unser Frühstück. In die
    Schule bekamen wir eine Scheibe trockenes Brot und einen Apfel mit.
    Mittags gab es meistens Mehlspeisen (Fleisch nur sonntags).
    Semmelknödel mit frischen Pfifferlingen schmeckte uns besonders.
    Brotteig knetete Mutter selbst im großen Backtrog, eine sehr schwere
    Arbeit für eine eigentlich zarte Frau. Gebacken wurden die Brotlaibe
    dann nebenan beim Bäcker. 
    
    Nachmittags aßen wir, wenn wir Hunger hatten, wieder trockenes Brot
    und Äpfel. Abends gab es, wenn frisch gebuttert wurde (zwei bis
    dreimal pro Woche) frische Buttermilch und heiße Kartoffeln. Hans
    und Michel luden sich immer Berge von Kartoffeln auf den Teller,
    worauf Mutter sagte, es wäre euch wohl vergönnt, aber ihr kriegt ja
    so große Mägen! Sonst gab' s abends Nudelsuppe von selbst gemachten
    Nudeln (Mutter hatte eine Nudelmaschine; die fertigen Nudeln wurden
    dann zum Trocknen ausgelegt), Riebelesuppe ( mit dem Hobel in
    kochendes Wasser geriebener Nudelteig) oder Eiereinlaufsuppe. Für
    den Winter wurde Dörrobst gemacht (der Bäcker dörrte es nach dem
    Brotbacken oben auf seinem Backofen) oder Sauerkraut.
    
    Die Wäsche musste Mutter natürlich mit der Hand waschen. Über Nacht
    wurde die Schmutzwäsche eingeweicht und am nächsten Tag im
    Waschkessel in Seifenwasser gekocht und dann mit Kernseife
    gebürstet. Im Winter wurde die Wasche auf dem Dachboden über der
    Remise  (Werkzeugschuppen) aufgehängt. Ich erinnere mich, dass
    ich dabei einmal durch ein morsches Brett durchgefallen und unten im
    Schuppen an einer Egge hängen geblieben bin, Gott sei dank völlig
    unverletzt.
    
    Mutter hatte tagsüber ihre Hausarbeit zu verrichten und im Sommer
    arbeitete sie auch noch auf dem Feld mit. Nie saß sie da, ohne
    Flickzeug in den Händen zu haben, besonders viele Hosenböden gab es
    zu flicken. Sie hatte auch schon eine Singer Nähmaschine zum Treten.
    Im Dorf
    Ab und zu kam die Schneiderin, die Fischer Marie, um uns Kleider und
    Schürzen zu nähen, oder den Männern Hemden. Wir hatten die meiste
    Kleidung aus Leinen, weil die Eltern Flachs anbauten,  der in
    Olching bei den Herbergers zu Stoff verarbeitet und meist blau
    eingefärbt wurde. Mutter hat mit der Spindel Flachs gesponnen;
    mit  dieser Flachswolle wurde gestrickt (eine recht harte
    Wolle). Die Wolle zum Stricken von Socken usw. wurde in
    Fürstenfeldbruck gekauft. In Mammendorf kaufte man im
    Haushaltwarengeschäft alles, was man so brauchte und wo es später
    auch Stoffe gab. In Hattenhofen hatten wir einen Krämer für
    Lebensmittel, gegenüber der Schule. Bier holte man im Krug vom Faß
    beim "Caselli" -Wirt (Riedl).
    Dieser hatte auch ein kleines Lebensmittelgeschäft.
    
    Haspelmoor und Loitershofen gehörten damals zu Hattenhofen, auch die
    Kinder von dort mussten zu uns in die Schule. Im Winter mussten oft
    die Schneeräumer für sie erst die Wege freimachen. Ich erinnere mich
    dass Martina, die Frau von Xaver, jeden Tag mit den Kindern Lina und
    Lisi von Haspelmoor nach Hattenhofen gegangen ist, zur Kirche und
    Schule.
    
    In Hattenhofen hatten wir auch eine Poststelle, die Dori und Isidor
    (Beheim ?) betreuten. Isidor trug auch die Post aus und so ist für
    uns "Post" immer mit dem Namen "Isidor" verbunden gewesen.
    Straßennamen gab es in Hattenhofen damals noch nicht, nur
    Hausnummern.
    
    Bürgermeister war vor dem 2. Weltkrieg der Wirt Eberl. Ich erinnere
    mich noch, als 1933 Vater immer wieder sagte, den Hitler wählen wir
    nicht, denn da gibt' s Krieg. Von uns hat dann sicher auch keiner
    Hitler gewählt; Vater hatte uns so überzeugt.
    
    Mein Berufstraum
    
    Mein Traum als junges Mädchen war damals, Schneiderin zu werden.
    Aber da hatte ich in Hattenhofen keine Chance, denn die einzige
    Näherin im Dorf, die Fischer Marie, hatte keine Prüfung und durfte
    daher auch keine Lehrmädchen einstellen.
    Ich wollte und konnte aber auch wegen meiner schwächlichen Natur
    nicht bei Bauern arbeiten und so beschloss ich, mir nach meiner
    Schulzeit erst mal was zu verdienen - und zwar als Kinder- und
    Hausmädchen beim Bolz'n - Bauern. Ich musste aber im Sommer auch
    Feld- bzw. Erntearbeiten mit machen und genauso viel Getreide
    aufheben und bündeln wie die Erwachsenen. Wenn mir da meine
    Schwester Greti nicht geholfen hatte,  hätte ich das nicht
    geschafft.
    
    Mit 16 Jahren hatte ich mir dann ein bisschen was erspart und
    meldete mich in Fürstenfeldbruck in der Nähschule an. Wohnen konnte
    ich bei Tante Kathie, einer pensionierten Rot-Kreuz-Schwester, die
    meist unterwegs war. 
    Von meiner Patin weiß ich nur,dass sie Krankenschwester war und an
    Lungen-TBC gestorben ist.  Die Rotkreuzschwester Katharina war
    schon pensioniert so lange ich weiß. (Schwester des
      Vaters.)  Ich
    musste mich halt selbst verpflegen. Die anderen Mädchen gingen alle
    mittags nach Hause und konnten sich an einen gedeckten Tisch setzen.
    Am Wochenende fuhr ich meist nach Hause, mit dem Fahrrad, und holte
    mir von Mutter Proviant für die ganze Woche. Sie gab mir dabei auch
    immer etwas Lebensmittel mit für ihre alte Tante Fendt, die mit
    ihrer Tochter in Fürstenfeldbruck wohnte. 
    
    Einmal schaute ich zu wie sie eine Suppe kochte und dabei etwas Mehl
    und Milch verrührte und ein Ei aufschlug, die eine Hälfte in den
    Teig fallen ließ und die andere Hälfte in der Tasse aufbewahrte für
    den anderen Tag.
    
    Bei den Marienschwestern in der Nähschule lernten wir Mädchen zwar
    sehr gut nähen, aber nicht zuschneiden und Schnitte anfertigen. Als
    mir nach einem halben Jahr das Geld ausging, holte mich von der
    Nähschule weg eine Witwe, Frau Haid zu sich, die zwei kleine Kinder
    hatte. Ich musste für die ganze Familie nähen und nebenbei lernte
    ich auch den Haushalt führen.
    
    Mit 18 Jahren hatte ich mir dann wieder ein bisschen was erspart und
    konnte mir den ersten Wintermantel kaufen (früher trugen wir im
    Winter nur Strickjacken und einen großen Schal, dazu Mütze und
    Handschuhe und selbst gestrickte Strümpfe). Durch Bekannte erfuhr
    ich, dass es in Augsburg Zuschneidekurse gab, und so meldete ich
    mich bei der Akademischen Zuschneideschule an. Drei Monate dauerte
    der Kurs, der monatlich 50 DM kostete, damals viel Geld. Dazu musste
    ich von der Hattenhofener Bahnstation Haspelmoor aus täglich nach
    Augsburg und zurück fahren und mich natürlich auch selbst
    verpflegen. Das ging dann nur mit elterlicher Unterstützung. Nach
    Beendigung des Kurses mussten wir eine Prüfung ablegen und ich bekam
    ein Zertifikat, das mich als fertige Schneiderin auswies. Ich
    meldete mich in Fürstenfeldbruck bei der Innung an, die mir
    allerdings zur Auflage machte, noch eine Gesellenprüfung abzulegen
    mit einem Gesellenstück (Kleid oder Bluse mit Rock). Ich entschied
    mich für Bluse und Rock und erhielt dafür die Note 2 (da ich statt
    Knopflöcher und Knöpfe Druckknöpfe einnähte,  was mir aber
    keiner gesagt hatte). Zusätzlich mussten wir Teilarbeiten machen,
    sieben verschieden eingesetzte Taschen. Das zeigte mir der Lampl
    Sepp, ein Schulkamerad und fertiger Schneider. Seine Schwester Lisi
    war meine beste und langjährige Freundin.
    
    Nach der Prüfung machte ich mich in Hattenhofen selbständig und
    erhielt genügend Auftrage. Durch die über die Arbeit gebeugte
    Haltung bekam ich mit der Zeit aber Herzbeschwerden und öfters
    Bronchitis, weil diese früher in der Kinderzeit nie richtig
    ausgeheilt worden war. 
    
    Bei der Baronin
    
    In dieser Zeit nähte ich öfters was für die Baronin Uckermann in
    Steinebach am Wörthsee. Dort war unsere Schwester Sefi als Köchin
    angestellt. Als Sefi einmal ins Krankenhaus musste (sie war immer
    etwas kränklich), fragte mich die Baronin, ob ich nicht so lange
    aushelfen würde, bis Josefa wieder käme. Ich sagte zu, betonte aber
    gleich, dass ich keine Ahnung vom Kochen hatte. Das machte ihr
    nichts aus, denn sie konnte gut kochen. Die "höheren Töchter"
    mussten damals, bevor sie heirateten, einen Haushalt fuhren und
    kochen lernen, damit sie später ihren Hausangestellten etwas
    beibringen und sie überwachen konnten.
    
    Das Haus der Baronin war eine schöne Villa am Wörthsee mit
    herrlichem geschnitzten Treppengeländer. Auch unten in der Diele
    waren die Wände mit geschnitzten Paneelen verkleidet und in der
    Mitte stand ein wunderschöner geschnitzter Tisch, den Michl, der
    einen Blick für alles Schöne hatte, fotografierte.
    
    Die Baronin brachte mir mit viel Geduld das Kochen bei. Sie war eine
    sehr vornehme, aber auch sehr sparsame Frau, die nur für Besuch
    reichlich auftischte. Abends aß sie nur Porridge (dicker Haferbrei),
    höchstens mal ein Ei dazu. Sie war fromm und bescheiden. Ihr Mann
    war im 1. Weltkrieg als Offizier gefallen und nun musste sie von
    dieser Rente leben. Ihre Tochter, in Berlin-Spandau verheiratet, kam
    in den Sommerferien immer mit ihren zwei Töchtern, was für mich
    ziemlich viel Arbeit brachte. Ich bekam dann eine Hilfe
    (Bauerntochter), die putzte und Geschirr spülte. Als Sefi aus dem
    Krankenhaus entlassen wurde, konnte sie die Stelle nicht mehr
    antreten; es war ihr zu anstrengend, da auch etwas Gartenarbeit mit
    gemacht werden musste. Sie blieb dann bei den Eltern zuhause und
    nahm später eine Stelle beim Hattenhofener Lehrer an, so dass sie in
    der Nahe der Eltern blieb.
    
    Die Zeit bei der Baronin war für mich eine schöne, unbeschwerte
    Zeit, die ich nie vergesse. Sonntags hatte ich meist frei; es kamen
    dann meine Schwestern Gretl und Kathi (sie spielte Gitarre), und
    manchmal auch Michl und meine Freundin mit ihrem Freund. Wir hatten
    ein eigenes Ruderboot auf dem Wörthsee und so gingen wir rudern und
    schwimmen und verbrachten immer einen fröhlichen Sonntag.
    
    Im Winter wollte die Baronin immer für ein paar Monate nach Berlin
    zu ihrer Tochter, da es ihr dann am See zu kalt war. Mutter wollte
    aber nicht, dass ich mit ging. Sie wollte mich erstens nicht so weit
    fort lassen und zweitens hatte sie wohl Angst vor den Gefahren 
    der Großstadt, denn Berlin war damals schon verrufen.
    
    In München
    
    Durch ein Inserat habe ich dann eine Stelle als Köchin bei Familie
    Eugen Holderried in München-Harlaching, Autharistr., bekommen. Es
    war eine Fabrikantenfamilie (Stempel, Schilder, Gravierungen usw.)
    Im Haus lebte außer dem Ehepaar noch der Sohn Eugen, der später
    Grafiker wurde und in die Firma mit einstieg. Da sie aus Schwaben
    waren, liebten sie Mehlspeisen und besonders Spätzle. Ein halbes
    Jahr habe ich gebraucht, bis ich sie zur Zufriedenheit des Hausherrn
    vom Brett schaben konnte. Jeden Tag machte ich damals schon
    "Jogging" mit der Boxerhündin Nori im nahe gelegenen Harlachinger
    Wald. Bei " Nori, hopp!"  lief sie mit mir genau im Schritt.
    
    Bei Holderrieds aß man fett und üppig. Deshalb musste der Hausherr
    auch jeden Sommer zur Kur nach Bad Gastein, damit er sich wieder
    etwas wohler fühlte. - Als ich merkte, dass ich auch zu dick wurde (
    130 Pfund), hab' ich abends nur noch Äpfel, die immer zentnerweise
    im Haus waren, gegessen, und dadurch wenigstens nicht mehr
    zugenommen. Herr und Frau Holderried gingen nachmittags mit dem Hund
    spazieren und kamen meist zum Abendessen nicht nach Hause. Der Sohn
    musste dann immer die Reste von Mittag essen, was ihm gar nicht
    behagte. Es wurde nämlich immer soviel gekocht, dass auch ein Gast
    noch mit essen hätte können. Jeden Tag kam der Metzger mit einer
    Fleischlieferung, das am Abend vorher telefonisch bestellt worden
    war. Nur freitags gab es Fisch oder Mehlspeisen. Das war für mich
    eine große Umstellung, denn von der Baronin her war ich an
    einfaches, kalorienarmes Essen gewöhnt. Und hier hieß es immer- Sie
    müssen viel fetter kochen!
    
    Nachmittags hatte ich oft frei, deshalb konnte ich nähen, auch für
    mich privat. Für Gretl, die damals mit ihrem Sepp schon die Bäckerei
    hatte, nähte ich weiße Kittel und für mich Kleidung; für Eugen
    Faschingskostiime. Eugen hatte, obwohl schon fast 25 Jahre, noch
    keinen Hausschlüssel. Er hätte so früh heimkommen sollen, dass die
    Eltern noch auf waren. Manchmal kam er aber trotzdem erst um
    Mitternacht nach Hause. Dann warf er Steinchen an mein Fenster im 1.
    Stock und ich musste ihm aufschließen. Wir waren wie Kumpel
    zueinander. Die ganze Familie war sehr human und behandelte mich
    immer gut. Nie bekam ich ein Schimpfwort zu hören (Übrigens auch nie
    bei der Baronin und nie von meinen Eltern, so dass ich ganz "in
    Harmonie" leben konnte). 
    (Anmerkung:  Der Rest der Lebensgeschichte darf  auf
      Wunsch von Magdalenas  Tochter 
      nicht veröffentlicht werden.   )
      
    Bayreuth, im Januar 1990  
    
    Eure  Leni
    
    (gestorben am 14.1.1991 in Würzburg)
    
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    (C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de